Der anschwellende Lärm der Ambulanz zerschnitt die Ruhe des lauen Herbstabends. Über die Maggia flog ein Rettungshelikopter hinauf in die Talenge. Es war der 19. September 2005, kurz nach sieben Uhr. Theres Stucki war auf dem Weg nach Locarno. «Da muss etwas Schlimmes geschehen sein», dachte sie sich - und vergass das Ganze wieder.

Es war spät geworden, bis sie endlich wieder zu Hause war. Um elf Uhr klopften zwei Polizisten an ihre Haustür. «Am Dorfeingang von Coglio» - «ein Unfall» - «der Wagen Ihres Sohnes David». Die Worte der Beamten erreichen die 55-jährige Hausfrau nur in Bruchstücken. Das Auto habe sich überschlagen, berichten die Polizisten. Erst allmählich treffen sie die Sätze mit voller Wucht: «Ihr Sohn David lenkte den Wagen, er liegt im Spital Lugano, ist lebensgefährlich verletzt. Ihr jüngerer Sohn Jonas und der Beifahrer Maurizio sind tot.»

«Zuerst wollte ich es nicht glauben», erinnert sich Theres Stucki ein halbes Jahr später an die schrecklichen Minuten. «Ich wollte sofort zu David.» Im Spital sah sie ihren 20-jährigen Sohn daliegen - «leblos, mit all den Schläuchen». Täter? Opfer? Was denkt eine Mutter, deren Sohn den Tod seines Bruders und eines Freundes verursachte, weil er zu schnell gefahren war?

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«Wenigstens bleibt mir einer der Buben»: Theres Stucki verlor im September ihren Sohn Jonas bei einem Raserunfall. Am Steuer des Todeswagens sass ihr anderer Sohn David (rechts).


Es fällt schwer, diese Fragen zu stellen. David, der verbliebene Sohn, sitzt mit am runden Esstisch. In der Stille zwischen den einzelnen Gesprächsfetzen liegt die ganze Schwere dieser Fragen. Ein Kuckuck meldet sich kurz. Dann ist wieder Ruhe. Draussen präsentiert sich Ronchini, ein Weiler von Aurigeno, als perfekte, vorsommerliche Tessiner Idylle. Unten rauscht die Maggia vorbei. Wut? Mitleid? Hass? - «Hoffnung!» Theres Stucki atmet tief durch. «Er war mein letzter Grashalm, meine letzte Chance. Wenn doch wenigstens er überlebt. Im Spital verdrängte ich den toten Jonas ganz.»

Zwei Tage lag David im Koma. Dann erwachte er. Seine Mutter brachte es nicht übers Herz, dem Schwerverletzten zu erzählen, was geschehen war. «Alles wird gut», sagte sie ihm. Es war eine hektische Zeit: Jonas’ Beerdigung musste organisiert werden. Die Anteilnahme im Dorf war gross. Theres Stucki dachte vor allem an David, der gesund werden sollte, und freute sich: «Wenigstens bleibt mir ein Bub.»

Der Arzt drängte, David müsse die Wahrheit erfahren. Es sei wichtig für ihn, an der Beerdigung des Bruders teilzunehmen. In einem Rollstuhl sei das möglich. Theres Stucki setzte sich ans Bett ihres Sohnes und sagte langsam: «Gestern war die Beerdigung von Maurizio.» Und fügte nach einem stummen Moment an: «Und morgen ist jene von Jonas.» Für David brach die Welt zusammen.

«Ja, ich fühle mich schuldig»
Heute erzählt die Mutter davon, wie sie an der Beerdigung von Jonas vor allem froh war, dass David überlebt hatte. Und wie irritiert sie über diese Gefühle war. Mutter und Sohn sprechen selten darüber, was im letzten Herbst geschah. Das Leben muss weitergehen, Verdrängen hilft dabei. David, der in Losone lebt, kommt jetzt oft heim zur Mutter.

«Denkst du noch daran?», fragt Theres Stucki und streicht das Tischtuch glatt. David spricht leise und kurz: «Jeden Tag, manchmal mehr, manchmal weniger.» Und: «Ja, ich fühle mich schuldig. Ich hätte nicht so schnell fahren müssen.»

Die Polizei sprach anfänglich von einem Rennen auf der Kantonsstrasse, die wegen der vielen Raserunfälle auch «Todesstrecke» genannt wird. Doch David Stucki, Automechaniker von Beruf, bestreitet dies. Sie hätten nur zu dritt nach Someo fahren wollen, um etwas zu trinken. Der 120 PS starke Wagen war auf der 80er-Strecke mit mindestens Tempo 100 unterwegs, als er ins Schleudern geriet, in einer Unterführung gegen das Geländer raste und auf dem Dach liegen blieb - flach gedrückt.

Jonas sass hinten, Maurizio auf dem Beifahrersitz. Beide waren sofort tot. David habe aus dem Auto heraus um Hilfe geschrien. Doch daran erinnert sich der schmächtige junge Mann heute nicht mehr. Vom Unfall blieben nur eine Narbe am Ellbogen und eine an der Stirn. David weiss nicht, warum er an diesem Abend so schnell unterwegs war.

Die Brüder waren Autofans. «Oft habe ich meinen Jungen gesagt: ‹Fahrt nicht so schnell!› Doch sie wollten nicht hören», so Theres Stucki. Im Maggiatal drücken viele aufs Gaspedal. Auch David und Jonas taten dies. Regelmässig. Der 19-jährige Jonas musste deswegen drei Monate vor seinem Tod den Führerausweis abgeben. Theres Stucki hat verziehen: «David ist mein Sohn. Auf einen Fremden wäre ich wohl wütend.»

Sie besucht jeden Tag das Urnengrab von Jonas. Es liegt in Aurigeno, auf der anderen Seite des Tals. Gleich daneben liegt die Urne von Maurizio Trovatello mit der schlichten Inschrift: «1984-2005». Maurizio war ein Einzelkind, seit kurzem arbeitete er in einer Auto-Tuning-Firma. Auch seine Mutter Sonja Trovatello empfindet keine Wut auf David: «Niemand hat meinen Sohn gezwungen, in dieses Auto zu steigen.» Das sei Schicksal gewesen, auch wenn dies schwer zu ertragen sei.

Betrunken, übernächtigt, zu schnell
Jonas und Maurizio sind zwei von 409 Todesopfern, die der Strassenverkehr im letzten Jahr forderte. Etwa jedes zweite Opfer stirbt in der Schweiz laut Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) bei einem «Geschwindigkeitsunfall» - also einem Unfall, bei dem mindestens ein Fahrzeug zu schnell unterwegs war. Raserunfälle werden in der Statistik nicht separat erfasst, da eine klare Definition dafür fehlt. Doch in manchen Kantonen werden die extremen Schnellfahrer gezählt: Im Aargau mussten in den ersten fünf Monaten dieses Jahres 202 Personen ihren Führerausweis abgeben, weil sie inner- oder ausserorts mehr als 25 Kilometer pro Stunde zu schnell fuhren.

Im Kanton Zürich geht die Polizei von etwa 150 Rasern aus, die jährlich erwischt werden. Diese Lenker, die innerorts mit mindestens 100, ausserorts mit 160 und auf der Autobahn mit über 200 Kilometern pro Stunde unterwegs sind, übergibt die Polizei seit dem letzten Jahr der eigens dafür eingerichteten «Rasergruppe» der Staatsanwaltschaft. Jürg Boll, Staatsanwalt und Leiter der Gruppe, spricht von einem eindeutigen Trend: «Das Rasen auf der Strasse hat zugenommen.»

Boll fordert härtere Bestrafung. Ganz in seinem Sinne bestätigte das Obergericht kürzlich ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich. Dieses hatte einen Raser zu 14 Monaten Gefängnis bedingt verurteilt und das Auto eingezogen, weil er sich in Schlieren mit einem anderen Lenker auf einer 60er-Strecke ein Rennen mit Spitzengeschwindigkeiten von 140 Kilometern pro Stunde geliefert hatte.

Fand auch im Morgengrauen des 30. Septembers 2003 auf der Autobahn A1 so etwas wie ein Rennen statt? Diese Frage stellen sich Vreni und Pierre-André Cornaz aus St-Prex VD bis heute. Aus ihrer Sicht wurde der Mann, der für den Tod ihrer Tochter Daniela verantwortlich ist, viel zu mild bestraft.

Die 25-Jährige war am Morgen mit ihrer Honda CBR 600 auf dem Weg zur Arbeit. Die junge Frau fuhr korrekt auf der rechten Fahrspur, als ein Autofahrer ihr Motorrad bei der Ausfahrt Aubonne von hinten buchstäblich aufspiesste. Der 26-Jährige war betrunken, völlig übernächtigt und viel zu schnell unterwegs. Durch die heftige Kollision verkeilte sich die Honda bis auf die Höhe des Tanks in die Motorhaube des Alfa Romeos. Daniela fiel auf die rechte Fahrbahn. Sie wurde von drei weiteren Autos überfahren.

Der Täter kam heimlich zur Beerdigung
Ihr Vater fuhr kurz darauf an der Unfallstelle vorbei. Als seine Tochter nicht wie abgemacht im gemeinsamen Büro wartete, hatte Cornaz eine schreckliche Vorahnung. Es könnte Daniela gewesen sein, die auf der Fahrbahn unter der Decke lag. Ein Anruf bei der Polizei gab ihm die schreckliche Gewissheit: Daniela war tot.

Der Körper der jungen Frau war so schlimm zugerichtet, dass den Eltern der Anblick der Überreste nicht zugemutet werden konnte. «Die Leiche war mit einem dicken, am Sarg angenagelten Tuch zugedeckt. Wir konnten nicht einmal mehr von unserer Tochter Abschied nehmen», erzählt Vreni Cornaz. Ihr blieb nur ein verdrehter Ring von Danielas Hand.

Für die Mutter ist die Entschuldigung des Täters ein Hohn. Heute ist es für sie unerträglich, zu wissen, dass er an der Beerdigung von Daniela teilgenommen hatte - inkognito. Sie kann ihm nicht verzeihen, auch nicht den drei nachfolgenden Autofahrern: «Sie sind einfach über meine Tochter gefahren und sehen sich heute als traumatisierte Opfer. Wieso konnten sie nicht rechtzeitig bremsen?» Die 59-Jährige vermutet, die Fahrer seien alle zusammen unterwegs gewesen, hätten eventuell sogar ein Rennen veranstaltet. Beweisen konnte sie das allerdings nicht.

Vor wenigen Wochen fand die Gerichtsverhandlung statt. Vreni Cornaz bricht in Tränen aus, wenn sie davon erzählt. «Es war, als ob meine Tochter ein zweites Mal überrollt worden wäre.» Und von den Richtern ist sie enttäuscht: «Sie glaubten den Schutzbehauptungen der Autofahrer. Die ungefragte Teilnahme des Haupttäters an Danielas Beerdigung wurde gar strafmildernd berücksichtigt.»

Der Raser wurde der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, abzüglich der 155 Tage Untersuchungshaft. Der in der Schweiz wohnhafte Franzose war bereits inhaftiert, weil ihn die Polizei seit dem Unfall ein weiteres Mal mit Alkohol am Steuer und zweimal wegen Fahrens trotz Ausweisentzug erwischt hatte. Die drei anderen Autofahrer, zwei Männer und eine Frau, wurden freigesprochen. «Sie umarmten sich wie nach einem Lottogewinn», erzählt Vreni Cornaz verbittert.

«Früher hatte ich Mitleid mit Leuten, die einen Unfall verursachten. Nachdem ich erleben musste, wie sanft das Gericht die Autofahrer behandelte, die über meine Tochter gefahren waren, habe ich kein Bedauern mehr für Täter», sagt Vreni Cornaz. Sie ist froh, dass wenigstens der Haupttäter hinter Gitter muss. «Die anderen müssen mit ihrer Tat selber fertig werden.» Mehr als 30 eingeschriebene Briefe hatte sie zusammen mit ihrem Mann und ihrer Schwester verfasst, um eine möglichst hohe Strafe für die Täter zu erwirken. Jetzt hat sie die Kraft nicht mehr, das Urteil weiterzuziehen. «Das macht uns alle krank. Wir müssen lernen, mit der Ungerechtigkeit zu leben.»

Auch Heinz Stamm aus Sirnach TG versucht, irgendwie weiterzuleben, nachdem ein alkoholisierter Raser seine Frau auf dem Trottoir «buchstäblich wegrasiert» hatte. Der 74-Jährige kann nicht verzeihen: «Der Täter hat für mich keine Lebensberechtigung mehr» (siehe Artikel zum Thema «Raser-Opfer: ‹Ich habe meinen Glauben verloren›»).

In der Regel werden Raser mit bedingten Gefängnisstrafen von einigen Monaten sowie Bussen bestraft. Ihr Delikt wird juristisch als fahrlässig eingestuft. Seit einiger Zeit ziehen Richter in Luzern, Zürich, Aarau und St. Gallen jedoch die Schraube an. In krassen Fällen beurteilten sie das Verhalten der Raser als eventualvorsätzlich und schickten sie damit für mehrere Jahre hinter Gitter.

Dank Leasing: Boliden für jedermann
Als Meilenstein für diese Rechtspraxis gilt das Urteil gegen die zwei jungen Lenker, die 1999 in Gelfingen LU ein Rennen veranstalteten und dabei zwei Fussgänger töteten. Die beiden Raser kassierten sechseinhalb Jahre Gefängnis wegen versuchter Tötung, und das Gericht erntete den Applaus der Öffentlichkeit.

Auch der Freiburger Strafrechtsprofessor Franz Riklin ist nicht gegen eine harte Bestrafung von Rasern, die Menschenleben gefährden. Er warnt aber vor der juristischen Willkür, je nach öffentlicher Empörung einen Eventualvorsatz (fünf bis zwanzig Jahre Gefängnis) und ein anderes Mal nur grobe Fahrlässigkeit (bis drei Jahre Gefängnis) anzunehmen. «Momentan wird da sehr emotional gerichtet. Der strenge Massstab, den das Strafgesetz an vorsätzliches Handeln legt, ist beim Rasen höchstens in Einzelfällen erfüllt», so Riklin.

Die Begründung für seine Bedenken: «Kaum jemand sagt wirklich zu sich: Wenn ich einen tödlichen Unfall produziere, hat das Opfer Pech gehabt» - vor allem weil «der Lenker selber den Tod oder eine schwere Körperverletzung riskiert». Der Strafrechtsprofessor bezweifelt auch, dass eine schärfere Bestrafung abschreckt: «Das Problem der Raser: Sie sind überzeugt, sie hätten das Auto im Griff.»

Doch welche Massnahmen halten Autofahrer davon ab, das Gaspedal durchzudrücken? PS-Limiten für Neulenker? Der Einbau eines Fahrtenschreibers? Oder, wie jüngst von Bundespräsident Moritz Leuenberger in die Diskussion gebracht, das Verschrotten des Wagens vor den Augen des Rasers? Die Fachleute hoffen jetzt erst mal, dass das im letzten Jahr eingeführte neue Verkehrsgesetz wirkt: 0,5-Promille-Regelung und Führerausweis auf Probe. Vor allem letztere Massnahme soll übermütige Neulenker zur Vernunft bringen. Denn bei einem gröberen Fehler ist der Ausweis schnell wieder weg. Für eine Bilanz ist es aber noch zu früh.

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«Ich hätte tot sein können»: Besim Ismajli, Automechaniker-Lehrling, sass bei einem Kollegen im Porsche, als dieser innerorts mit 120 km/h auf einen Kreisel zuraste.


«Bei der Raserdiskussion darf man den normalen Wahnsinn nicht vergessen - auch er ist ein Nährboden für die Auswüchse», sagt Stefan Siegrist von der BfU. So überschreiten täglich etwa 20 Prozent der Automobilistinnen und Automobilisten die Geschwindigkeit inner- und ausserorts. Auf der Autobahn sind es 30 Prozent. «Schnell fahren ist bei uns ein Kavaliersdelikt», so Siegrist.

PS-starke Sportwagen sind begehrt und dank Leasing schon für wenige hundert Franken im Monat zu haben. «Warnung! 225 PS für nur 36000 Franken», bewirbt etwa die Autofirma Ford einen Boliden. Und der Subaru Impreza mit 230 Pferdestärken wird dank dem «kompromisslos sportlichen Look mit dem markanten Flügelgrill» als ein Wagen für «leistungsbetontes» Fahren angepriesen.

Wenn Autohersteller ihre Fahrzeuge so bewerben, schreibt ihnen Jürg Müller einen Brief. Der Chef der Abteilung Prävention der Zürcher Stadtpolizei will die Firmen für die Raserproblematik sensibilisieren: «Wir bekämpfen beim Rasen auf der einen Seite die Glorifizierung von PS, Männlichkeit und Temporausch. Auf der anderen Seite wird genau mit diesen Argumenten für Autos geworben. Und dank geringen Leasingkosten werden diese Boliden auch für die Jungen erschwinglich.»

37 Brüche, Schmerzen, arbeitslos
Aber wer lässt sich von solchen Anreizen tatsächlich zum Kauf motivieren? In Deutschland wurden kürzlich die Temposünder nach Berufsgruppen unterteilt. Laut Müller lagen die Automechaniker in der Pole-Position - gefolgt von Metzgern und Maurern. Das gängige Klischee unterscheidet aber nicht nach Berufsgruppen: Raser sind jung, männlich und aus dem Balkan, so die Volksmeinung.

Jacqueline Bächli-Biétry, die als Verkehrspsychologin seit zehn Jahren rückfällige Raser beurteilt und entscheidet, ob sie je wieder auf den Strassenverkehr losgelassen werden dürfen, bestätigt diesen Befund teilweise: «Sie sind jung, männlich und aus der Unterschicht. Diese Jungen haben Integrations- und Selbstwertprobleme, sie brauchen das Auto zur Selbstdefinition».

Dass die Industrie in Kampagnen auf diese Schwächen zielt, ist auch Verkehrsminister Moritz Leuenberger ein gewaltiger Dorn im Auge. Die Autoindustrie trage eine Mitverantwortung, wenn die Leute zu schnell fahren, sagte er kürzlich in verschiedenen Interviews: «Warum braucht man Autos, die 250 km/h fahren können? Es gibt keine Strasse, wo so schnell gefahren werden darf.» Auch wenn der Fahrer die Hauptverantwortung trage, sei es unverantwortlich, dass die Werbung dann noch mit diesen Reizen spiele.

Martin Bänz, 26, aus Birmensdorf ZH ist weder Automechaniker noch an der Integration gescheitert. Er fuhr jeweils mit seinen Kumpels Rennen und liebte sein Auto über alles. An einem sonnigen Nachmittag konnte er seinen Peugeot 205 bei Tempo 150 nicht mehr kontrollieren. Das Heck brach aus, das Auto flog über den Strassenrand hinaus, prallte in einen Baum und fing Feuer.

Die harte Lektion, die Bänz bei diesem Unfall vor vier Jahren lernte, gibt er als ehrenamtlicher Verkehrsreferent weiter. Für die Organisation Roadcross, die an Gewerbeschulen Präventionsaktionen veranstaltet, steht Bänz heute vor einer Gruppe von Automechaniker-Lehrlingen in Zug und erzählt seine Leidensgeschichte.

Bänz überlebte schwer verletzt mit 37 Brüchen. Seit dem Horrorunfall leidet er unter chronischen Schmerzen, ist arbeitslos und wird sein Leben lang verschuldet bleiben. Er geht am Stock, in einem Bein fehlt das Kniegelenk. «Und wieso das Ganze? Weil ich Adrenalin gesucht habe. Ich bin selber schuld.»

Die jungen Zuhörer sind sichtlich betroffen. Doch wird sie das vom Rasen abhalten? «Das ist schon krass, vielleicht überlege ich es mir jetzt ein bisschen vorher», sagt Burim aus dem Kosovo. Seinen richtigen Namen möchte der 19-Jährige nicht in der Zeitung lesen, die Angaben über seinen Boliden hingegen schon. Er fährt einen tiefer gelegten, schwarzen Toyota Celica mit 175 PS und Spoiler. Bis jetzt bussenfrei.

«Man denkt: ‹Das kann ich auch›»
Besim Ismajli bleibt ruhig, wenn die anderen von ihren Autos schwärmen. Der 20-jährige Kosovare darf noch nicht fahren. Er ist bereits dreimal durch die Theorieprüfung gerasselt. Seit er einmal in einem Porsche sass, der innerorts mit 120 Kilometern pro Stunde auf einen Kreisel zuraste, hat er Respekt vor schnellem Fahren: «Ich hätte tot sein können.»

Sein Mitschüler Patrick Kathriner fährt seit vier Monaten Auto - «nur» einen alten Mazda 323 mit 65 PS. «Das Auto ist meine zweite Freundin, ich investiere jeden Franken meines Lohns», so der 19-Jährige. Er erzählt, dass sich viele seiner Freunde herausgefordert fühlen, wenn sie ein anderer überholt: «Man schaut, wie der andere fährt, und denkt: ‹Das kann ich auch.›» Er weiss, wie es sich anfühlt, wenn sich ein Auto bei Tempo 180 überschlägt: «Ich sass auf dem Beifahrersitz.» Damals entstieg er einem BMW M3 ohne Verletzung.

David Stucki wünschte sich, sein Unfall im Maggiatal wäre ebenso glimpflich ausgegangen. Ende Jahr kommt es zum Prozess. Die Strafe - wie immer diese auch ausfällt - wird einmal vorbei sein. Doch mit seiner Schuld muss David irgendwie weiterleben.