Sie heissen Actinomyceten, Mikrokokken oder Nokardien und leisten Schwerarbeit: Bakterienstämme, die dabei helfen, Grünabfälle zu Naturdünger und Biogas zu vergären. Am effizientesten arbeiten sie in einem Umfeld ohne Sauerstoff und mit einem energiereichen Mix aus Küchenabfällen, Grüngut und Flüssigkeit. «Wenn die Masse die Konsistenz eines Birchermüeslis hat, läuft der Prozess optimal», sagt René Weickert, Leiter der Kompogasanlage am Ostrand von Winterthur. Dort werden jährlich bis zu 21000 Tonnen Grünabfälle verarbeitet. Der Arbeitsplatz von Weickerts Bakterien ist ein zylinderförmiger Fermentertank mit einem Durchmesser von 8,5 und einer Länge von 32 Metern. In seinem Innern wälzen Paddel die Substanz langsam um. An der Oberfläche steigen dabei Blasen auf – Biogas. Durch ein Bullauge kontrollieren Weickert und seine Kollegen täglich, dass der Prozess richtig abläuft. «Ob der Mix stimmt, ist ein Stück Bauchgefühl und braucht viel Erfahrung», sagt er.

15 Tage, 55 Grad

Der Fermentertank lässt sich mit der Verdauung einer Kuh vergleichen: Dort durchläuft das zerkleinerte Futter mehrere Mägen, wo Bakterien es in Nährstoffe, Dung, CO2 und Methangas zersetzen. Letzteres lässt die Kuh in die Umwelt entweichen, bei der Biogasanlage ist es das wertvolle Endprodukt. Auch im Fermentertank durchlaufen die Bioabfälle mehrere Stufen der Zersetzung und wandern dabei in 15 Tagen bei 55 Grad durch den Tank. «Die lange Verweildauer und die Temperatur stellen sicher, dass alles Material vorschriftsgemäss hygienisiert wird», sagt Weickert. Hygienisiert bedeutet, dass möglichst alle Keime, Schimmelpilze oder Samen abgetötet werden, damit die Gärreste als Dünger verwendet werden dürfen.

Prototyp auf der Terrasse

Erste Anlagen zur Biogasherstellung aus festem Material gab es bereits in den Dreissigerjahren. Das Prinzip der hocheffizienten Kompogasanlagen wurde hingegen erst 1988 von Walter Schmid erfunden, heute bekannt als Erbauer der Umweltarena in Spreitenbach AG. Schmid ebnete der industriellen Produktion von Biogas, das aufgrund seiner guten CO2-Bilanz eine umweltfreundliche Alternative zum Erdgas ist, den Weg. Der Besitzer eines Bauunternehmens hatte bereits vor gut 40 Jahren auf seiner Terrasse den Prototyp des heutigen Fermenters gebaut. 1991 nahm Schmids Unternehmen die erste Kompogasanlage in Rümlang ZH in Betrieb. Damals war es schwierig, Grünabfälle zu bekommen, denn eine separate Abfuhr gab es nicht. Heute wird die von Schmid erfundene Technik vom Cleantech-Unternehmen Hitachi Zosen Inova aus Zürich vertrieben. Weltweit existieren rund 100 Anlagen nach Schmids Kompogasprinzip, in der Schweiz sind es 21. Dazu kommen hierzulande noch 8 weitere industrielle Biogasanlagen, die ähnlich funktionieren. 15 Kompogasanlagen gehören der Axpo Biomasse AG, zum Teil gemeinsam mit lokalen Unternehmen. In Winterthur sind das Stadtwerk Winterthur sowie der Energiedienstleister Thurplus aus Frauenfeld beteiligt.

«Leider lässt die Disziplin der Leute teilweise zu wünschen übrig.»

Daniel Ribi, Axpo Biomasse

Mangel an Grüngut herrscht heute nicht mehr. Allein die Winterthurer Abfuhrwagen liefern pro Tag bis zu 85 Tonnen an. Durch vier Tore kippen sie Rasenschnitt, Rüstabfälle, Laub und Geäst in den Bunker im Halleninnern. Dort riecht es überraschend angenehm nach vergorenem Gras und Stall. Vom Bunker aus hievt ein Greifer das Grüngut in den Schredder, wo es zerkleinert wird. Danach passiert es ein Sieb und einen Magneten. Hier wird möglichst viel aussortiert, was nicht in die Grünabfuhr gehört. «Leider lässt die Disziplin der Leute teilweise zu wünschen übrig», sagt Daniel Ribi. Er ist bei Axpo Biomasse für die fünf Anlagen in der Ostschweiz zuständig. Trotz Sieb und Magnet schafft es ein Teil der unerwünschten Stoffe in den Fermenter – meist sind es kleine Kunststofffetzen. Und da die Bakterien nichts damit anfangen können, landet das Plastik zum Teil mit dem Dünger auf den Feldern. «Das ist ein Problem, für das es leider noch keine gescheite Lösung gibt», sagt Ribi.

Naturdünger für Bauern

Nach Schredder und Sieb transportiert ein Förderband das Grüngut zu einer Stopfschnecke, die es in den Fermenter presst. Falls nötig, gibt Betriebsleiter René Weickert noch Wasser oder flüssige Rüstabfälle zu. Und damit immer genügend Bakterien da sind, wird fertig vergorenes Material vom anderen Ende des Fermenters beigegeben. Impfen nennt Weickert das. Bis zu 70 Tonnen pro Tag können verarbeitet werden. Dabei entstehen im Schnitt aus jeder Tonne Grüngut 900 Kilo Naturdünger und gut 580 Kilowattstunden Energie – die Produktion würde reichen, um etwa 1000 Einfamilienhäuser zu beheizen. Was am Schluss aus dem Fermenter kommt, hat eine breiartige Konsistenz und wird ausgepresst. Die festen Bestandteile, die an Komposterde erinnern, landen auf einem Haufen, die Flüssigkeit in einem Becken, wo sich Sand und Kies ablagern. Die Flüssigkeit selbst wird mit Tankwagen abgeholt und auf Feldern verteilt. Der feste Naturdünger wird noch mal gesiebt und ebenfalls an Landwirte weitergegeben. «Leider ist Kunstdünger immer noch so günstig, dass unser Naturdünger derzeit keinen Wert hat», sagt Ribi von Axpo Biomasse. Trotzdem rentiert die Anlage. Einerseits bezahlen die Anlieferer eine Gebühr, andererseits kann die Energie als Biogas verkauft werden.

Keine Umweltsünde

Die Anlage zur Gewinnung von Gas besteht in Winterthur aus mehreren Technikcontainern und Dutzenden Laufmeter Leitungen. Darin wird das im Fermenter angesammelte Biogas in CO2 und Methan aufgespalten. Das CO2 entweicht über ein Rohr in die Umgebung. Das tönt nach einer Umweltsünde, ist es aber nicht: Die gleiche Menge CO2 haben die Pflanzen aus der Atmosphäre entnommen. Künftig könnte es aber bei der Betonproduktion verwendet und so eingeschlossen werden. Das Verfahren dazu funktioniert im kleineren Rahmen bereits.

Das Methan wiederum wird getrocknet, verdichtet, mit dem gastypischen Geruch versehen und ins Netz von Stadtwerk Winterthur eingespeist – zum Heizen von Häusern oder als Treibstoff für Fahrzeuge. Bei anderen Kompogasanlagen, etwa im bernischen Aarberg, wird das Biogas direkt für ein Blockheizkraftwerk genutzt, das Wärme und Strom produziert.

Zum Heizen eigentlich zu schade

Aufgrund seiner guten Ökobilanz ist Biogas ein wichtiges Element der Energiestrategie 2050 – gegenüber heute könnte die Produktion mehr als verdoppelt werden. Genutzt würde das Gas dann aber wohl nicht mehr zum Heizen. «Das wäre viel zu schade, weil es dafür genügend andere erneuerbare Energieträger gibt», sagt Matthieu Buchs, Spezialist für erneuerbare Energien beim Bundesamt für Energie. Hingegen solle das nur begrenzt vorhandene Biogas künftig lediglich eingesetzt werden für die effiziente Produktion von Strom und Wärme in Blockheizkraftwerken, für industrielle Prozesse mit hohen Temperaturen oder für den Strassen-Schwerverkehr über lange Strecken. Auf die Actinomyceten und Co. wartet also noch viel mehr Arbeit.

Grüngut oder nicht?

In die Grünguttonne dürfen:

  • Gartenabfälle inklusive Topfpflanzen (ohne Topf)
  • Haushaltsabfälle und Mist von Kleintieren
  • Speisereste inklusive Brot, Fleisch, Fisch, tierische und pflanzliche Öle oder Fette
  • Compobag (Kompostierbeutel, erkennbar am weissen Gitternetz)

Nicht in die Grünguttonne gehören:

  • Kunststoffe (Plastik) und Metalle
  • Glas
  • Steine, Kies, Sand
  • Katzenstreu und Hundekot
  • Asche
  • Textilien
  • mineralische Öle
  • Strassenwischgut
  • Schnüre aus Kunststoff (unverrottbare Materialien)
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Matthias Pflume, Leiter Extras
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