Catia Oglialoro fällt ihrem Fahrlehrer um den Hals. Die praktische Prüfung ist bestanden, die beiden flippen vor Freude aus – und dies im nüchternen Zürcher Strassenverkehrsamt. «Zwanzig Stunden habe ich gebraucht, nur wenige Male konnte ich mit Freunden fahren. Teuer ist die Sache allerdings schon», sagt sie. «Billig sind die Fahrstunden», scherzt ihr Fahrlehrer, «wenn man die hohe Qualität in Rechnung stellt.» Die glücklosen Kandidatinnen und Kandidaten sind weniger gesprächig. «Dann muss ich halt nochmals 500 Franken für Fahrstunden lockermachen…», murmelt ein 20-Jähriger. Er ist nicht allein. In der Schweiz fallen 30 bis 35 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten bei der praktischen Fahrprüfung durch.

Solothurner sind besonders streng
Einzelne Kantone glänzen allerdings mit «überragenden» Ergebnissen. So bestanden 1998 im Kanton Solothurn über 38 Prozent der Kandidaten und Kandidatinnen die Prüfung nicht (1999: 36 Prozent). In dieser Zahl sind alle Prüflinge erfasst – auch jene, die zum zweiten und zum dritten Mal antreten mussten. Erfahrungsgemäss ist die Durchfallquote beim ersten Versuch noch um einige Prozente höher.

Einfacher scheint es im Kanton Bern zu sein, wo im letzten Jahr 30 Prozent die erste Prüfung nicht bestanden haben. Im Kanton Zug scheiterten letztes Jahr 33 Prozent bei der ersten Prüfung. In Zürich liegt die Durchfallquote seit zehn Jahren zwischen 30 und 35 Prozent. Ähnliche Werte weisen die Kantone Genf und Appenzell Innerrhoden auf. Etwas niedriger – nämlich rund 30 Prozent – sind die Zahlen in Graubünden und in Freiburg. Sicher ist: Keine Matur oder Lehrabschlussprüfung hat auch nur entfernt so hohe Misserfolgsquoten wie die praktische Fahrprüfung.

Eine junge Fahrlehrerin aus dem Kanton Zürich hat dafür eine einfache Erklärung: «Die Misserfolgsquoten sind vorgegeben. Die etwa sechzig Experten des Strassenverkehrsamts müssen schliesslich ausgelastet sein. Melden sich für den nächsten Monat nur wenig Kandidatinnen und Kandidaten an, so lässt man vorher mehr als üblich durchfallen. Die müssen innerhalb von vier Wochen nochmals zur Fahrprüfung – so sind die Experten auch im nächsten Monat ausgelastet.» Umgekehrt habe sie in voll ausgebuchten Monaten schon «die grössten Würste» durch die Prüfung gebracht.

Mit dieser Aussage steht sie allerdings allein. Strassenverkehrsämter und Fahrlehrer vertreten einhellig dieselbe Meinung: Die meisten jungen Lenkerinnen und Lenker wollen zu schnell zur Prüfung. Für sie ist es oft nicht leicht, das Geld für die Fahrstunden aufzubringen. Besonders deutlich habe man dies während der Rezessionsjahre gespürt. Damals sei es für viele auch um einiges schwieriger gewesen, sich für die Fahrstunde etwas früher vom Arbeitsplatz zu verabschieden.

Den jungen Leuten schlagen die Fahrstunden ein Loch ins Portemonnaie. Wie wäre es, wenn die Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer ihre Stunden etwas billiger anböten? Obwohl sie ihre Preise ja nicht absprechen dürfen – die eidgenössische Wettbewerbskommission hat dies den Freiburger Fahrlehrern untersagt –, zahlt man für fünfzig Minuten praktischen Unterricht rund achtzig Franken. Die Fahrlehrer betonen unisono, dass sie sich damit keine goldene Nase verdienen.

Alex Da-Rin, zuständig für Ausbildung beim Touring-Club der Schweiz (TCS), weist darauf hin, dass jeder Elektriker und Sanitärinstallateur einen ähnlich hohen Stundenansatz verlange – exklusive die Hin- und die Rückfahrtszeit. Diesen Betrag zahle man ja auch, ohne zu murren. Da-Rin: «Dass die Fahrausbildung ein hohes Niveau haben muss, ist wohl unbestritten. Schliesslich haben wir rund 600 Verkehrstote in der Schweiz.»

Rainer Rüegger, Präsident des Fahrlehrerverbands, warnt geradezu vor billigen Fahrstunden. Billig heisst immerhin noch satte sechzig Franken. Rüegger: «Billig sind jene Kolleginnen und Kollegen, die zu wenig Schüler haben, weil ihr Unterricht wenig taugt.» Wenn Fahrschülerinnen und -schüler mehr Fahrstunden bräuchten, komme der billige Unterricht letztlich teurer zu stehen.

Prüfungsreif nach rund 30 Stunden
Da taucht die alte Frage auf: Wie viele Stunden beim Fahrlehrer sind nötig, um das «Billett» zu erhalten? Roland Schnieper, Chef des Zürcher Strassenverkehrsamts, schätzt, dass ein begabter 18-Jähriger die Prüfung mit 25 bis 30 Fahrstunden schaffen sollte. Allerdings nur, wenn er auch ausserhalb der Fahrstunden üben kann. Schnieper: «Der Verkehr wächst ständig und damit auch der Druck auf die Lernenden.» Eine Fahrlehrerin gibt für die Stadt Zürich 35 Stunden als Richtwert für junge Fahrerinnen und Fahrer an, die neben den Stunden nur wenig üben können. Der Aargauer Rainer Rüegger rechnet für einen begabten jungen Mann mit 20 bis 30 Stunden und «etwas mehr für junge Frauen». Viel hänge davon ab, wie viel die Lernfahrer privat üben könnten. «Das Autofahren ist Ubungs- und Erfahrungssache.»

Von Gesetzes wegen sind praktische Fahrstunden nicht vorgeschrieben. Einzig acht Lektionen Theorie sind obligatorisch. Der Fahrlehrer ist jedoch verpflichtet, über die erteilten praktischen Lektionen Buch zu führen. Der Prüfungsexperte ist berechtigt, darin Einsicht zu nehmen. Bei den Strassenverkehrsämtern betont man jedoch, dass von diesen Informationen kein Gebrauch gemacht werde.

«Optimal ist es, wenn der Schüler zu 120 Prozent prüfungsreif ist. Dann besteht er auch nach Abzug von Nervosität und Prüfungsangst sicher», sagt Fahrlehrer Rainer Rüegger. Doch offenbar bestehen selbst in Nachbarkantonen unterschiedliche Auffassungen über die Prüfungsreife. «Genügen einem talentierten Junglenker in Zürich zirka 25 bis 30 Stunden, so braucht er im Kanton Zug sicher 35 Stunden», sagt ein Fahrlehrer. «In Zürich nehmen es die Experten etwas lockerer, in Zug sind sie mehr als genau. Zudem prüfen die Zuger Experten oft nach, wie viele Fahrstunden der Kandidat absolviert hat.» Im Zuger Strassenverkehrsamt wird dies allerdings bestritten.

Genf: Prüfung ohne Fahrstunden Krass ist der Unterschied zwischen der Romandie und der Deutschschweiz. «Mir ist bekannt, dass im Kanton Genf 50 Prozent der Lenker die Prüfung bestehen, ohne je eine Fahrstunde genommen zu haben», sagt TCS-Mann Alex Da-Rin. Laut dem Genfer Strassenverkehrsamt sind die Verhältnisse an der Rhone jedoch mit jenen in der Deutschschweiz vergleichbar: Rund 30 Prozent der Kandidatinnen und Kandidaten fallen durch.

«Die Fahrprüfung ist in der Romandie einfach zu leicht», sagt Alex Da-Rin. «Eine Angleichung der Deutsch- und der Westschweizer Verhältnisse ist überfällig.» Fragt sich nur, wer wem entgegenkommt.