«Hast du deine Uufzgi schon gemacht, Iva? - Iva!» Das Mami zupft die Sechsjährige am Pulli. Schon zum dritten Mal fragt Ulrike S. (Name der Redaktion bekannt) ihre Tochter nach den Hausaufgaben. Früher hätte es in diesem Fall längst Streit gegeben. Heute weiss die Mutter: Nicht immer, wenn die Kleine nicht auf sie hört, steckt kindlicher Trotz dahinter. Manchmal hört Iva tatsächlich schlecht, oft dann, wenn sie vorher einen Schnupfen oder starken Husten hatte. «Die Mami war sauer, weil sie mit mir geredet hatte und ich das nicht merkte. Manchmal musste ich auch immer ‹Was?› fragen. Das fand sie ziemlich unhöflich», erinnert sich die Primarschülerin.

Schwerhörigkeit

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Lieber einmal zu viel untersuchen

Herausfinden, was los ist, und dann offen darüber sprechen, ist das A und O bei Hörproblemen. Je schneller sie erkannt werden, desto rascher kann geholfen werden. In der Regel schon wenige Tage nach ihrer Geburt werden heutzutage Babys im Spital auf ihr Gehör untersucht: Neugeborenen-Screening nennt sich, was nur wenige Minuten dauert und ungefährlich ist.

Viele Hörprobleme allerdings entwickeln sich erst im Laufe der Zeit. Chronische Mittelohrentzündungen können schuld daran sein. Sie sind die häufigsten Ursachen für Schwerhörigkeit im Kindes- und Jugendalter. Wenn Kinder unbemerkt schlecht hören, kann dies auch ihre Sprach- und Kommunikationsentwicklung beeinträchtigen, weshalb Kinderohren früh, regelmässig und lieber einmal zu viel auf Hörschäden überprüft werden sollten.

Seh- und Hörprobleme gehören bei den schulärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zu den gängigsten Befunden. Auch wenn diese nur vorübergehend sind, sollten Eltern die Probleme nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zum einen leben Kinder, die schlecht hören, im Strassenverkehr gefährlich. Zum anderen stellten US-Forscher fest: Schon ein geringer Hörverlust kann ausreichen, um Schulprobleme zu verursachen. Betroffene Kinder werden unkonzentriert, ermüden leichter. Je weiter sie vom Lehrer entfernt sitzen, desto grösser die Verständnisprobleme.

Schuld sind die Polypen

Manchmal sind die Ohren nur verstopft, dann kann der Kinderarzt leicht Abhilfe schaffen. Im Alter zwischen zwei und acht Jahren häufen sich aber akute Mittelohrentzündungen - rund 90 Prozent aller Kinder sind betroffen. In der Regel sind ihre grossen Rachenmandeln, besser bekannt als Polypen, daran schuld: Sie bilden ein mechanisches Hindernis und einen Nährboden für Bakterien. Ist ein Kind erkältet, können sich im Mittelohr Sekrete ansammeln. Ergebnis davon: Das Kind hört weniger. Manchmal so wenig, dass es für die Betroffenen so klingt, wie wenn sich normal Hörende die Ohren mit den Fingern zuhalten. Kommen Bakterien hinzu, kann sich eine eitrige Mittelohrentzündung bilden; häufig kommt man dann um Antibiotika nicht mehr herum.

Bei leichten Schmerzen helfen Hausmittelchen weiter, warme Zwiebelwickel auf die Ohren zum Beispiel. Salzwasser, das vorsichtig in die Nase gesogen oder geträufelt wird, kann zum Abschwellen der Schleimhäute beitragen. Doch nach Schätzungen von Experten bleibt bei einem Viertel der betroffenen Kinder nach dem Abklingen eines Infekts ein so genannter Mittelohrerguss zurück. Auch der heilt aus, aber das kann Monate dauern. Mit Medikamenten kann der Heilungsprozess unterstützt werden. Oder auch mit einer simplen Übung, die den Druckausgleich im Ohr - den Blubb-Effekt - erzeugt: Kinder blasen dafür einfach einen Ballon auf. Halten die Beschwerden länger als ein halbes Jahr an, raten HNO-Ärzte dazu, die Polypen ambulant zu entfernen.

Die «leisen» Beschwerden nehmen Betroffene selbst oft gar nicht wahr: «Ich habe nicht daran gedacht, dass ich schlecht höre, weil mir das Ohr nicht mehr weh getan hat», erinnert sich die sechsjährige Iva. Erst als das Mami sie getestet und es ihr erklärt habe, sei es ihr aufgefallen. Kleine Tricks helfen Eltern herauszufinden, ob Ernst oder Kinderei hinter tauben Ohren steckt. «Als Iva drei Jahre alt war, fiel mir auf, dass die Folgsamkeit meiner Tochter mit unserem räumlichen Abstand zu tun hatte», erzählt Ulrike S. Zudem rückte Iva beim Zuhören näher, schaute ihr beim Reden stets auf den Mund, wirkte allgemein angestrengter.

Die zweifache Mutter griff zum ultimativen Hörtest für Kinder: «Ich habe mich hinter sie gesetzt und in nicht allzu leisem Ton gefragt, ob sie Schokolade möchte. Als die Reaktion ausblieb, bestand kein Zweifel mehr.» Ein weiterer Reaktionstest ist: sich hinter das Kind stellen, Tasse zur Hand nehmen, Löffel hinein und langsam in der leeren Tasse rühren. Verändert man dabei ständig seine Position, lässt sich gut herausfinden, bis zu welchem Abstand das Kind reagiert.

Der Knall einer Spielzeugpistole

Nicht nur Krankheiten schlagen auf die Ohren, auch Lärm kann das Gehör schädigen. So reicht nach Expertenmeinung bereits der nahe Knall einer Spielzeugpistole aus, Kindern bleibende Gehörschädigungen oder auch einen lebenslangen Tinnitus zu verpassen. Und im Teenie-Alter kommen ganz neue Lärmquellen dazu: Disco- und Konzertbesuche, dauerhafte Musikberieselung per Einsteckkopfhörer.

Einmal von der Musik in ihren Bann gezogen, haben die Jugendlichen meist kein offenes Ohr mehr für präventive Anliegen der Eltern. Wer den Nachwuchs vor selbst verschuldeten Ohrenschäden bewahren will, muss seinen Botschaften deshalb bereits im Primarschulalter Gehör verschaffen: mit gezielten Informationen über den Wert des normalen Hörens.

So reagieren Sie richtig

  • Nehmen Sie Beschwerden des Kindes ernst und gehen Sie lieber einmal zu viel zum Arzt. Ist abgeklärt, dass keine gravierende Hörschwäche vorliegt, kann man gelassener weitersehen.

  • Nutzen Sie Tests, um herauszufinden, wie weit die Hörstörung geht.

  • Erklären Sie dem Kind die Situation. Machen Sie Mut. Das schärft die Aufmerksamkeit des Kindes sich selbst gegenüber.

  • Passen Sie sich an: Sprechen Sie das Kind direkt an, vermeiden Sie grössere Abstände, unterstützen Sie Ihre Sprache mit Mimik und Gestik.

  • Informieren Sie Lehrpersonen und schaffen Sie so ein Umfeld, das ein Kind mit Hörproblemen entlastet.