Ein wenig nervös ist Hanspeter K. schon. «Wir werden die Verengung in Ihrer Beinarterie sprengen», teilt ihm der Röntgenarzt mit. Sprengen? Hanspeter K. denkt spontan an Lärm und Dynamit. Aber die Prozedur ist nicht gerade explosiv. Der Arzt macht einen kleinen Einschnitt in die Leiste und schiebt einen dünnen Katheter in die Arterie vor. Jetzt erscheinen auf dem Monitor der Röntgenanlage einige Knochenumrisse, und plötzlich windet sich am Bildrand eine graue Schlange vorwärts der Katheter. Er bewegt sich zielstrebig: zunächst parallel zum Oberschenkelknochen, dann am Knie vorbei. Hanspeter K. weiss nicht so recht, ob er fasziniert oder abgestossen sein soll schliesslich sieht er Schritt für Schritt, was in seinem Innern vor sich geht.

Der Katheter hat sein Ziel im Unterschenkel erreicht. Nun spritzt der Arzt eine klare Flüssigkeit hinein ein Kontrastmittel. Die Arterie, in der der Katheter steckt, erscheint auf dem Monitor schlagartig schwarz. Deutlich kann Hanspeter K. erkennen, wie eine Verengung den Blutstrom in seinem Bein behindert. Ihm wird klar, weshalb er beim Gehen immer derartige Schmerzen hatte: Durch das fast verschlossene Gefäss gelangt kaum mehr Blut, die Sauerstoffzufuhr zu seinen Beinmuskeln ist abgedreht.

Durch den Katheter schiebt der Arzt jetzt vorsichtig einen dünnen Draht bis zur Engstelle. An seiner Spitze befindet sich, vorläufig noch straff aufgewickelt, ein kleiner, länglicher Ballon. Das Ballönchen wird für einige Sekunden mit einem «Schuss» Druckluft aufgeblasen, und die verengte Stelle weitet sich. Die erneute Kontrolle mit dem Kontrastmittel zeigt das Ergebnis: Dank der kleinen Sprengung strömt das Blut wieder ungehindert durch die Arterie. Hanspeter K. stösst einen erleichterten Seufzer aus.

Radiologie ganz ohne Strahlen

Seit Wilhelm Conrad Röntgen 1895 die Röntgenstrahlen entdeckte, gingen acht Nobelpreise an Wissenschaftler und Ärzte aus dem Gebiet der Strahlenkunde (Radiologie). Der Pionier der Radiologie machte noch Aufnahmen vom Skelett seiner Hand und holte sich eine sonnenbrandähnliche Verstrahlung der Haut. Später lernten die Forscher viel über die geheimnisvollen Strahlen dazu und entwickelten ein raffiniertes Werkzeug der medizinischen Diagnostik und Therapie. Conrad Röntgen würde staunen, wenn er heute Patient in einer Radiologieabteilung wäre.

Die Radiologen machen sich zu Nutze, dass die einzelnen Gewebe eine unterschiedliche Durchlässigkeit für Strahlung besitzen. Zum klassischen Repertoire der Radiologie gehören heute Techniken wie Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRI) und Ultraschall (Sonographie). Bei gewöhnlichen Röntgenaufnahmen werden die Strahlen schnurgerade durch einen Körperteil hindurch auf einen Film «geschossen». Dieser wird dadurch, ähnlich wie bei einer Fotografie, verschieden stark geschwärzt. So werden Knochen und Weichteile auf dem Röntgenbild sichtbar.

Bei der Computertomographie durchdringen die Strahlen den Patienten nicht mehr von vorn nach hinten. Sie umkreisen ihn vielmehr, und so entstehen scheibchenförmige Röntgenbilder seines Inneren.

Eine der neusten radiologischen Techniken kommt sogar ohne Strahlen aus. Die Magnetresonanztomographie beruht auf der Wirkung von Magnetfeldern: Magnetische Impulse werden in den Körper gesandt und dort reflektiert. Ein Computer verarbeitet die Reflexmuster zu einem Bild.

Krankheiten nicht nur diagnostizieren, sondern auch gleich behandeln das ist der Sinn der therapeutischen oder auch interventionellen Radiologie. Sie macht heute einen grossen Teil der Arbeit in den Röntgeninstituten aus. Mit interventioneller Radiologie werden zum Beispiel verengte Gefässe erweitert. Nicht nur wie bei Hanspeter K. in den Beinen, sondern auch am Herzen. Vielen Patientinnen und Patienten mit einer Verkalkung der Herzkranzgefässe bleibt dadurch eine Operation erspart. Damit sich ein aufgeweitetes Blutgefäss nicht wieder verschliesst, sichert man den Erfolg häufig mit einem so genannten Stent. Das ist ein kleines Röhrchen aus Metallgeflecht, ähnlich einem Maschendrahtzaun. Es wird in das aufgeweitete Gefäss eingeführt und hält dieses durch Druck von innen her offen. Mit einem Stent können Radiologen auch verstopfte Gallengänge weiten oder Abszesse und andere Flüssigkeitsansammlungen anstechen und ableiten.

Bösartiges Gewebe erstickt

Unter Röntgenkontrolle werden Blutgefässe aber auch gezielt verschlossen und zwar dann, wenn man einem schlecht operablen Krebsgeschwür die Blutzufuhr «abdrehen» möchte. Der Röntgenarzt manövriert einen Katheter bis zu den Arterien, die den Tumor versorgen, und spritzt eine Mischung aus kleinen Kunststoffkugeln hinein. Diese verlegen die Adern und verhindern, dass die Geschwulst weiter durchblutet wird. Das bösartige Gewebe erstickt buchstäblich und stirbt ab.

Vor Röntgenstrahlen müssen sich die Patienten heute nicht mehr fürchten, denn die modernen Röntgenapparate dosieren die Strahlung sehr genau und sparsam. Nebenwirkungen wie die Verbrennungen von Conrad Röntgen gibt es kaum mehr. Röntgenstrahlen sind auch Teil der elektromagnetischen Strahlung, die überall im Kosmos vorkommt und der alle Menschen ausgesetzt sind. Je näher man dem Himmel kommt zum Beispiel auf dem Jungfraujoch oder bei einer Flugreise , desto stärker wirkt diese Strahlung. Zum Vergleich: Eine Frau, die ihre Brust röntgen lässt (Mammographie), ist etwa der gleichen Strahlenintensität ausgesetzt wie ein Passagier auf einem Interkontinentalflug.