Wenn kurz vor sechs Uhr der Radiowecker Musikfetzen in meine Träume streut, dann meldet sich mit dem erwachenden Bewusstsein auch der Parkinson. Meine schmerzende, steife Beinmuskulatur lässt mich nur mühsam in die Küche schlurfen. Dort schlucke ich die erste Dosis meiner Medikamente. Wenn ich Glück habe, geben sie mir in einer knappen Stunde die volle Beweglichkeit zurück. Habe ich Pech, dann verzögert sich ihre Wirkung: Meine Bewegungen bleiben steif und ungelenk, meine Handgriffe unpräzis und linkisch. Das Aufdrehen des Zahnpastadeckels wird zur Geduldsprobe, der Ohrring fällt mir mehrmals runter, die Blusenknöpfe scheinen zu gross für die Knopflöcher, die Schnürsenkel wollen sich partout nicht zur Lasche formen. Handgriffe, die ich sonst ohne besondere Aufmerksamkeit erledige, erfordern nun höchste Konzentration und treiben mir den Schweiss auf die Stirn.

Ein Leben an der kurzen Leine

In solchen Momenten befällt mich Verzweiflung und Mutlosigkeit. Ich fühle mich dieser bleiernen Krankheit ausgeliefert: Jeden Muskel sperrt sie in ein Korsett, und sie wirft mich zurück auf die motorische Geschicklichkeit einer Zweijährigen. Ich kann dann kaum glauben, dass ich je wieder mit Leichtigkeit gehen, hüpfen und tanzen kann; dass meine Hände wieder geschmeidig und geschickt zugreifen und streicheln können. Setzt dann endlich die Wirkung der Medikamente ein, geht eine Welle der Erleichterung durch meinen Körper. Die Knoten der Verspannung lösen sich, die Bewegungen müssen nicht mehr erfunden werden, mein Kopf wird frei für Gedanken, Ideen und Pläne.

Doch leider hält mich Parkinson an einer kurzen Leine. Er lässt sich nur minutenweise vergessen. Selbst wenn es mir gut geht, ist ein Teil meines Bewusstseins mit ihm beschäftigt, vergleicht die momentane Geschwindigkeit und Qualität der Bewegungen mit dem Idealzustand und errechnet den Zeitpunkt für die nächste Medikamenteneinnahme.

Fliessende Bewegungen geniessen

Manchmal kommt es mir vor, als sei ich mit einem kleinen Kind unterwegs, das in den unmöglichsten Augenblicken Hunger kriegt, auf die Toilette muss, quengelt, trödelt oder gar nicht mehr weiter will. Zwar schenkt mir das Parkinsonkind nie ein bezauberndes Lächeln, doch es lässt sich am besten mit ihm leben, wenn ich mich mit ihm arrangiere und jede Stunde so akzeptiere, wie sie ist.

Die jahrelange Erfahrung, dass jede schlechte Phase von einer besseren abgelöst und begrenzt wird, hilft mir oft, die Stunden der klammen Bewegungslosigkeit mit Gelassenheit vorbeiziehen zu lassen; sehr bewusst geniesse ich dann die folgende, gute Phase. Wenn meine Bewegungen wieder fliessen, geht es mir auch ähnlich wie mancher Mutter mit kleinen Kindern, wenn nach einem anstrengenden Tag alle im Bett sind und sie endlich wieder Zeit für sich hat.

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