Dass unser Wohnhaus einen echten Atomschutzkeller hat - 17 Jahre nach dem Ende des Kalten Kriegs -, überraschte uns. Das Merkblatt im Hausflur erklärt genau, wie dieser zu benutzen ist: Im Katastrophenfall sei «gutes Schuhwerk» mit in den Bunker zu nehmen. Wofür braucht es im Atombunker feste Schuhe? Vielleicht für die eine oder andere Wanderung? Tröstlich, dass das Merkblatt auch den Bezugsort für Jodtabletten angibt - während des Atomkriegs wird uns so wenigstens kein Kropf wachsen.

Aufgefallen ist mir auch eine seltsame Leuchttafel über dem Fahrkartenschalter im Zürcher Hauptbahnhof: «Schweiz Domestic» steht darauf geschrieben. Im Englisch-Wörterbuch fand ich für «domestic» unter anderem die Bedeutung «Dienstbote». Auf meiner Homepage www.blogwiese.ch fragte ich also, ob die SBB für Dienstboten einen besonderen Schalter eingerichtet hätten. Meine Bemerkung stiess auf Unverständnis: Einige Leser belehrten mich, «domestic» bedeute doch «inländisch», das wisse jeder Weltreisende. Nun, ich hatte es bis dahin nicht gewusst. Bleibt die Frage, warum die SBB nicht einfach «Inland» schreiben.

Wenn «Flakhelfer» im Spital arbeiten
In den ersten Monaten unseres Aufenthalts in der Schweiz ergaben sich manch seltsame Missverständnisse beim Schweizerdeutsch. So hörten wir im Radio den Begriff «Flakhelfer» und wähnten uns in einem Bericht über den Zweiten Weltkrieg. Flakhelfer sind doch Jungs, die eine Flugabwehrkanone bedienen. Irrtum: Es ging um Pflegehelfer. Ein anderes Mal sprach ein Reporter ständig von der «Waldstadt Zürich». Schweizerinnen und Schweizer verstehen natürlich auf Anhieb, dass in Wirklichkeit Weltstadt gemeint war.

Wir glaubten immer, dass wir gut Schweizerdeutsch verstehen würden, denn das war für uns das Deutsch von Emil Steinberger. Emil unterstrich seine Herkunft mit dem schweizerischen Tonfall und dem gekratzten «ch». Diese Kunstsprache war für uns Schweizerdeutsch; viele deutsche Komiker gebrauchen sie heute noch, wenn sie Schweizer nachahmen.

Erst nach einiger Zeit in der Schweiz wurde uns bewusst, dass wir von der hiesigen Sprache überhaupt keine Ahnung hatten. Auch beim Zeitunglesen stiessen wir auf zahlreiche sprachliche Unterschiede und auf Dinge, die wir nicht verstanden. Einmal las ich den Titel «In den Bergen Schnee und erst noch schönes Wetter». Für Deutsche heisst das: Zuerst scheint die Sonne, und später wird es dann schneien. Für Schweizerinnen und Schweizer bedeutet «erst noch» hingegen so viel wie «und ausserdem». Zum Schnee kommt also noch das schöne Wetter hinzu. Das kann ganz schön verwirren.

In Gesprächen wiederum sorgten simple Wörter wie «gern» und «doch» für Missverständnisse. Da bestelle ich im Restaurant ein Essen, und die Bedienung quittiert dies mit einem «gern». Soll das nun heissen «ich hab dich gern» oder «du kannst mich gern haben»? Oder zur Einleitung eines Satzes verwenden die Schweizer häufig das Wort «doch». Die Deutschen erwarten nach «doch» einen Widerspruch, etwa im Sinn von: «Doch, ich will das, auch wenn du es nicht willst.» Wenn der Schweizer sagt: «Doch, das tönt gut», dann hat er zuvor nie das Gegenteil behauptet. Für uns Deutsche «tönen» hingegen nur die Lieder, sonst «klingt» alles.

Noch komplizierter wird es in der Politik. Zum Beispiel bei der «Eintretensdebatte»: Eine solche führen die Parlamentarier nicht, weil sie eine Tür eintreten möchten, sondern wenn sie darüber streiten, ob sie ein Problem überhaupt behandeln wollen. Politiker wiederum, die gern motzen, gibt es massenhaft - die Zeitungen jedenfalls erwähnen die «Motionäre» regelmässig. Jedem Schweizer ist dabei klar: Mit der Motion, einem parlamentarischen Vorstoss, will der Motionär etwas bewegen. Auch das «Traktandum» ist hierzulande ein gern benutztes Wort - nicht nur im Bundeshaus, sondern auch bei Vereinsversammlungen, wenn «Mutationen» besprochen werden. Genveränderungen bei den Mitgliedern?

In Helvetien gilt: ohne Latein keine Sitzung. Ihr Fremdwörterlexikon sollten Sie immer dabeihaben.

«Aus einem ganz anderen Kulturkreis»
Nun sind die Eidgenossen bemüht, die Kompetenz der Kinder im Hochdeutschen früher zu fördern. Jedenfalls ist es beschlossene Sache, dass in der Schule, ja selbst im Kindergarten vorwiegend Standarddeutsch gesprochen werden soll. Ich habe meine Zweifel, ob sich das wirklich durchsetzen lässt. So sagte meine Tochter zu ihrem Lehrer stets «guten Tag» - bis er sie korrigierte. In der Schweiz sage man «grüezi». Auf meine Einwände beschieden uns die Vertreter der Schule: «Sie kommen eben aus einem ganz anderen Kulturkreis», und das war keinesfalls ironisch gemeint. Im Unterricht wird derweil weiterhin fröhlich Dialekt gesprochen, egal, was da von oben angeordnet wird oder nicht.

Auch in der Zürcher Gemeinde Schlieren hat man beschlossen, in den Kindergärten ab nächstem Jahr vorwiegend Standarddeutsch zu sprechen. Ein mutiger Plan, hat sich doch bereits eine «IG Schwyzerdütsch im Chindergarte» gebildet. Die Interessengemeinschaft schreibt Schwyzerdütsch mit «y» und empfiehlt demnach den Dialekt des Kantons Schwyz. Denn nur dieser darf sich so schreiben, wurden wir von Schwyzern belehrt. Alle anderen schreiben «Schwiizerdütsch».