Muskelkrämpfe, Kopfschmerzen, Übelkeit. Auch Verwirrtheit, Schwindel, epileptische Anfälle, Wesensänderung und Herzinsuffizienz. Wer kein oder zu wenig Salz zu sich nimmt, riskiert seine Gesundheit und längerfristig sogar sein Leben. Die Symptome bei sogenannter Hyponatriämie ähneln denen beim Verdursten, denn ohne Salz kann der Körper Wasser nicht speichern. Vier bis sechs Gramm täglich benötigt ein erwachsener Mensch, rund 120 Gramm des Körpergewichts entfallen auf Salz. Es ist aber nicht nur lebensnotwendig, sondern glücklicherweise auch lecker. Sogar süsses Backwerk schmeckt ohne eine Prise Natriumchlorid, so die chemische Bezeichnung, nur halb so gut.

In Anbetracht der kulinarischen wie auch gesundheitlichen Notwendigkeit, die weissen Kristalle zu sich zu nehmen, beruhigt es zu wissen, dass die Schweiz zumindest in Sachen Salz weitgehend selbstversorgend ist, und zwar mindestens für die nächsten Jahrhunderte. Gegen 90 Prozent des hierzulande verzehrten Geschmacksverstärkers stammen aus inländischer, konkret aus Baselbieter und Aargauer Produktion. Bis zu einer halben Million Tonnen Salz pro Jahr fördern die Schweizer Rheinsalinen in den beiden Werken in Schweizerhalle BL und Riburg AG. Davon ist knapp ein Zehntel Speisesalz, den grossen Rest bestreiten Industrie- und Auftausalz.
«Saline» steht am Bushäuschen vor dem Haupteingang des Werks in Schweizerhalle. Einige hundert Meter entfernt hebt sich ein stillgelegter Bohrturm mit seiner verwitterten, dunklen Holzverschalung scharf gegen den blauen Himmel ab. Der Gasthof «Zur Saline», ein heute unbenutztes Schulhäuschen, Arbeiterunterkünfte, eine eigene Bahnlinie und nicht zuletzt die imposante Direktorenvilla unterhalb der Strasse zeugen von einstiger Grösse und Bedeutung.

Im Hintergrund fliesst der Rhein gemächlich und breit daher. Hektik ist auch auf dem Werkgelände ein kaum bekanntes Phänomen. Gut Ding will Weile haben: Was sich die meisten Einwohner der Schweiz unter dem allgegenwärtigen Produktenamen Jurasel aufs Schnitzel oder in die Suppe streuen, ist rund 200 Millionen Jahre alt. Nicht ganz so alt, aber von ähnlicher Konstanz sind viele der rund 120 Angestellten. Kaum einer ohne Dienstjubiläum. «Ich bin seit elf Jahren dabei und damit wohl einer der Jüngsten», sagt Armin Roos, der Verkaufsleiter mit Doktortitel in Naturwissenschaften. Schichtmeister Walter Löliger etwa ist schon seit 30 Jahren bei den Salinen angestellt. Und das Urgestein, «dr Bader René», ist seit 44 Jahren in der Salzgewinnung tätig - Arbeitsantritt am 11. Februar 1963. Etwa 80 Prozent der Arbeiter bleiben laut Roos bis zur Pensionierung bei den Rheinsalinen.

Das schmutzige Meersalz Das industriell hergestellte Salzkorn ist weiss und rund. Weiss, weil ihm bei der Verarbeitung die in der Sole gelösten Verunreinigungen und damit auch die Spurenelemente entzogen werden. Das rosa gefärbte Himalaya-Salz oder das oft gräuliche Meersalz sind also eigentlich nichts anderes als schmutziges Salz. Seine runde Form erhält das Salzkorn, das eigentlich ein Kristall ist, beim Trocknen in der Zentrifuge. Dort wird es mechanisch rundgeschliffen. Würde man die aus rund 200 Metern Tiefe geförderte Sole wie früher in den riesigen, 8 mal 20 Meter grossen Pfannen kochen, erhielte man ebenso hübsche Kristalle wie beim derzeit von (Hobby-) Köchen bevorzugten Meersalz. Auch Natriumchlorid ist der Marketingmaschinerie und damit Modeströmungen unterworfen. Und so werden für spezielle Salze - seien sie von Hand geschöpft, über Hickoryholz geräuchert, in pakistanischen Bergwerkstollen abgetragen oder in der Wüste Kalahari sonnengetrocknet - Preise von bis zu 100 Franken pro Kilo bezahlt. Schweizer Kochsalz jedenfalls gibts schon für unter einem Franken das Kilo.

Laborchef Rudolf Mathys - er feierte letztes Jahr im Herbst sein 20-Jähriges - macht sich mit einem Kunststoffbecher und einem Messgerät bewehrt auf zur Qualitätskontrolle. Mittlerweile findet fast die gesamte Produktion in verschlossenen Kesseln, Rohren, Turbinen statt. Einzig wo das Salz aus der Schleuder aufs Förderband kommt, hat Mathys Zugriff. Er hebt die Kette mit dem Schild «Spezialsalz. Zutritt nur für Produktionspersonal» an und geht durch die salzgeschwängerte Luft zu einem der Fliessbänder. Bei jedem Atemzug setzt sich feinster Salzstaub auf Lippen, Zunge, Gaumen fest. Nicht ungesund und nicht einmal unangenehm.

Mathys nimmt eine Probe, die er später im Labor untersuchen wird. Die Lebensmittelbranche ist in Sachen Qualität ausgesprochen sensibel, die Rheinsaline ist gleich dreifach zertifiziert. Mancher Abnehmer verlangt aber Unsinniges: «Die fordern zum Teil sogar einen Nachweis, dass unser Salz BSE-frei ist und keine gentechnisch veränderten Organismen enthält», sagt Roos und schüttelt den Kopf. Wie auch sollen BSE-Erreger oder gentechnisch veränderte Organismen in etwas gelangen, das 200 Millionen Jahre alt ist?

Während Legionäre im alten Rom teilweise mit Salz bezahlt wurden - dem sogenannten «salarium», von dem das Wort Salär abstammt -, finden die Salinenarbeiter kein weisses Gold mehr in ihren Lohntüten. Auch sonst haben sich Image und Verwendungszwecke stark gewandelt. Wurde im Mittelalter den Frauen noch empfohlen, Gesäss, Hoden und Penis ihrer lendenfaulen Männer zwecks Potenzsteigerung tüchtig mit Salz einzureiben, werden heute im grossen Stil vorwiegend Zungen, Schinken und Rippchen gepökelt. Vom Schwein, versteht sich.

Den Gewinn leckt der Staat weg Haltbarmachung mit Salz zieht sich wie ein roter Faden durch unseren Speiseplan: Aus leicht verderblicher Milch macht Salz dauerhaften Käse. Stinkender Fisch riecht zwar nach dem Pökeln immer noch, kann aber zu leckeren Gerichten wiedererweckt werden. Eier lassen sich in Salzlake konservieren. Und was wäre zartes Champagnersauerkraut ohne Salz? Ein harter, tumber Kohlkopf.

Es ist ein stabiles Geschäft, das Geschäft mit dem Salz. Das freut auch den Staat, der über das Salzregal, ein aus dem Mittelalter stammendes Monopol auf den Salzhandel,den ganzen Gewinnein streicht. So sitzen denn im Verwaltungsrat der 1837 gegründeten Rheinsaline auch Repräsentanten aller Kantone ausser dem Kanton Waadt, der mit dem Salzbergwerk in Bex seit 1684 für sich selbst sorgen kann.

Die Entdeckung der dortigen Steinsalzadern verdanken die Bexer übrigens einer Ziegenherde. Denn auch Tiere führt die pure physische Notwendigkeit, Salz aufzunehmen, zum weissen Gold. Schliesslich waren Lecksteine, wie sie heute die Bauern für ihr Vieh bereitstellen, damals noch nicht in der Landi erhältlich. Sozusagen bereits vorgewürzt sind übrigens Schafe und Ziegen, die auf meeresnahen Weiden grasen. Das Meerwasser macht die Böden und Pflanzen salzig und so auch das Fleisch der Tiere, die diese Pflanzen fressen. Convenience Food, quasi.