Begeisterter Applaus brandet durch das Stadion. Die Dänin Liz Harlen gewinnt die Silbermedaille in der Disziplin Dressur. Den Erfolg verdankt sie den vier gesunden Beinen ihres Pferds; sie selbst ist seit einer Kinderlähmung auf den Rollstuhl angewiesen.

Das war an den Olympischen Spielen in Helsinki 1952. Liz Harlens Medaille kam indirekt noch vielen anderen Kranken zugute. Denn ihr Olympiasieg gab der bis dahin nicht besonders ernst genommenen Reittherapie enormen Auftrieb.

Die ersten Zentren, in denen Pferde einen wesentlichen Teil der Behandlung von Kranken übernahmen, entstanden zu Beginn der sechziger Jahre in England und in den USA. Inzwischen wird die Therapie zu Pferde weltweit praktiziert. Ihr Anwendungsgebiet reicht von A wie Amputation bis Z wie Zerebralparese, vom therapeutischen Reiten bis zur Hippotherapie.

Die Reittherapie half auch der 13-jährigen Sarah. Wegen eines Down-Syndroms war die Aussprache der Kleinen unverständlich. Sie blieb deshalb meist stumm – bis sie Daisy traf. Das Pony konnte zwar nicht reden wie der berühmte Fernsehschimmel «Mister Ed», aber wunderbar zuhören.

Im «Gespräch» mit dem Pferd verlor das Mädchen seine Hemmungen. Nach Jahren des Schweigens unterhielt sich Sarah zunächst mit Daisy, dann mit ihren Eltern über Daisy – und schliesslich redete sie sogar mit Fremden über ihr Pferd. Dabei machte nicht nur ihre Sprache Fortschritte. Ihr Selbstbewusstsein wuchs enorm: Plötzlich nahm sie Dinge in Angriff, an die sie sich vorher nie herangetraut hätte.

Beim therapeutischen oder heilpädagogischen Reiten geht es nicht nur um Muskeltraining. Ebenso wichtig ist die soziale und die psychische Schulung von Kindern und Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. In Zusammenarbeit mit Pädagogen, Psychologinnen und Erziehern wird das Pferd zum Therapeuten. Die Beziehung zu ihm wird für viele Patientinnen und Patienten zum Schlüssel für erfolgreiche zwischenmenschliche Beziehungen.

Entkrampfende Wirkung
Bereits der griechische Arzt Hippokrates wies auf den «heilenden Rhythmus» des Reitens hin. Die wiegenden Bewegungen des Pferds aktivieren die Becken- und Rückenmuskeln des Reiters. Dieser Effekt kommt vielen Patienten zugute, vor allem solchen mit Bewegungsstörungen – etwa bei multipler Sklerose oder frühkindlichen Hirnschäden, nach Schlaganfällen oder Hirnverletzungen. Regelmässige Bewegung zu Pferd verbessert die Muskelspannung und das Gleichgewichtsgefühl.

Ein speziell ausgebildeter Physiotherapeut führt das Pferd langsam im Schritt. Er achtet auch darauf, dass sich der Patient nicht verkrampft, sondern dass sich die Bewegungen des Pferderückens optimal auf den Reiter übertragen.

Um therapeutisch arbeiten zu können, müssen die vierbeinigen «Krankengymnasten» besonders geschult sein. Die Aufgabe der Pferde besteht darin, ihren natürlichen Bewegungsdrang zu zügeln und in jeder Situation Ruhe zu bewahren – etwa wenn der Patient von einer speziell konstruierten Rampe aus in den Sattel steigt. Nach getaner Arbeit dürfen die Pferde mit einem richtigen Reiter «Ausgleichssport» betreiben. Die sensiblen Vierbeiner wissen stets genau, ob ein Patient oder ein Gesunder im Sattel sitzt.

Nicht nur der Charakter, auch Grösse, Gangart und Schrittlänge entscheiden über die Qualifikation als Therapiepferd. Vor allem Islandponys und Haflinger eignen sich für diesen Dienst am Menschen.

Krankenkassen bezahlen Therapie
Unter der Bezeichnung Hippotherapie-K (HTK) ist das Verfahren auch bei den Schweizer Krankenkassen anerkannt – dank der Initiative von Ursula Künzle, einer engagierten Basler Krankengymnastin. Sie hat nicht nur eine spezielle Beinschiene entwickelt, um die Position der Patienten auf dem Pferd zu optimieren. Sie hat auch wesentlich daran mitgewirkt, dass die Krankenkassen bei multipler Sklerose und kindlichen Geburtsschäden die Kosten der Therapie im Sattel übernehmen. Nach ärztlicher Verordnung und auf entsprechende Anfrage zahlen die Krankenkassen eine Behandlung mit Hippotherapie-K aber auch bei vielen anderen Erkrankungen.


Adressen

  • Schweizer Gruppe für Hippotherapie-K
    c/o Hans Kaufmann (Präsident), Kirchstrasse 60, 4713 Matzendorf
    Telefon 062/394 18 80, Fax 062/394 18 82
  • Schweizerische Vereinigung für Heilpädagogisches Reiten und Voltigieren
    c/o U. Zeller (Präsidentin), Goldhaldenstrasse 53, 8702 Zollikon
    Telefon 01/390 18 34, Fax 01/390 18 32
  • Schweizer Gruppe für therapeutisches Reiten
    c/o M. Gäng (Präsidentin), Postfach 240, 4118 Rodersdorf