Beobachter: Frau Högger, mit welchen Erwartungen kommen adoptionswillige Paare zu Ihnen?

Sabine Högger: Viele Paare erwarten Antworten auf ihre Fragen zum Thema Adoption, aber auch eine Bestätigung in ihrem Wunsch nach einem Kind. Ich sage den Paaren aber ganz klar: «Uberlegen Sie sich, was Sie zu tragen bereit sind emotional und finanziell. Wo sind Ihre Grenzen?» Ein Paar sollte den Mut haben, Nein zu sagen, wenn es sieht, dass es die Last nicht tragen kann.

Beobachter: Kinderlosigkeit ist ja heute kein Tabu mehr.

Högger: Sie ist in der Gesellschaft eher akzeptiert als früher. Dennoch leiden ungewollt kinderlose Paare sehr unter ihrer Situation.

Beobachter: Welche Erwartungen haben die Paare an ihr adoptiertes Kind?

Högger: Oft sind die Erwartungen unbewusst. Klar ist, dass ein Adoptivkind einen Mangel aufheben soll. Es kann aber nicht das ungeborene leibliche Kind eines Paares ersetzen, sondern ist ein anderes, eigenständiges Kind, das eine eigene Persönlichkeit mitbringt. Wenn Adoptiveltern dieses Kind als eigenständigen Menschen akzeptieren, würdigen sie auch seine leiblichen Eltern.

Beobachter: Die Herkunft des Kindes ist also ein Thema, das eine Adoptivfamilie ein Leben lang begleitet?

Högger: Das kann für die Adoptiveltern in der Tat eine schmerzliche Erfahrung sein. Sie müssen sich mit der Herkunft des Kindes auseinandersetzen. Die leiblichen Eltern sollten nicht totgeschwiegen werden, aber sie sollten auch nicht zum Mythos hochstilisiert werden. Ein Kind sollte auch die Möglichkeit haben, die Kultur seines Herkunftslandes kennen zu lernen im Sinn eines Angebots, nicht als Zwang.

Beobachter: Wann sollten Eltern ihr Adoptivkind über seine Herkunft aufklären?

Högger: Wenn man ein Kind schon vor dem Kindergarten über seine Herkunft aufklärt umso besser, denn so kann es auch im Kindergarten und später in der Schule darüber reden. Das gibt ihm Sicherheit, wenn andere Kinder Fragen stellen. Wenn die Adoption aber in der Familie etwas Verdrängtes und Geheimnisumwittertes ist, dann hat das Kind das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist. Je klarer die Situation für die Adoptiveltern ist, desto einfacher ist es auch, dem Adoptivkind Selbstwertgefühl zu vermitteln. Dann kann man dem Kind zeigen: Du bist in Ordnung so, wie du bist.