Der Hype um den Hoselupf
Am ESAF 2025 steigen ab Samstag wieder die Bösen in den Ring. Schon ab Donnerstag strömt das Publikum nach Mollis – 350’000 Leute werden erwartet. Warum begeistert das Schwingen die ganze Nation?
Veröffentlicht am 28. August 2025 - 06:00 Uhr
Trachtenhemd, Sonnenbrille und Hamburger: Schwingfeste haben Kultstatus.
Vor dem Gabentempel in Mollis GL wacht ein riesiger Holzmuni. Das 21 Meter hohe und 182 Tonnen schwere Maskottchen des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfests (ESAF) im Glarnerland lässt keinen Zweifel: Alle drei Jahre darfs in der Schweiz ein bisschen grösser sein.
Damit sind nicht nur die Nackenumfänge der 274 Schwinger gemeint, die sich am Wochenende vom 29. bis 31. August im Sägemehlring messen. Erwartet werden 350’000 Besuchende. Sie teilen sich 12’000 Parkplätze und knapp 700 Toiletten, werden an die 450’000 Würste verzehren und 270’000 Liter Bier trinken. Geschätztes Budget: 35 bis 40 Millionen Franken.
Seit seiner Erstaustragung 1895 in Biel BE hat sich das ESAF zum gigantischen Volksfest entwickelt. Zunächst war es nur ein Ringen in Zwilchhosen, Mann gegen Mann. Dann stiessen die Steinstösser dazu, die Jodler, die Alphornbläser und die Trachtengruppen. Heute versammeln sich Krethi und Plethi auf dem Festgelände, im Edelweisshemd oder mit Hipster-Turnschuhen – ein gewaltiges Spektakel!
Erstmals als TV-Experte dabei sein wird Christian Stucki, ESAF-Sieger und damit Schwingerkönig von 2019. Er begrüsst die Entwicklung des Fests zum Mega-Event. Es bringe Menschen aus allen Alters- und Gesellschaftsschichten zusammen. Das «Drumherum» und die Medienpräsenz machten die Sportler attraktiv für Werbepartner. Es sei gut, wie es jetzt ist, sagt Stucki, «nur grösser sollte es nicht werden».
Schwingen als Lebensschule
Schliesslich gehe es immer noch hauptsächlich ums Kräftemessen, um den Zweikampf im Sägemehl. Und damit um den perfekten Brienzer, Hüfter oder Bur, um nur einige der Schwünge zu nennen. Für den Berner Stucki ist das Schwingen Hochleistungssport – und gleichzeitig eine tolle Lebensschule. «Man will den Gegner natürlich auf den Rücken legen», sagt er, «sobald man aber wieder in der Kabine ist, lacht man miteinander und klopft Sprüche.»
Woher aber kommt der Schwinghype? Michael Jucker, Sporthistoriker und Leiter von Swiss Sports History an der Uni Luzern, spricht von zwei Entwicklungen, die dazu geführt haben. Einerseits das Aufkommen des Swissness-Gedankens als Gegentrend zur Globalisierung. «Man beruft sich auf lokale Werte und Traditionen, um sich abzugrenzen.» Andererseits habe die mediale Abdeckung massiv zugenommen. Das Schweizer Fernsehen überträgt seit 20 Jahren vermehrt, die Zeitungen berichten intensiv.
«Ursprünglich pushten urbane Hoteliers das Schwingen.»
Michael Jucker, Sporthistoriker
Die Leute suchten am ESAF das Ursprüngliche, Gemütliche, die ländliche Geborgenheit, sagt Jucker. «Dabei steht das im Widerspruch zu dem, was es eigentlich ist.» So seien es im ausgehenden 19. Jahrhundert urbane Funktionäre und städtische Hoteliers gewesen, die das Schwingfest mit Alpenrosen und Sennenkutten zum Event gepusht hätten.
Inzwischen läuft die Vermarktungsmaschine – fernab der Alp – wie geschmiert. Was früher verpönt gewesen war, ist heute Standard: Schwinger, die zum Beispiel für Teigwaren werben. Oder das Panini-Schwinger-Album.
Der Sport ist diverser geworden
Dass der Schwingsport im Mainstream angekommen ist, wertet Sporthistoriker Jucker als etwas Positives. Es habe den Verband, der einst das Tragen langer Haare im Sägemehl verboten hatte, offener und diverser gemacht.
Der Schwinger Curdin Orlik outete sich vor fünf Jahren als schwul, Sinisha Lüscher will der erste Schwarze Schwingerkönig werden. Davon abgesehen, dass Frauen immer noch im eigenen Verband schwingen müssten, mache das den Sport auch für ein städtisches Publikum zugänglicher, sagt Jucker.
Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht. Stucki, dessen Fitnesstrainer einst gemeint hatte, sein Schützling müsse als Kind wie Obelix in einen Zaubertrank gefallen sein, macht sich um den Nachwuchs jedenfalls keine Sorgen. Der Seeländer gehört dem zweitkleinsten Berner Verband an. Als er vor sechs Jahren zum König gekrönt wurde, habe das den einen oder anderen Jungen motiviert, selbst in die Schwingerhose zu steigen.
«Schwingen ist ein sehr freundlicher Sport.»
Christian Stucki, Schwingerkönig 2019
Die Konkurrenz sei natürlich gross, sagt Stucki: Unihockey, Fussball, Volleyball. Der grösste «Hemmschuh» seien aber immer noch Eltern, die Angst um ihre Sprösslinge hätten. Zu Unrecht: «Schwingen mag vielleicht brutal aussehen, tatsächlich ist es aber ein sehr freundlicher Sport.»
- ESAF 2025: Website mit allen Infos