«So sehen Weltmeister aus», steht auf einem riesigen Spiegel vor dem Bahnhofskiosk in Zürich-Stadelhofen. Und kleiner darunter: «Gratulation. Wir Schweizer sind Weltmeister im Alu-Sammeln. Weiter so.» Neben dem Spiegel, einer Werbeaktion der Alu-Recycling-Organisation Igora, stehen ein Behälter für leere PET-Flaschen und ein weiterer für andere Abfälle. Doch wo soll der stolze Weltmeister seine leere Red-Bull-Dose entsorgen, die er eben am Kiosk gekauft hat? Eine Alupresse ist weit und breit nicht in Sicht.

Die Kioskfrau weiss ebenso wenig Rat wie die Leute von der Nagra, die vor dem Bahnhof Aufklärung über die Entsorgung radioaktiver Abfälle betreiben. Und den Biertrinker, der bei der nahe gelegenen Tramhaltestelle eine leere Dose zu einem Musikinstrument umfunktioniert hat, nach dem korrekten Entsorgungsweg zu fragen, scheint wenig erfolgversprechend.

Über 180 Millionen Alu-Getränkedosen wurden letztes Jahr in der Schweiz leer getrunken – das sind pro Kopf rund 26. 165 Millionen Stück oder 91 Prozent hätten den Weg ins Recycling gefunden, verkündete die Igora unlängst in einer Pressemitteilung und verlieh nicht nur den Schweizern, sondern auch sich selbst den Weltmeistertitel im Aludosen-Recycling.

Umweltfachleute zweifeln allerdings an dieser Rekordquote. «Die Zahlen können so nicht stimmen», sagt Jürg Hofer, Leiter des Amts für Umwelt und Energie Basel. Sein Verdacht gründet nicht nur in den unzähligen Aludosen, die nach lauen Sommernächten auf öffentlichen Plätzen und in Grünanlagen herumliegen – es sind auch die schlechten Erfahrungen mit den PET-Flaschen (siehe Beobachter Nr. 10). Bei den kleinen Drei- und Fünf-Deziliter-Behältern liegt der Rücklauf nämlich bei lediglich 50 Prozent. Warum sollten sich die Käufer der Energie fressenden Getränkedosen umweltbewusster verhalten als Konsumenten, die zur PET-Flasche greifen?

Kommt hinzu: PET-Sammelbehälter stehen heute in vielen Verkaufsstellen.

Spezielle Alupressen dagegen sind kaum mehr auf öffentlichem Grund zu finden – abgesehen von den öffentlichen Recyclingstellen, wo auch Glas gesammelt wird.

Eine der wenigen Ausnahmen bilden die Grünanlagen an der Zürcher Seepromenade, wo Alupressen in erstaunlicher Dichte anzutreffen sind. Nur unweit davon entfernt befindet sich der Sitz der Igora. Sie ist in einem Nebengebäude der Alcan, der früheren Alusuisse, untergebracht. Nicht nur über jährliche Subventionsbeiträge, sondern auch über die gemeinsame Pensionskasse ist die Igora eng mit der Aluindustrie verbunden.

Im Igora-Jahresbericht finden sich zwar viele bunte Bilder über Wettbewerbe und kreative Recyclingkünstler, aber ausser einer nackten Prozentzahl erhält man zum Recycling kaum konkrete Angaben. Die eigentliche Jahresrechnung sei aus Gründen der Vertraulichkeit und Komplexität nicht als «zur Veröffentlichung geeignetes Dokument» deklariert, erklärt Igora-Geschäftsführer Markus Tavernier.

Wer Alu sammelt und wo es schliesslich landet, bleibt somit Geschäftsgeheimnis. Die einzige Schweizer Alu-Recycling-Hütte Refonda wurde vor ein paar Jahren wegen Millionenverlusten geschlossen, ein Grossteil der leeren Dosen wird heute nach Italien und Deutschland exportiert.

Als Grund für den Recyclingrekord führt Igora-Chef Tavernier verschiedene Argumente ins Feld: die duale Sammelinfrastruktur (öffentliche und private Sammelstellen), spezielle Einsätze bei Gross-anlässen wie etwa dem Genfer Automobilsalon, der geschlossene Recyclingkreislauf in «In»-Lokalen wie dem Zürcher «Kaufleuten», vor allem aber den finanziellen Ansporn zum Dosensammeln. Pro Kilo Aludosen bekommt ein Sammler Fr. 1.30 vom Schrotthändler vergütet. Dafür muss er allerdings 65 Dosen sammeln – nicht gerade ein riesiger Anreiz.

Für die Igora hingegen ist das Alurecycling ein gutes Geschäft: Sie kassiert von den Konsumenten vier Rappen vorgezogene Recyclinggebühr pro Dose. Dazu fliessen weitere kleinere Beiträge für Alutuben und Tiernahrungsschalen in ihre Kasse. Sieben Millionen Franken kamen so letztes Jahr zusammen. Lediglich 1,2 Millionen Franken zahlte die Igora den Sammlern zurück, und gerade einmal 40'000 Franken gingen an Aufbereitungszentren und Gemeinden. Pro Tonne Alu- und Stahlblechschrott erhält eine Kommune bloss 60 Franken. «Die effektiven Kosten für Transport, Beschaffung und Unterhalt der Container sind etwa fünf- bis zehnmal höher», schätzt Alex Bukowiecki von der Fachorganisation Entsorgung und Strassenunterhalt des Schweizerischen Städteverbands. Kein Wunder, fordern die Gemeinden eine bessere Abgeltung für ihre Bemühungen.

Geld ist bei der Igora genug vorhanden: Letztes Jahr resultierten satte Einkünfte von über 2,4 Millionen Franken. Sie flossen in die stillen Reserven des Igora-«Recycling-Fonds». Stolze 10,76 Millionen Franken schlummern mittlerweile dort still vor sich hin. Sie würden reichen, um die weltmeisterlichen Sammler für über 500 Millionen leere Dosen zu entschädigen. Zwar soll der vorgezogene Recyclingbeitrag demnächst um einen halben bis einen ganzen Rappen gesenkt werden. Die Konsumentinnen und Konsumenten werden davon jedoch wenig merken – und die Dosenflut dürfte weiter steigen.

In den letzten drei Jahren ist der Dosenberg von rund 120 auf über 185 Millionen Stück gewachsen – trotz Konkurrenz durch die PET-Flaschen. Das ursprüngliche Ziel des Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal), das sprunghafte Anwachsen der Dosenmenge zu stoppen, wurde somit verfehlt.

Ermittelt wurden diese Zahlen vom Schweizerischen Verein für umweltgerechte Getränkeverpackung (SVUG). Hinter dem Verein stecken die Hersteller, Importeure und Händler von Bier, Mineralwasser und Süssgetränken – also jene Branche, die dafür verantwortlich ist, dass man heute kaum mehr ein Erfrischungsgetränk in einer Mehrwegpackung kaufen kann.

Auch der SVUG will keine Angaben zum Dosenrecycling preisgeben und verweist an Hans-Peter Fahrni, Chef der Sektion Abfall im Buwal. Dieser wiederum vertröstet auf eine Pressekonferenz, in der demnächst genauere Zahlen veröffentlicht werden sollen.

Die Angaben der Igora bezweifelt Fahrni im Übrigen nicht: «Mag sein, dass die effektiven Zahlen um ein paar Prozentpunkte abweichen. Aber es ist unwahrscheinlich, dass die geforderte Verwertungsquote von 75 Prozent nicht erreicht wird. Andernfalls müsste ein grundsätzlicher Berechnungsfehler vorliegen, und das glauben wir nicht.» – «Glauben allein genügt nicht», findet dagegen die Konsumentenschützerin Jacqueline Bachmann, «vor allem dann nicht, wenn die Zahlen von Interessengruppen wie Igora und SVUG stammen.» Auch Bachmann hat Zweifel an den hohen Alu-Recyclingwerten. Nachdem sich die Zahlen beim PET-Recycling als falsch erwiesen haben, würde sie eine unabhängige Kontrolle sehr begrüssen.