Bern, Bundeshaus West. Marianne Staub, Präsidentin des Dachverbands des Schweizer Tierschutzes (STS), strahlt. Wie immer adrett gekleidet, tritt sie ans Mikrofon: «Die Katze schnurrt, der Hund wedelt. Sachen können das nicht.» Die Initiative «Tier keine Sache» soll diesen Unterschied gesetzlich verankern. Das Publikum klatscht, die Präsidentin überlässt das Mikrofon einem andern Redner und beantwortet gewandt die Fragen der anwesenden Journalisten.

Marianne Staub hat gut lachen nicht nur wegen der zustande gekommenen Initiative. Der STS ist eine kleine Goldgrube. In einem STS-internen Brief vom Juli dieses Jahres, der dem Beobachter vorliegt, ist zu lesen: «Das Finanz- und Liegenschaftsvermögen des STS ist heute so hoch wie nie zuvor. Der STS könnte bei gleichbleibendem Aufwand und ohne einen Rappen Einkommen heute wohl zwei bis drei Jahre überleben.» Tatsächlich besitzt der STS Vermögenswerte in der Höhe von 14 Millionen Franken, die Einnahmen betrugen 1999 3,8 Millionen Franken. Für das laufende Jahr sind Einnahmen in der Höhe von 2,4 Millionen Franken budgetiert.

Finanziell weit weniger rosig geht es den 54 Sektionen mit ihren rund 85000 Mitgliedern. Sie kommen zum Teil gerade so knapp über die Runden. Doch der reiche Dachverband, der ja eigentlich den Sektionen gehört, denkt nicht daran, seinen Mitgliedern helfend unter die Arme zu greifen.

Harter Frondienst an der Front

Im Budget 2000 des STS sind Ausgaben in der Höhe von 1,5 Millionen Franken vorgesehen davon aber nur gerade mal mickrige 20000 Franken für Beiträge «an eigene und verwandte Organisationen». Das ist viermal weniger, als die Sektionen dem STS an Jahresbeiträgen entrichten. Dabei sind es die Sektionen, die die eigentliche Tierschutzarbeit an der Front leisten. Viele Frauen und Männer opfern hier unentgeltlich ihre Freizeit und ihre Energie. «Wir laufen oft am Limit», sagt Regula Schwarzenbach, Präsidentin der Sektion Freiburg. Um zu Spendengeldern zu kommen, werden nicht selten Briefe von Hand direkt in die Haushaltungen verteilt. Eine mühsame Knochenarbeit.

«Der STS übernimmt nationale und politische Aufgaben. Dafür benötigt er beträchtliche Mittel», rechtfertigt Präsidentin Staub die ungleiche Finanzverteilung. «Es kann deshalb nicht von einem reichen Verband gesprochen werden.» Ausserdem könnten die Sektionen viele Dienstleistungen vom Verband beziehen. Eine interne Kommission beziffere den Gegenwert dieser Leistungen auf insgesamt 500000 Franken pro Jahr.

Zu wenig konkrete Unterstützung

Tatsächlich dürfen die Sektionen beim STS gratis Broschüren beziehen, sich bei den Fachstellen Rat holen, und sie können einen Beitrag an ihre Katzenkastrationsaktionen beziehen. Doch das macht den Braten auch nicht feiss. «Die Merkblätter sind gut, aber oft mangelt es halt einfach an Bargeld», sagt Kurt Sieber vom Tierschutzverein Frauenfeld. Wer mehr will, muss ein Gesuch stellen. Wenn die Verbandsspitze diesem wohlgesinnt ist, gibt es vielleicht ein paar Franken aus einem der zahlreichen Fonds. Doch das kommt selten vor häufig sind Absagen.

«Der STS unterstützt die Sektionen finanziell und bei der Basisarbeit eindeutig zu wenig», findet Dominik Zehntner vom Forum für Tierschutz. In diesem Forum haben sich ehemalige und STS-kritische Sektionen zusammengeschlossen. Die Folge: Manche Sektionen suchen bei externen Organisationen Hilfe. So greift der aus dem Verband ausgetretene und finanzstarke Zürcher Tierschutz einzelnen STS-Sektionen immer wieder finanziell unter die Arme. Und die Freiburger STS-Sektion darf gratis auf der Homepage des Zürcher Tierschutzes auftreten.

Rund 1,2 Millionen Franken der jährlichen STS-Einnahmen stammen aus Mailings: Leute in der ganzen Schweiz werden angeschrieben und um einen Gönnerbeitrag gebeten. Die Sektionen jedoch erhalten keinen Rappen davon. Der STS behält alles für sich. Die Sektionen haben auch keinen Zugriff auf die Mailing-Adressen des STS aus ihrer Region. Auch diese behält der Dachverband unter Verschluss. «Das ist doch ungerecht. Die fischen in unserem Teich, und uns bleibt dann nichts», ärgert sich Regula Schwarzenbach vom Tierschutzverein Freiburg.

Streitigkeiten um Nachlässe

Deshalb schlug sie an der letzten Delegiertenversammlung im Oktober 1999 vor, dass man das System neu gestalte so wie zum Beispiel bei der Pro Natura: Dort erhalten die Sektionen, entsprechend ihrer Mitgliederzahl, jeweils einen bestimmten Anteil aus den Mailing-Einnahmen. Ausserdem haben die Sektionen die Adresshoheit. Sie können also jederzeit die Adressen aus ihrer Region anfordern und selber ein Mailing verschicken. Doch der Vorschlag Schwarzenbachs wurde abgelehnt.

Der STS hat kein Interesse daran, dass ein Gönner auf die Idee kommen könnte, das Geld direkt einer Sektion zufliessen zu lassen. Das zeigt das Vorgehen im Fall des Spendenspiegels, einer Liste von Schweizer Non-Profit-Organisationen. Während etwa die Pro Natura im Schweizerischen Spendenspiegel auch alle Sektionen mit Adressen und Spendenkonto aufführt, will der STS davon nichts wissen. Ein entsprechender Antrag einzelner Sektionen wurde abgelehnt. Jetzt haben sich neun Sektionen zusammengetan und gemeinsam das Geld für einen Eintrag zusammengekratzt.

Ein Grossteil der Einnahmen im Tierschutz stammen aus Erbschaften und Legaten. Konkret belaufen sich die Einnahmen des STS aus diesem Bereich jährlich auf 1,3 Millionen Franken. Auch die Sektionen sind auf solcherlei Einnahmen angewiesen. Doch der STS vertritt offenbar die Ansicht, dass sämtliche Nachlässe, die dem Tierschutz vermacht werden, automatisch dem STS zustehen auch wenn der Erblasser zeitlebens den Verein in seiner Wohnumgebung unterstützt hat und die Vermutung nahe liegt, dass er an diesen gedacht hat, als er sein Testament schrieb.

«Zur Vermeidung von unliebsamen Auseinandersetzungen sucht der STS mit seinen Sektionen und mit aussenstehenden Organisationen immer die Zusammenarbeit», sagt der Berner Rechtsanwalt Thomas Notter, der den STS in dieser Angelegenheit vertritt. Meistens könne man sich einigen. Doch das ist schöngeredet. In Tat und Wahrheit geht es oft hart auf hart. In Zürich etwa streiten sich der STS und der Zürcher Tierschutz zurzeit vor Gericht um eine grössere vererbte Summe.

Wenn der Erblasser jedoch nicht nur Geld, sondern auch noch «Pflichten» hinterlässt, schiebt der STS diese gern den Sektionen ab. So beanspruchte der STS in einem anderen Kanton den beträchtlichen Nachlass einer Person für sich, wollte aber mit den ebenfalls hinterlassenen Katzen nichts zu tun haben. Darum sollte sich, bitte schön, die Sektion kümmern. Erst als die Sektion auf die Hinterbeine stand und sich vehement dagegen wehrte die Unterbringung von Katzen kostet schliesslich Geld , erklärte sich die Verbandsspitze bereit, wenigstens diese Kosten zu übernehmen.

An der Tierschutzfront ist man ob so viel Ungerechtigkeit empört. Kein Wunder, muss sich STS-Präsidentin Marianne Staub mit personellen Problemen auseinander setzen: Am 2. August trat Dagmar Senn per sofort aus dem Zentralvorstand (ZV) zurück. Sie war erst letzten Herbst neu gewählt worden. «Ich konnte das alles einfach nicht mehr mittragen», sagt Senn.

Ein paar Wochen vorher nahm bereits Vorstandsmitglied Ueli Abbühl den Hut. Auch andere ZV-Mitglieder sollen mit den Entscheiden der Präsidentin nicht mehr einverstanden sein und über einen gemeinsamen Rücktritt zumindest schon diskutiert haben.

Schlechtes Arbeitsklima

Nicht nur im Zentralvorstand herrscht Unruhe auch unter den Angestellten in der STS-Zentrale in Basel brodelt es. Im Februar unterzeichneten die Angestellten einen Brief an Staub und Vizepräsident Bircher. «Die Befindlichkeit gewisser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist angeschlagen», schreiben die Unterzeichner. Dann listen sie auf, wo der Schuh drückt: zu hohe Arbeitsbelastung, schlechte Beziehungen zum Zentralvorstand, unpassender Umgangston mit den Angestellten und der hierarchische Führungsstil.

Ausserdem zeigen sich die Mitarbeitenden über das Vorgehen des STS gegen aussen besorgt: «Wir dürfen den guten Ruf [des STS] nicht mit Effekthascherei aufs Spiel setzen. Langfristig unterstützen die Gönner den STS nur, wenn er konkrete Erfolge zugunsten der Tiere vorweisen kann.» Und: «Wichtig ist auch eine gute Zusammenarbeit mit andern Organisationen.» Diese seien weniger als Konkurrenz zu bekämpfen; vielmehr müsse man versuchen, gemeinsame Synergien zugunsten der Tiere zu nutzen (siehe Artikel Seite 18).

Heute, ein halbes Jahr später, spielt die STS-Spitze den internen Knatsch herunter: «Es gibt im Verband durchaus Probleme, die wir gemeinsam angehen möchten und müssen», schreibt Staub. «In allen Verbänden ist die Zusammenarbeit ehrenamtlich-strategische Führung und operationell-professionelle Ebene ein Thema.»

Tatsache ist, dass viele in den Sektionen, unter den Angestellten und im Zentralvorstand unzufrieden sind. Es ist klar, wo sie das Problem orten: bei den Verbandsstrukturen und Präsidentin Staub höchstpersönlich.

Einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt, ist Kurt Sieber vom Tierschutzverein Frauenfeld. «Man müsste den ganzen Laden umkrempeln und neu organisieren», meint er. Und: «Frau Staub und der gesamte Zentralvorstand müssten den Hut nehmen.» Unter der Hand («aber bitte zitieren Sie mich nicht») sagen das auch andere. Staub habe sich ein Umfeld geschaffen, das sie faktisch zur Alleinherrscherin über den STS mache.

Die Basis wird einfach übergangen

Unbestritten ist, dass Marianne Staub grosse Verdienste um den Schweizer Tierschutz erworben hat. Mit ihrem gepflegten und sicheren Auftritt gegen aussen gewann sie viele Sympathien und befreite den Tierschutz vom handgestrickten Image.

Doch ebenfalls unbestritten ist: Die Frauen und Männer, die an der Basis die eigentliche Tierschutzarbeit leisten, haben in den STS-Gremien wenig zu sagen. Nur eine kleine Gruppe rund um die Präsidentin entscheidet über die Geschicke des Tierschutzverbands. Hinter verschlossenen Türen bestimmt das Grüppchen, wie die Verbandsmillionen eingesetzt werden, welche Aktionen geplant sind und welche Strategie verfolgt wird.

Die Basis erfährt davon kaum je etwas. Selbst die unerwarteten Rücktritte aus dem Zentralvorstand zum Beispiel werden den Sektionen nicht einmal offiziell mitgeteilt. Kommt hinzu, dass die Delegiertenversammlung nur alle zwei Jahre stattfindet. Einsprache zu erheben bringt dann nicht mehr viel.

Ganz abgesehen davon, dass kritische Stimmen beim Verband wenig gefragt sind im Gegenteil. «Wer Staubs Vorgehen auch nur in den Ansätzen kritisiert, wird schnell zurückgebunden», sagen Angestellte. Auch an den Delegiertenversammlungen würden Leute, die sich kritisch äussern, oft schief angeschaut oder aber blöd hingestellt. «Viele getrauen sich dann gar nicht erst, etwas zu sagen.» Andere sagen, Präsidentin Staub höre zwar allen zu, ändere dann aber nichts. So verkämen die Delegiertenversammlungen zu reinen Quasselveranstaltungen, an denen nur noch genickt werde.

Aus Angst vor Sanktionen getraut sich denn auch kaum jemand, öffentlich seine Meinung zu sagen. Denn wer laut Kritik übt, werde der Illoyalität bezichtigt und komme auf die Abschussliste. «Viele machen nur die Faust im Sack», erzählt ein STS-Mitarbeiter.

Es ist alles beim Alten geblieben

Das ist nicht neu: Bereits Mitte der neunziger Jahre stellten einige kritische Sektionen und Tierschutzexponenten die zunehmend zentralistischen Strukturen und den Umgang mit den Finanzen in Frage. Daraufhin wurden die aufmüpfigen Sektionen kurzerhand aus dem Verband ausgeschlossen. Der Beobachter hatte damals mehrfach darüber berichtet. Gegen ein aufmüpfiges Mitglied wurde gar eine Ehrverletzungsklage eingereicht, nachdem es sich an der Delegiertenversammlung gegen die Wahl eines Vorstandsmitglieds gestellt und den STS kritisiert hatte. Das Thurgauer Obergericht wies die Klage im Oktober 1999 ab.

Die STS-Spitze weist darauf hin, dass man nach den internen Unruhen eine Strukturreform durchgeführt und neue Statuten verabschiedet habe. «Wirklich geändert hat sich aber nichts», sagt Kurt Sieber vom Tierschutzverein Frauenfeld. Der Wirkungskreis der Präsidentin sei so gross wie eh und je.

Mark Rissis Doppelfunktion

Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich rund um Präsidentin Staub eine treu ergebene Entourage schart. Eine zentrale Rolle kommt laut Insidern dem bekannten Tierfilmer Mark Rissi zu, der mit seinen eindrücklichen Filmen breite Kreise für Tierschutzanliegen sensibilisiert hat. STS-Mitarbeiter erzählen, dass Rissi die Präsidentin vor Angriffen abschirmt und einen regelrechten «Abwehrring» gegen innen und aussen errichtet.

Aber das ist nicht alles: Bis vor kurzem sass Rissi im Zentralvorstand des STS und verdiente gleichzeitig sein Geld mit Aufträgen des Verbands. Während Jahren wurde die Doppelfunktion Rissis Vorstandsmitglied und Angestellter beanstandet. Zudem geriet der wendige Tierfilmer ins Schussfeld der Kritik, als bekannt wurde, dass er gewisse Szenen in seinen Filmen manipuliert hatte und sich zu Unrecht mit einem Doktortitel schmückte. Doch nicht etwa Rissi wurde geschasst, sondern ein Zentralvorstandsmitglied, das ihn scharf kritisiert hatte.

Erst in diesen Frühling trat Rissi aus dem Vorstand zurück und konzentriert sich jetzt nach eigenen Worten in einem 60-Prozent-Pensum auf den Job als STS-Presseverantwortlicher. Nur: Rissi nimmt weiterhin an den Vorstandssitzungen teil als «Zuständiger für die Öffentlichkeitsarbeit», wie es beim Verband heisst.