Beobachter: Leute aus Ex-Jugoslawien sind in der Schweiz wenig beliebt. Haben wir es mit einem neuen Feindbild zu tun?
Berthold Rothschild: Sicher gibt es in einem gewissen Sinn ein Feindbild mitsamt den dazugehörigen Witzen – das ist ein Gradmesser. Doch es sind nicht alle Leute aus Ex-Jugoslawien gleich betroffen. Serben zum Beispiel stossen auf mehr Antipathie als Bosnier. Und Slowenen zählt man gar nicht mehr zu den «Ex-Jugoslawen». Es gibt also kein absolutes Feindbild, wie es früher etwa automatisch und kollektiv auf die Juden oder die Tamilen übertragen wurde.

Beobachter: Kommt beim Feindbild Jugo nicht auch ein Missbehagen zum Ausdruck?
Rothschild: Darin kommt zum Ausdruck, dass viele Schweizer die jugoslawischen Männer als eine raue Bande von gewalttätigen Menschen sehen.
Rothschild:
Ein grosser Teil von Delinquenz und Missständen in unserem Alltag wird auf diese Leute projiziert. Die Schweizer hatten schon immer Mühe mit Ausländern, die sich nicht ganz ruhig und angepasst schweizerisch verhalten haben.

Beobachter: Ist es nicht beschönigend, nur von Projektionen zu reden? Die Straffälligkeit und die Probleme auf der Strasse sind real...
Rothschild:
Klar gibt es auch Vorurteile, die sich im Alltag bestätigen. Die unterstellte Gewaltbereitschaft etwa bei Auseinandersetzungen in der Schule wird durch eigene Erfahrungen verallgemeinert und bestätigt.

Beobachter: Mühe macht wohl auch die anders geartete Mentalität?
Rothschild: Sicher. Es handelt sich hier um eine Kultur, in der Männlichkeit, Wehrhaftigkeit und Clandenken dominieren. Das ist uns fremd. Die kulturellen Differenzen haben eine grosse Bedeutung.

Beobachter: Vor 15 Jahren fielen Jugoslawen in der Schweiz kaum auf. Heute gelten sie als Problemgruppe. Was ist da passiert?
Rothschild: Das hat erstens mit dem Krieg und den damit gezeigten Grausamkeiten zu tun, die abstossend wirken. Zweitens haben wir die Leute jetzt nicht mehr als Fremdarbeiter, sondern als Flüchtlinge bei uns. Und die Häufung von Asylbewerbern führt in kleineren Gemeinden tatsächlich zu echten Problemen. Das darf man nicht einfach hochnäsig als Fremdenhass bezeichnen.

Beobachter: Stösst das Konzept der multikulturellen Gesellschaft an seine Grenzen?
Rothschild: Wenn es der eigenen Bevölkerung gut geht und sie viele Ressourcen hat, kann sie multikulturell funktionieren. Wenn sie aber Brüche und heikle Situationen erlebt, entstehen Probleme. Zweitens gibts Grenzen von der Zahl der neu Dazukommenden und von der Art her, wie sie der Bevölkerung aufgedrängt werden. Bei der Arbeit kann eine multikulturelle Integration entstehen. Wenn aber die Aufnahme von den Behörden aufgezwungen wird, entsteht Widerstand. Das positive Beispiel sehe ich etwa bei Jugendlichen: Im Fussballklub zum Beispiel findet eine multikulturelle Integration von Jugoslawen, Türken und anderen Ausländern statt.

Beobachter: Viele Schweizerinnen und Schweizer verlangen, dass sich Fremde hier anpassen sollen.
Rothschild:
Zu Recht sollen Minimalbedingungen erfüllt werden, etwa die Einhaltung der Gesetze, dann aber auch Rücksicht auf die hier herrschenden Sitten und Gebräuche. Ich finde, dass es auch eine sprachliche Assimilation braucht. Denn das Verharren im fremden Getto schafft auf der anderen Seite Vorurteile gegenüber Schweizern.

Beobachter: Frauen fühlen sich durch eine spezielle Anmache von Ex-Jugoslawen belästigt. Müssen sie das tolerieren?
Rothschild: Nein, man darf eine Anpassung des Verhaltens gegenüber älteren Leuten, Frauen und Kindern verlangen, denn auch die Gefühle der Einheimischen sind zu respektieren.

Beobachter: Wie ist es beim Kopftuch? Sollen moslemische Mädchen dem Turn- und Schwimmunterricht fernbleiben dürfen?
Rothschild: Man kann in guten Treuen die Auffassung vertreten, wer hier zur Schule gehe, dürfe keine Ausnahmeprivilegien beanspruchen. Ich neige eher zur Meinung, dass es für eine Gesellschaft interessant und bereichernd ist, wenn sich Kulturen bewahren können. Wir haben auch in der Schweiz mit ihren Landesteilen eine Differenzkultur. Die Tendenz zur Gleichmacherei hingegen richtet sich gegen alle, die nicht ganz konform leben – also auch gegen Behinderte mit Schweizer Pass.

Beobachter: Wo sehen Sie Gefahren der explosiven Stimmung?
Rothschild: In der politischen Ausbeutung des Problems – wenn so getan wird, als ob dadurch unser Land bedroht sei. Dann aber auch im menschlichen Leid der Betroffenen. Und schliesslich in der falschen Rechtschaffenheit der Schweizer, die gar zu leicht mit dem Finger auf andere zeigen.

Beobachter: Rechtskonservative können allerdings einen Nutzen aus der Situation ziehen, solange andere Politiker das Problem schönreden...
Rothschild:
Richtig. Es gibt übrigens auch die politische Ausbeutung von links, wenn jemand sich als Menschenrechtler hinstellt, ohne dass es ihn etwas kostet. Es müsste ein wirkliches Interesse und der Wille da sein, das grosse Problem zu sehen und zu lösen. Etwa indem man die fremde Minderheit in die eigene Partei integriert und nicht in ihrem kulturellen Getto belässt.

Beobachter: Eine schwierige Aufgabe.
Rothschild:
Das «Jugo-Problem» ist mit seinen Folgen tatsächlich eine Zumutung für unsere Bevölkerung. Aber ich finde: eine zumutbare Zumutung.