Peter Roth verströmt die unbändige Energie eines verwundeten Tiers. Er möchte nur noch eins: die aufgedeckten Schweinereien der ganzen Welt mitteilen. Mit seinem Toyota 4x4 fährt oder besser gesagt katapultiert er den Reporter von Chalet zu Chalet, von Tatort zu Tatort. Der Mann mit dem kantigen, fast haarlosen Schädel, hart wie der Malmkalk des Eigers, kennt die Strassen des Gletscherdorfs aus dem Effeff. Er war Fahrlehrer, früher, als er noch einer geordneten Tätigkeit nachging. Seit Monaten ist er vor allem damit beschäftigt, das lokale Baugewerbe und die Behörden anzuprangern.

Er deckte auf, dass bei vielen Wohnungen, die laut lokalem Baureglement Einheimischen vorbehalten sind, im Grundbuch der entsprechende Eintrag fehlte. Der Verdacht: Sie wurden stattdessen als lukrative Ferienwohnungen an Auswärtige verkauft. Der «Chalet-Skandal» von Grindelwald geriet in die nationalen Schlagzeilen. Hinter jeder Überbauung wittert Roth seither Betrug, Manipulation und Gier.

Seine Jagd gilt geschlossenen Fensterläden: Ferienwohnungen, die fast das ganze Jahr über leer sind, kalten Betten. Besonders verdächtig ist ihm jede Friedli-Wohnung. Markus Friedli, 49, Immobilienkönig von Grindelwald, Chef der GriwaGroup: GriwaConsulting, GriwaPlan, GriwaHotels, GriwaRent, GriwaTreuhand. «Friedli ist ein Heimatkiller. Er zerstört Grindelwald», krachts aus des Jägers Mund. Die blauen Augen funkeln, prüfen, wies beim Gegenüber ankommt. Und als ob das nicht gereicht hätte, wird nachgelegt: «Er kommt mir vor wie der weisse Mann, der die Indianer unterdrückt. Die Indianer sind wir Grindelwalder.»

Widerstand gegen die Masslosigkeit

Grindelwald hat 4000 Einwohner, eine Hauptstrasse und an manchen Tagen 20'000 Besucher. Der «Grindelwalder Typ» ist eine Mischung aus Bergkelten und Alemannen, heisst es im Dorfporträt im Internet. Er habe sich in jüngster Zeit «immer stärker mit Zuwanderern aus der Schweiz und Europa vermischt». Das «leider» muss nicht geschrieben werden, man hört es heraus. Die Indianer bleiben lieber unter sich. So haben sie kürzlich gegen die Weiterführung der Personenfreizügigkeit mit der EU gestimmt.

Doch die Invasoren aus dem Unterland sind schon längst im Tal, als Besitzer von Ferienwohnungen. Sie stammen aus Buxton, Grossbritannien, aus Winchester, USA, oder aus Hinterkappelen, Bern. Dabei läuft das Geschäft zwischen Indianern und Trappern seit Jahren ganz einträchtig: Die Indianer verkaufen dem Friedli Bauland, der plant und finanziert, und das lokale Gewerbe baut.

In den vergangenen 40 Jahren wurden in Grindelwald über 2200 Wohnungen hochgezogen. Das neuste Friedli-Projekt «Central-Park» ist ausgesteckt: sechs Einfamilienhäuser, sechs Mehrfamilienhäuser, ein Hotel und Appartements, mitten im Dorf am Sonnenhang. Eine andere Immobilienfirma bietet Bauland an: in der «Habsucht».

Vor zwei Jahren wurde der Verein gegen die masslose Überbauung Grindelwalds gegründet. Doch es im Gletscherdorf in aller Öffentlichkeit mit der Baulobby aufzunehmen kann gefährlich werden. Die erste Präsidentin des Vereins trat bereits nach fünf Wochen zurück. Friedli hatte eine kurze Unterredung mit dem Chef ihres Mannes gehabt. Das reichte.

«Es ist alles gigantisch»

«Fast in jeder Familie ist jemand, der vom Baugewerbe abhängig ist», sagt Christine Egger. Sie ist nicht etwa eine Grüne, sondern war sechs Jahre lang im Vorstand der lokalen SVP. Auch sie vermietet in ihrem Chalet eine Ferienwohnung: 120 Quadratmeter, inklusive Schwimmbad, Whirlpool, Solarium. «Man wusste bereits seit Jahren, dass Erstwohnungen für Einheimische reglementswidrig als Zweitwohnungen genutzt oder als Ferienwohnungen vermietet wurden.» 2002 reichte sie Beschwerde gegen den Gemeinderat ein. Passiert sei wenig. Sie kritisiert nicht ganz uneigennützig: Gäste, die im eigenen Chalet Ferien machen, mieten keine Ferienwohnung mehr.

Und kein Hotelzimmer. Vreni Nakajima-Schild, Wirtin des Waldhotels Bellary, klagt: «Es ist alles gigantisch, übertrieben – nicht mehr gesund.» Der Hang vor ihrem Hotel war vor wenigen Jahren eine Wiese. Heute stehen dort keine Kühe mehr, sondern Friedli-Chalets. Vorsichtig, als wäre es eine Reliquie, klaubt sie das Gästebuch von 1902 aus einer Vitrine. «Hermann Hesse», steht da, in schwungvoller Schrift. In der Hotellobby hängt ein Ausschnitt seiner Erzählung «Grindelwald», kopiert und gerahmt. «Das Licht feierte prahlende Feste auf dem reinen, fleckenlosen, seidig weichen Schnee», schrieb der berühmte Gast. Würde Hesse heute dichten, müsste er gelbe Baukräne besingen, die sich vor der Hotelterrasse ein Stelldichein geben. Friedli lässt wieder einmal bauen.

Markus Friedli, Major im Militär, vor gut 20 Jahren zugewandert aus dem Unterland, ist kein Indianer. Doch mittlerweile ist er assimiliert: Präsident des lokalen Handwerker- und Gewerbevereins, grosszügiger Spender (100'000 Franken fürs Heimatmuseum) und Sponsor der hiesigen Skirennfahrerin Martina Schild (das «Griwa-Mädel»), Mitglied bei einer evangelischen Freikirche. Zudem organisiert er das jährliche Alpensymposium im Hotel Victoria-Jungfrau in Interlaken. Ein Zweitagesticket kostet 990 Franken – ohne Hotelzimmer. In gediegener Atmosphäre schüttelt er geladenen Rednern wie Joschka Fischer und Bill Clinton die Hand. «In der Politik», sagt er aber, «bin ich ganz bewusst nicht.» Das ist auch nicht nötig. Vier von sieben Gemeinderäten Grindelwalds sind im Baugewerbe.

Kürzlich, nach der schlechten Presse über Grindelwald («Chalet-Skandal», «Bau-Filz»), brachte das «Echo von Grindelwald», die Lokalzeitung, eine Seite über Friedlis Imperium: kein kritischer Einwand, eine einzige Lobhudelei und Selbstdarstellung. Das Blatt könnte genauso gut «Echo von Friedli» heissen.

Der Trend heisst High End

Besuch beim Immobilienkönig Friedli. Er residiert im obersten Stock des Chalets Diamant an der Hauptstrasse. Arbeitspult aus französischem Nussbaum, eine Sonderanfertigung, gedrechselte Beinstrünke, massiv, ziseliertes Schnitzwerk. Ein Chefsessel, englisches Fabrikat, wie eine in Leder gefasste Sitzbadewanne. Ein Cheminée, ungebraucht, aus bretonischem Stein. Eine Biographie Bill Clintons auf dem Bücherbord, eine Fotografie, die Friedli neben Formel-1-Pilot Michael Schumacher zeigt. An der Wand hängt das obligate Gemälde in Öl: ein Bauernhäuschen, davor ein Kind. Pferde. Eine ländliche Idylle.

Herr Friedli, wer zahlt eigentlich drei Millionen Franken für eine Ferienwohnung? «Im Vergleich zu St. Moritz und Gstaad sind wir noch günstig.»

Das sind ja mehr als Stadtzürcher Preise. Wahnsinn! «So tragisch ist das nicht. Ich habe schon vor zehn Jahren entschieden, dass wir ins High End hineingehen, eben ins obere Segment.»

Stimmt es, dass Sie das Chalet Jersey für 3000 Franken vermieten? Im Tag? «Ja, öppe dört dure. Das ist ein spezieller Markt. Zum Teil wird noch viel mehr bezahlt. Das ist einfach der Trend heute. Das ist High End.»

Man wirft Ihnen vor, hässliche Überbauungen hinzustellen. «Was wir nicht machen, sind Nullachtfünfzehn-Wohnungen für drei-, vierhunderttausend Franken. Das ist schade ums Bauland.»

Während des Gesprächs bringt er immerzu den aufgeschlagenen Firmenprospekt auf Kante mit dem darunterliegenden Schreibblock.

Friedli hat sich von unten hochgearbeitet. Nach einer Schreinerlehre wurde er Architekt, kam als Praktikant nach Grindelwald. Und blieb. Zahlte seine Partner aus und vergrösserte die Firma. Schritt für Schritt. Die Einheimischen verkaufen ihm Bauland, er finanziert und plant.

Solcher Erfolg produziert Neider, gar Feinde. In einem Leserbrief wurde er als Nachfolger Idi Amins bezeichnet, mit dem brutalen Diktator verglichen. Ein anderer verlangte in einem Brief an den Gemeinderat, das «Krebsgeschwür» mit seinen Metastasen müsse «beseitigt» werden. Der Autor musste später bezeugen, dass er nicht die Absicht habe, Friedli umzubringen. Nachts pöbeln Unbekannte vor seinem Haus.

Herr Friedli, wegen eines Ihrer Projekte muss eine Familie ausziehen, habe ich vernommen. Andere müssen wegziehen, weil sie sich Ihre Wohnungen nicht leisten können. «Bei mir ist noch nie jemand auf die Strasse gestellt worden.»

In der Lokalpresse suchen Sie per Inserat günstigen Wohnraum für eine einheimische Familie. Das ist doch schizophren. «Das kann mir im Grundsatz völlig wurscht sein. Ist es mir aber nicht. Wir suchen für mehrere Familien. Im weitesten Sinn ist das soziales Engagement.»

Warum gibt es denn einen Verein gegen masslose Bauerei in Grindelwald? «Diese Leute sind nicht in der Lage und nicht gewillt, sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Ich war der Erste, der sich beim Verein anmeldete. Am Tag der Gründung.»

Das ist ja fast unverschämt. «Es sind die Einheimischen, die das Land verkaufen wollen. Diese Tatsache kann ich nicht ändern. Auch Leute aus diesem Verein wollen mir ihr Land verkaufen.»

Der Gemeindechef fordert Vertrauen

Besuch im Gemeindehaus, einem Grindelwalder Holzchalet mit weissen Gardinen samt Rüschchen. Wie ein Lebkuchenhaus nimmt es sich aus zwischen den modernen Überbauungen. Emanuel Schläppi, Mäni genannt, ist Gemeindepräsident. Erst seit einem Jahr. Auf diesen Hinweis legt er Wert.

Auch er vermietet eine Ferienwohnung, lauert fast schüchtern auf Fragen des Reporters. Vier Stiche hängen an der Wand, mit den beiden Grindelwaldgletschern, aus Zeiten, als der untere noch bis ins Dorf hinabzüngelte. Auch das obligate Gletscherbild in Öl.

Chalet-Skandal? Der Gemeindechef findet, da werde etwas «emporstilisiert»: «Man lässt nicht locker und drückt und drückt immer wieder auf die gleiche Wunde. Grundsätzlich habe ich sehr ähnliche Ansichten wie Herr Roth und wie der Verein gegen das masslose Bauen», strömts aus weichem, gutmütigem Gesicht.

Grundsätzlich sind im Gletscherdorf alle gegen masslose Bauerei.

Wo ist das Problem? «Das ist der Markt, der hier spielt. Ich möchte das auch lieber nicht. Dass derart hohe Preise bezahlt werden, darüber staune ich auch.»

Und an die Adresse des Kritikers: «Herr Roth sollte ein bisschen Vertrauen in den neuen Gemeinderat haben. Das sind schliesslich auch Weggefährten in seinem Alter.»

Früher sind die Weggefährten noch zusammen Ski gefahren. Beide waren sie Skilehrer; Roth schwärmt noch heute davon. Er ist Grindelwalder, die Bergkelten und Alemannen sind auch seine Vorfahren, er ist ein richtiger Indianer. Roth war einer von ihnen, gehörte dazu.

Heute sinnt Peter Roth nur noch auf Rache, seit er und sein Bruder vor ein paar Jahren im Rahmen eines Auszonungsverfahrens und eines wüsten Erbstreits faktisch enteignet wurden. Ein Betriebsunfall. Wäre das nicht passiert, hätte wohl auch er sein Bauland verkauft und den Mund gehalten. Wie viele im Dorf.

«Ich habe nur eine Frage gestellt»

Herr Friedli, warum haben Sie Druck auf die Ex-Präsidentin des Vereins gegen die masslose Überbauung Grindelwalds ausgeübt? «Ich habe dort absolut keinen Druck ausgeübt. Ich kenne die Margrith sehr gut. Ihr Mann arbeitet jahrein, jahraus auf unseren Baustellen. Und den Hans kenne ich sehr gut. Ich habe seinen Chef gefragt, ohne Druck: ‹Du, ist das nicht problematisch, wenn die Frau vom Hans, der jahrein, jahraus auf meinen Baustellen arbeitet…? Sägt sie nicht praktisch am Ast, auf dem sie zusammen sitzen?› Das ist alles.»

Aber die arme Frau ist sofort zurückgetreten. «Das war ihr Entscheid. Ich habe nur eine Frage gestellt. Ist das nicht legitim?»

Verträgt sich diese Art von Druckausübung mit Ihrer Frömmigkeit? «Ich habe genauso das Recht, meine Meinung zu äussern, wie alle andern auch. Es gehört sich einfach nicht, schlecht über jemanden zu reden, von dem man Arbeit bekommt. Das macht man nicht. Das ist unanständig.»

Beten Sie manchmal für Ihre Kritiker? «Ja, sehr oft. Segnet, die euch fluchen!»