Als Eveline Brown in den Flieger stieg, stellte sie sich die Rückkehr in die Schweiz etwas anders vor. Doch sie landete auf dem Boden der Realität. Die Damenschneiderin aus Bern hatte 15 Jahre lang in New York gelebt, Stars und Sternchen eingekleidet und den Anzügen von Al Gore den perfekten Schnitt verpasst. Sie hat sie alle gesehen – in Unterwäsche.

Eveline Brown meinte, ihre Dienste seien in der Schweiz genauso gefragt. Schliesslich wimmelt es hier von reichen Leuten. Doch es kam anders. «Ich musste merken, dass den Leuten hier das Geld nicht so locker in der Tasche sitzt und dass niemand auf mich gewartet hat.»

Nach dem Lehrabschluss war Eveline Brown mit dem Praktikumsprogramm des Bundes in die Staaten gereist, schlug Wurzeln, heiratete einen Amerikaner, gründete eine Familie. Vor vier Jahren kam sie zurück. Und stand wieder da, in der alten Heimat, mit Mann und zwei Söhnen. Der ältere war gerade ins Kindergartenalter gekommen, und ihr Mann, der keine Ausbildung hatte, fand in der Schweiz keinen Job.

Auf sich allein gestellt

Die heute 43-Jährige fand zwar Arbeit, doch die war schlecht bezahlt. Es reichte hinten und vorn nicht. Dann ging auch noch die kriselnde Beziehung in die Brüche, es kam zur Scheidung. Die Kinder leben seither hauptsächlich bei ihr, Alimente erhält sie nicht.

Wie Eveline Brown geht es vielen Alleinerziehenden in der Schweiz. Die meisten sind Frauen, viele arbeiten im Tieflohnbereich und erhalten zu wenig bis gar keinen Unterhalt. Gemäss Statistik ist jede sechste Einelternfamilie arm, erwirtschaftet also kein Einkommen, das die Existenz sichern würde. Das Armutsrisiko ist bei Alleinerziehenden je nach Anzahl Kinder zwei- bis viermal so gross wie bei Familien mit zwei Elternteilen. Manchen bleibt – trotz Erwerbsarbeit – nur der Gang aufs Sozialamt Lebensunterhalt Sozialhilfe – was heisst das überhaupt? .

Vielen dieser Frauen würde eine Weiterbildung oder Umschulung helfen, um langfristig wieder auf eigene Beine zu kommen. Allerdings finden zwischen Job und Windeln die wenigsten Zeit und Kraft, sich damit auseinanderzusetzen – und haben erst recht nicht das Geld für teure Kurse und Lehrgänge.

Ein Diplom muss her

Das war bei Eveline Brown nicht anders. Als sie 2017 ihre Festanstellung als Schneiderin verlor, nutzte sie aber die Zeit, um sich schlauzumachen über andere Möglichkeiten. Ihre Chance sah sie als Atelierleiterin an einer Modefachschule. Sie würde genug verdienen, um die Familie zu ernähren, und könnte ihr Wissen weitergeben – ein lang gehegter Traum.

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Ihre vielfältigen Erfahrungen in der Modewelt reichten aber nicht. Um an der Fachschule unterrichten zu können, benötigte sie die höhere Fachprüfung, einen Basisabschluss in Erwachsenenbildung, den sogenannten SVEB 1. Zudem musste sie die Schnitttechnik mit CAD lernen. «Die Digitalisierung macht auch vor unserem Beruf nicht halt», sagt sie. Eveline Brown fand einen Anbieter für das SVEB-Zertifikat sowie einen zweijährigen Studiengang an der Textilfachschule, den sie nebenberuflich absolvieren könnte. Die Kosten für alles zusammen: rund 30'000 Franken.

Die Ämter zu überzeugen, dass dies der richtige Weg sei, war quasi ein Vollzeitjob. Das RAV verlangte eine Bestätigung des Sozialamts, dass der Grundbedarf nicht gekürzt würde. Das Sozialamt wollte vom RAV die Zusicherung, dass keine Taggelder gestrichen würden. Beide wollten von der Laufbahnberatung eine Bescheinigung, dass die Ausbildung wirklich notwendig ist. «Die Behörden durften sich nicht direkt untereinander austauschen», sagt Brown. «Ich stand da und musste irgendwie den Weg durch diesen Dschungel finden.»

Klar war: Das Geld für die Ausbildung musste sie selber auftreiben. Denn weder RAV noch Sozialhilfe finanzieren in der Regel Aus- oder Weiterbildungen – selbst wenn sie das langfristig gesehen günstiger zu stehen käme.

«Ich musste merken, dass niemand auf mich gewartet hat.»

Eveline Brown, Schneiderin, alleinerziehende Mutter

Eveline Brown, Schneiderin, alleinerziehende Mutter.

Quelle: Vanessa Bachmann
«Ein typisches Armutsrisiko»

Hilfe fand Eveline Brown unter anderem bei SOS Beobachter. Die Stiftung springt ein, wenn die staatlichen Sicherungssysteme nicht mehr greifen und Aussicht besteht, dass ein Engagement auf lange Sicht zu mehr Eigenständigkeit führt.

Relativ häufig seien es Alleinerziehende, die bei SOS Beobachter Hilfe suchen, sagt Geschäftsleiter Walter Noser. «Es ist eben ein typisches Armutsrisiko, wenn man nach einer Trennung plötzlich zwei Haushalte finanzieren muss und auch noch einen schlecht bezahlten Beruf ausübt.» Für viele seien Umschulungen oder Weiterbildungen die einzige Möglichkeit, der Armutsfalle zu entkommen. Entsprechend häufig gehen bei der Stiftung Gesuche um Kostenbeiträge für Kurse oder Lehrgänge ein. Doch längst nicht alle können bewilligt werden. «Wir müssen oft passen, weil wir schlicht nicht genug Geld haben.»

Jedes Gesuch werde sehr genau geprüft, sagt Noser. «Für Selbstverwirklichung sind wir nicht zuständig. Wir brauchen auf jeden Fall die Bestätigung von Berufsberatungen, dass die gewünschte Weiterbildung die Chancen erhöht, wieder eine Stelle zu finden und die Existenz zu sichern.» Ob das am Ende immer gelingt, könne die Stiftung nicht überprüfen. «Das wäre viel zu aufwendig.» Praktisch immer kommen die Erfolgsmeldungen aber von selber – in Form von Dankesbriefen an die Stiftung.
 

Plötzlich kam vieles in Gang

«Ihre Spende hat mir enorm geholfen», schreibt zum Beispiel Zuzanna Bohdanowicz. Der 41-jährigen Mutter einer fünfjährigen Tochter nützte der Zustupf von SOS Beobachter sogar in doppelter Hinsicht. Dank ihm konnte sie eine halbjährige Ausbildung als Social-Media-Community-Managerin absolvieren. Zudem fand die damals Arbeitslose indirekt auch gleich noch einen Job. Nach dem Abschluss stellte die Hauptdozentin des Lehrgangs sie befristet in ihrer Kommunikationsagentur ein. So kam Bohdanowicz schliesslich auch zu ihrem heutigen Arbeitgeber. Er war Kunde der Agentur.

Zuzanna Bohdanowicz ist eine Frau mit vielen Fähigkeiten. Ursprünglich hat sie das KV gemacht, dann Kunstgeschichte studiert und sich auch noch zur Yogalehrerin ausbilden lassen. Über das Yoga fand sie dann ihren ersten Job im Kommunikationsbereich. «Ein Kursbesucher fragte mich, ob ich für seine Firma einen Blog betreiben könnte.» Sie hatte zwar null Erfahrung – sagte aber zu, ohne zu zögern. «Kommunikation liegt mir, und ich habe ein Flair fürs Visuelle, das war die perfekte Kombination.»

Nach und nach übernahm sie weitere Aufgaben im Marketing. Wo ihr das Fachwissen fehlte, half sie sich mit Youtube und Google. «Irgendwann dachte ich aber, eine Ausbildung wäre gut, auch für meine weitere Karriere.» Bohdanowicz meldete sich für den Lehrgang in Community-Management an. Kurz danach verlor sie ihre Stelle, aus wirtschaftlichen Gründen.
 

«Ich habe stets offen darüber gesprochen, und das hat mir sehr viele Türen geöffnet.»

Zuzanna Bohdanowicz, Kommunikationsmanagerin


Vom Vater ihrer Tochter hatte sie sich zwei Jahre zuvor getrennt. Die Fünfjährige lebt heute dienstags bis freitags und jedes zweite Wochenende bei Zuzanna Bohdanowicz, die anderen Tage beim Vater. Die Betreuung war damals hälftig aufgeteilt. Damit ist Bohdanowicz zwar keine typische Alleinerziehende, aber mit den gleichen Problemen konfrontiert: Sie musste mit den 80 Prozent Arbeitslosengeld Jobverlust Haben Sie Anspruch auf Arbeitslosengeld? ihres vormaligen 50-Prozent-Gehalts durchkommen. Stellen gab es genug, doch normale KV-Jobs erhielt sie nicht. Unter anderem oft weil sie wegen des abgeschlossenen Hochschulstudiums als überqualifiziert taxiert wurde. Und für einen Job im Marketing fehlten ihr die nötigen Zertifikate.

Die 5000 Franken für die halbjährige Ausbildung, die sie bereits gebucht hatte, konnte sie sich nicht mehr leisten. Mit Hilfe von SOS Beobachter und einer weiteren Stiftung hat es dann doch geklappt. Heute arbeitet Bohdanowicz 60 Prozent. Das Geld ist zwar knapp, und für Ferien in Übersee und anderen Luxus reiche es nicht. Doch sie könne selber für sich und ihre Tochter sorgen.

«Viele Leute in meiner Umgebung haben mich unterstützt. Ohne sie wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin.»

Zuzanna Bohdanowicz

Zuzanna Bohdanowicz, Kommunikationsmanagerin, Mutter.

Quelle: Vanessa Bachmann
Unverhofft ein neuer Job

Auf dem besten Weg dahin ist auch Eveline Brown. Die Damenschneiderin hat die benötigte Summe für ihre Ausbildung fast zusammen – SOS Beobachter leistete einen Beitrag. Ganz unverhofft fand Brown inzwischen sogar einen neuen Job. Ab Juli leitet sie im 60-Prozent-Pensum das Nähatelier einer Sozialfirma.

Um sich ganz von der Sozialhilfe zu lösen, wird das Einkommen jedoch nicht ausreichen. Trotzdem war es Brown wichtig, die Gelegenheit beim Schopf zu packen und wieder ins Erwerbsleben einzusteigen. «Ich sammle wertvolle Erfahrungen, ausserdem habe ich als Mutter auch eine Vorbildfunktion für meine Kinder.»

Eine Botschaft liegt ihr besonders am Herzen: dass es keine Schande ist, Sozialhilfe zu beziehen, wenn man sie benötigt. «Ich habe stets offen darüber gesprochen, und das hat mir sehr viele Türen geöffnet. Viele Leute in meiner Umgebung haben mich unterstützt, mir Mut zugesprochen und mir Tipps gegeben. Ohne sie wäre ich jetzt nicht da, wo ich bin.»

Liebe Leserinnen und Leser

«Es gibt im Leben Situationen, die zu einem Engpass führen. Umso schöner, wenn man genau dann Hilfe bekommt!»

So bedankt sich Zuzanna Bohdanowicz bei SOS Beobachter dafür, dass ihr die Stiftung eine Zusatzausbildung mitfinanziert hat. Was damit erreicht wurde, können Sie im oben  nachlesen: Die Ausbildung war ein wichtiger Puzzlestein, damit sich die notleidende Mutter wieder im Arbeitsmarkt etablieren konnte.

Das ist ein kleiner Beitrag zur Linderung eines grossen sozialen Problems: Alleinerziehende tragen ein erhebliches Armutsrisiko – jeder sechste der 200'000 Schweizer Haushalte mit nur einem Elternteil ist davon betroffen.

Indirekt bedankt sich Zuzanna Bohdanowicz bei Ihnen. Denn nur durch Ihre Spendengelder kann unsere Stiftung Hilfe leisten, wenn das Leben in einen Engpass geführt hat. Vielen Dank für Ihr Engagement!

Ich grüsse Sie herzlich

Roland Wahrenberger, Präsident der Stiftung SOS Beobachter

Über SOS Beobachter

Die Stiftung SOS Beobachter unterstützt seit bald 40 Jahren notleidende Menschen in der Schweiz rechtlich und finanziell. Dank dem Fachwissen der Mitarbeitenden ist garantiert, dass finanzielle Hilfe nur erfolgt, wenn Gesuche gerechtfertigt sind und die Hilfe nachhaltig wirkt.