Die Tränendrüse wirkt immer – nach diesem Schema geht Sergej Gerasjuta seit Jahren auf Betteltour. Der in der Schweiz wohnhafte Ukrainer sammelt Geld für sein Hilfswerk SOS Gerasjuta, das sich nach eigenen Angaben für arme kranke Menschen einsetzt, vorwiegend in der Ukraine. «Nach eigenen Angaben» deshalb, weil es keinerlei Transparenz darüber gibt, wie die Spendengelder tatsächlich eingesetzt werden. «SOS Gerasjuta» veröffentlicht bislang weder aussagekräftige Jahresberichte noch -rechnungen, von einer unabhängigen Kontrolle ganz zu schweigen, was der Beobachter schon mehrfach kritisiert hat (siehe Artikel zum Thema: «Aggressiver Bettelstil»).

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Vielen angeschriebenen Leuten missfallen insbesondere die handgeschriebenen Bettelbriefe; gerade jetzt in der Vorweihnachtszeit häufen sich wieder die Beschwerden beim Beobachter. Varalja Kowaljowa etwa leidet «an Brustkrebs, der bereits Metastasen in die Knochen abgegeben» habe; die krebshemmenden Medikamente verschlängen «eine unerhört grosse Summe Geld» – Geld, das sie nicht habe; nur dank SOS Gerasjuta könne sie sich die Behandlung leisten. «Ihre Spende würde mein Leben verlängern und mir noch viele weitere gemeinsame Tage mit meiner lieben Tochter Wika schenken», schliesst der handschriftliche Brief, in dem der «sehr geehrte Herr Baltensperger» zweimal namentlich angesprochen wird.

«Die handschriftlichen Bettelbriefe empfinden viele Leute als aufdringlich, sie fühlen sich emotional unter Druck gesetzt», sagt Martina Ziegerer, Geschäftsleiterin der Stiftung Zewo, die ein Gütesiegel an vertrauenswürdige Hilfswerke verleiht. SOS Gerasjuta hat dieses Gütesiegel nicht – aber das liegt nicht primär an den handgeschriebenen Bettelbriefen, sondern an der Intransparenz und der fehlenden Gewaltenteilung: «Alle Fäden laufen bei Sergej Gerasjuta zusammen; er ist gleichzeitig Geschäftsführer und Präsident der Stiftung», bemängelt Ziegerer.

Sergej Gerasjuta weist den Vorwurf zurück, quasi im Alleingang über die Verwendung der Gelder zu entscheiden. Und die handschriftlichen Briefe seien «nicht mehr oder weniger emotional und aufdringlich, als wenn wir die Nachrichten im Fernsehen oder Strassenplakate mit abgemagerten Kindern anschauen», so Gerasjuta zu Beobachter Online. Seine Spenderinnen und Spender schätzten gerade die «warme Atmosphäre», die diese handgeschriebenen Briefe vermittelten.

Immerhin erste Schritte hat Gerasjuta gemacht: Aus den bisherigen Einzelfirmen wurde 2009 eine Stiftung, was ein Mindestmass an Kontrollmöglichkeiten gewähren soll, sobald erstmals eine aussagekräftige, revidierte Jahresrechnung vorliegt. Zudem kann Gerasjuta beantragen, die Stiftung wegen Gemeinnützigkeit von den Steuern befreien zu lassen. Die Stiftung Zewo hat aufgrund dieser Bemühungen SOS Gerasjuta zwar von der Liste jener Geldsammelorganisationen gestrichen, vor denen sie aktiv warnt. «Trotzdem empfehle ich, nur Organisationen mit Zewo-Gütesiegel zu unterstützen», sagt Zewo-Geschäftsleiterin Martina Ziegerer.

Dies gilt umso mehr, als Gerasjuta auf eine weitere Sammelmethode, die ihn oft Kritik einträgt, nicht verzichten mag: Den Bettelbriefen sind auch weiterhin schockierende Fotos von kranken oder verbrannten Körperteilen beigelegt. Immer wieder melden sich Briefempfänger bei der Zewo oder beim Beobachter, weil sie es als Verstoss gegen die Menschenwürde empfinden, dass die abgebildeten Menschen erkennbar sind.

Gegendarstellung

«In diesem Artikel wird behauptet, es gäbe keinerlei Transparenz über die Verwendung der Spendengelder. Diese Aussage ist falsch. Ebenfalls unzutreffend ist die Aussage, wonach es an Gewaltenteilung fehle. Die operative Tätigkeit und die Verwendung der Mittel werden vom Stiftungsrat und letztlich von der Eidg. Stiftungsaufsicht überwacht.» Stiftung SOS Gerasjuta

Der Beobachter bleibt bei seiner Darstellung