Es fällt schwer in diesen Zeiten, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Die Welt, so scheint es, wird mehr denn je heimgesucht von Desastern aller Art, von Katastrophen, Kriegen und Terror. Wir ängstigen uns, umso mehr, als der zivilisatorische Fortschritt, der uns wohlhabender machte, zugleich neue Gefahren produziert.

Der Fallout von Fukushima dürfte weltweit noch eine Weile spürbar bleiben. Der Katastrophe ist eine Flutwelle der Angst gefolgt. Verstärkend wirkt, dass den Ereignissen in Japan zerstörerische Erdbeben in anderen Teilen der Welt vorausgegangen waren, in Indonesien 2004 und 2010 in Haiti, mit Hunderttausenden von Toten – wir wurden nachdrücklich erinnert an unsere begrenzte Macht, wenn wir entfesselter Naturgewalt ausgesetzt sind.

Der Philosoph Hans Jonas stellte schon vor 30 Jahren die Frage: Wie viel Katastrophe braucht der Mensch, bevor er umdenkt und seinen selbstzerstörerischen Kurs korrigiert?

Ist das Reaktorunglück von Fukushima dieses Ereignis, die bei Umweltschützern «willkommene Katastrophe» («Weltwoche»), die die Menschheit zu einer grundlegenden Kurskorrektur führen wird? Zu weniger Technologiegläubigkeit, zu einer Abkehr vom grenzenlosen Wachstum?

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass dies nicht passieren wird und uns auch kaum eine bessere Welt bescheren würde.

Hans Jonas zählte zu den Warnern, die bei Amerikas und Europas Kultur- und Medieneliten seit den siebziger Jahren auf wachsenden Widerhall stiessen. Überall sah man die Menetekel. Zuerst hatte der Kalte Krieg die Furcht vor der Selbstzerstörung der Menschheit durch einen atomaren Krieg genährt. Dann liessen die Reaktorunfälle von Three Mile Island und Tschernobyl Super-GAU und Kernschmelze als neue Schreckensvisionen entstehen.

Der ehemalige CDU-Politiker Herbert Gruhl traf 1975 den Geist der Zeit mit seinem Bestseller «Ein Planet wird geplündert». Er legte eine Anklageschrift vor über den Raubbau an der Natur und beklagte die Überforderung des planetaren Systems durch eine explodierende Erdbevölkerung und ihre wachsenden Ansprüche.

Eine kleine Gruppe von Wissenschaftlern schloss sich im Club of Rome zusammen und prophezeite die «Grenzen des Wachstums» mit präzisen Enddaten über die Verfügbarkeit von Rohstoffen und Mineralien. Der Report liess die kulturpessimistische Strömung stark anschwellen. Der Weg für eine Abkehr vom selbstzerstörerischen Pfad schien bereitet. Grüne Parteien wurden gegründet und erstarkten rasch, herkömmliche Parteien übernahmen viele der grünen Forderungen.

Wachstum bleibt das Zauberwort

Doch zu einer Umkehr ist es nicht gekommen. Wachstum des Bruttosozialprodukts ist nach wie vor das Zauberwort unserer Gesellschaften, «Nachhaltigkeit» blieb Wunschdenken. Der Hunger nach Energie wächst weiter. Nichts spricht dafür, dass Fukushima daran etwas ändern wird.

Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko im vergangenen Jahr hat die Blaupause geliefert für die Mechanismen unseres Verhaltens: Die westliche Öffentlichkeit hatte auf die Katastrophe mit hellem Entsetzen reagiert. Der gebieterischere Ruf nach einem Verbot jeglicher Tiefsee-Exploration von Ölfeldern erklang, wurde von Politikern in Europa und den USA aufgegriffen; Präsident Barack Obama verhängte ein Moratorium, viele Kommentare geisselten unsere Sucht nach dem schwarzen Gold.Doch all das erwies sich als flüchtige, letztlich folgenlose Episode. Längst ging man wieder zur Tagesordnung über. Die Industriezivilisation verlangt nach mehr Öl. Das umso mehr, als es zu fossilen Brennstoffen derzeit kaum eine verfügbare Alternative gibt, die schnell die nötige Menge an Energie zu liefern vermag. Vor allem aber ist eines unbestreitbar: Am Gesamtbild der Weltlage hat sich kaum etwas verändert. Die Mahnungen haben das Bewusstsein für Gefahren geschärft, manches Mal aber auch negativ gewirkt, weil sie Panik auslösten, die nie ein guter Ratgeber ist.

Die menschliche Zivilisation bleibt auf dem Weg, den sie seit Aufklärung und industrieller Revolution eingeschlagen hat. Die Karawane zieht weiter, nicht ohne Zweifel und Ängste, aber in ewig gleicher Richtung. Gewiss auch deshalb, weil sich viele der Endzeitprognosen nicht erfüllt haben, wenngleich manche «noch nicht» sagen würden.

Die Weltbevölkerung ist seither weiter gewachsen, zählt nun rund 7 Milliarden. Bis 2050 sollen es 9 Milliarden werden. Die wichtigsten Rohstoffe sind, entgegen den Voraussagen des Club of Rome, nach wie vor reichlich vorhanden. Derweil steht Schiefergas bereit, neu entdeckt und laut Internationaler Energie-Agentur reichlich genug vorhanden, um Energieprobleme für 250 Jahre zu lösen – und erst noch sauberer als mit Kohle und Öl.

Das Chaos regiert in Fukushima: der Kontrollraum von Block 1 am 24. März 2011

Quelle: Kyodo News/AP/Keystone
Der Mensch hat sich glücklicher gemacht

Die Menschheit mag mit dem Einstieg ins Öl- und Kohlezeitalter einen faustischen Pakt eingegangen sein, doch unbestreitbar ist, dass Fortschritt und Wohlstand ohne fossile Brennstoffe nicht denkbar gewesen wären. Billige Energie, erst Kohle, dann vor allem Öl und Gas, schufen die Voraussetzung für unerhörten gesellschaftlichen Fortschritt und ermöglichten die Entwicklung hin zu Massendemokratien mit besseren Lebensbedingungen für alle, für mehr Mobilität, mehr Wärme, für ungeahnte, nicht immer positive Formen der Unterhaltung, für ein Potential an Wissen und Wissensvermittlung, das nie zuvor in der Geschichte existierte. Für Möglichkeiten und Freiheiten, die über Jahrtausende nicht einmal für eine kleine, exklusive Minderheit existiert hatten, während die meisten Menschen ein kurzes, von Krankheiten und Versklavung bestimmtes Leben fristeten.

Es ist wichtig, sich die Lebensverhältnisse, die noch vor 100 oder 50 Jahren selbst im privilegierten Westen herrschten, vor Augen zu führen, gerade in einer Periode wie der unsrigen, die von Angst und Pessimismus erfüllt ist. Die Welt bietet eine Fülle positiver Nachrichten: Arbeitsteilung, Handel, der Austausch von Ideen, möglich geworden in einer globalisierten Welt, haben zu einer massiven Verbesserung der Lebenssituation nicht nur der Menschen in Europa und den USA geführt. Energie sorgte für einen nie dagewesenen Wohlstand.

Wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt befreite die Menschen in vieler Hinsicht. Matt Ridley, Autor des lesenswerten Buchs «The Rational Optimist», liefert viele statistisch untermauerte Beispiele für eine erstaunliche Verbesserung der Lebensverhältnisse der Weltbevölkerung binnen kürzester Frist: «Der Bewohner unseres Planeten verdiente 2005 im Schnitt dreimal so viel (inflationsbereinigt), ass ein Drittel mehr an Kalorien, verlor ein Drittel weniger seiner Kinder an Krankheiten wie Diphtherie, Pocken, Malaria und Typhus und lebt länger als nur zehn Jahre zuvor.» Der Anteil der Weltbevölkerung, der europäisches Wohlstandsniveau erreicht, schnellte innert 20 Jahren dramatisch nach oben.

Gewiss bleibt viel zu tun. Armut und Not sind ständige Begleiter menschlicher Existenz. Doch ohne eine energieintensive Zivilisation und freie, offene Gesellschaften, die zugleich Voraussetzung sind für eine kritische Begleitung des Fortschritts, gäbe es keine Hoffnung, den Bedrängten dieser Erde zu helfen.

Auch sorgte diese zivilisatorische Kombination dafür, dass die Welt heute vielerorts in besserem Zustand ist als noch vor 30 Jahren. Die Flüsse und Seen Europas und Amerikas sind sauberer als zuvor, die Luft enthält vielerorts weniger Schadstoffe, Autos wurden sehr viel sparsamer. Und selbst China beginnt wenigstens, sich ernsthaft um die Erhaltung der eigenen Umwelt zu kümmern.

Der Einfluss der Elite schrumpft

Sicher bleiben Schattenseiten des Fortschritts sichtbar, auch werden Risiken bleiben, womöglich an Intensität wachsen, weil wir in Verfolgung unserer Ziele irgendwann an jene Grenzen des Wachstums stossen werden, die der Club of Rome bereits vor langer Zeit erwartete. Grenzenloses Wachstum auf einem begrenzten Planeten ist auf Dauer nicht möglich, selbst wenn man menschlichen Erfindungsreichtum und stetig höhere Effizienz in Rechnung stellt.

Aber selbst dann, wenn die Grenzen klar sichtbar werden – Milliarden von Menschen werden nicht vom Weg ablassen, der ihnen ein besseres Leben verspricht oder schon verschafft hat. Der Wunsch, die eigenen Lebensumstände und die der eigenen Kinder zu verbessern, ist die entscheidende Triebkraft menschlicher Natur. Das muss nicht zwangsläufig in die Katastrophe führen. Denn unser Bild von einer Welt, die gefährdeter ist denn je, bedarf einer Relativierung. Es ist definitiv nicht so schlimm, wie es scheint und wie es uns durch die Medien vermittelt wird.

Nie zuvor gab es eine Epoche, in der Informationen so reichlich flossen; zudem ist es schwerer denn je geworden, Informationen zu unterdrücken oder zu manipulieren. Technologischer Fortschritt und Digitalisierung ermöglichten die Evolution von Mediendemokratien, mit einem historisch einmaligen Fluss von Daten, Bildern und Nachrichten. Eliten verloren an Einfluss; selbst autoritären Systemen ist es beinah unmöglich geworden, den Strom von Informationen zu kontrollieren.

Wir fürchten mehr, je mehr wir wissen

Aber es gibt eine Schattenseite der Demokratisierung von Informationen. Weil vorab negative Nachrichten Nachrichten sind, ist eine neue Situation entstanden: Alles, was rund um den Erdball passiert, Fluten, Wirbelstürme, Dürren und Hungersnöte, Kriege und Terror, wird in globaler Echtzeit in unsere Wohnungen geschwemmt. Wir erfahren sofort, wenn irgendwo ein Vulkan ausgebrochen ist, ein Eisberg sich vom Festlandsockel löst oder Tausende von Menschen in Bangladesch in einer Flutwelle umkommen.

Der kognitive «Overkill» bleibt nicht folgenlos. Er überfordert uns, kann verängstigen, zu Fehlschlüssen oder übertriebenen Voraussagen beitragen.

Natürlich bleibt die Welt gefährlich. Doch apokalyptische Szenarien wurden stets auch aus purer Angst geboren. Einst waren es Kometen, die als Boten herannahenden Unheils galten. Dann waren es Daten, etwa eine herannahende Jahrtausendwende. Bezeichnend, wie im Anlauf aufs Jahr 2000 selbst kühle Manager und Politiker von einer Dosis Millenniumsfurcht erfasst wurden und Milliarden ausgaben, um den Crash von Computersystemen durch den «Y2K-Bug» abzuwenden. Ausgaben, die der Computerindustrie lukrative Zeiten bescherten, die sich jedoch als überflüssig erwiesen. Es ist ein Nebeneffekt der Informationsrevolution, dass die Welt in einem beklemmenderen Licht erscheint, als sie es wirklich verdient.

Hinzu gesellt sich, dass wachsender Wohlstand und das Fehlen akuter Bedrohungen im postmodernen Westeuropa keinen beruhigenden Effekt haben. Im Gegenteil: Wer viel hat, hat viel zu verlieren. Die Angst vor dem Verlust bleibt ständiger Begleiter eines historisch einmaligen Massenwohlstandes gerade in den reichen Industriegesellschaften.

Was heisst das nun für die Zeit nach Fukushima? Der Brite Arnold Toynbee sah den Menschen als «technologischen Giganten», aber als «moralischen Pygmäen», unfähig, sich zu ändern. Hans Jonas glaubte, nur die schlimmste Katastrophe vermöge den Menschen aufzurütteln; zu einer radikalen Kurskorrektur werde es nur kommen, wenn die Not uns Beine macht. Selbst das muss bezweifelt werden.

Wahrscheinlich hat Arthur Koestler recht, der in seinem letzten Werk «Der Mensch – Irrläufer der Evolution» schon in den siebziger Jahren prophezeite, jede technologische Zivilisation erreiche einen Zustand, in dem sie sich entweder durch Krieg auslöschen oder die Bedingungen ihrer Existenz zerstören könne. Entweder sie überlebe diese Phase, dann werde sie einer «Zivilisation der Halbgötter» gleichen, oder sie werde vergehen.

Klar ist nur eines: Apokalyptische Szenarien helfen uns nicht weiter. Nur wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt, begleitet von Vernunft und Augenmass, kann der Menschheit über den aktuellen kritischen Punkt hinweghelfen.