Das schleckt keine Geiss weg: Redewendungen sind aus unserer Alltagssprache nicht wegzudenken. Wir wagen uns in die Höhle des Löwen beim Termin mit dem Chef, weil er uns permanent auf die Palme bringt; wir beissen in den sauren Apfel und lassen uns wieder mal zur Schnecke machen; irgendwann packen wir den Stier schon bei den Hörnern und lassen gehörig die Sau raus …

Redewendungen und sprichwörtliche Redensarten sind der Stoff, der unserer Sprache Flügel verleiht und unsere bildliche Vorstellungskraft beflügelt − mal herzhaft-derb, mal humorig. Als volkstümliches Erbgut «in Fleisch und Blut übergegangen», verankert in unserem kollektiven Bewusstsein, sind sie zwar Klischees, aber zugleich auch ein kreatives rhetorisches Stilmittel. Ohne all die prägnanten Vergleiche und bildhaften Wendungen wäre unsere Sprache saftlos und blutleer – frei nach Mark Twain: Der Unterschied zwischen einem anschaulichen Bild und einer sachlich-nüchternen Formulierung ist etwa so gross wie der zwischen Blitz und Glühwürmchen. Und es ist wohl nicht zufällig, dass sich der Schriftsteller, als er diesen berühmten Vergleich schuf, von Naturphänomenen inspirieren liess. Auch die antike Fabeldichtung fand ihre Vorbilder und Projektionsflächen (etwa das Tier als Träger menschlicher Eigenschaften) in der Natur; Ähnliches gilt für die Sprache der Ritter, den Jargon der Seeleute oder Jäger. Dank ihren Anleihen aus dem Tier- und Pflanzenreich und der Metaphorik der Elementarkräfte schöpft der Volksmund aus einem reichen Fundus an eingängigen und lebendigen Sprachbildern.

Während wir den Sinn dieser Bilder, ihre übertragene Bedeutung, meist mühelos erfassen, liegt ihr Ursprung oft im Dunkeln. Denn viele bekannte Wendungen haben uralte Wurzeln; sie entstammen einer Welt, die längst untergegangen ist, und sie erzählen von Sitten und Bräuchen, die inzwischen überholt sind.

Deuten wir die Bilder und erforschen wir ihre Herkunft und Bewandtnis, enthüllen sich nicht selten überraschende Zusammenhänge, aber auch Hinweise auf den Wandel unserer Kultur. Klopfen wir also auf den Busch und lassen wir die Katze aus dem Sack ...

«7–5–3: Rom schlüpft aus dem Ei»: Merksprücke wie dieser sind eine bewährte Methode, dem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen. Dass wir dabei «eine Eselsbrücke bauen», kommt nicht von ungefähr: Esel sollen sich hartnäckig weigern, selbst kleinste Wasserläufe zu überqueren, weil sie dabei nicht sehen, wohin sie treten. Also bauten früher findige Bauern Behelfsübergänge, die ihr «störrischer Esel» auch widerstandslos betrat. Bekanntlich hat man aus dieser Vorsicht auch einen Mangel an Intelligenz abgeleitet, was dem Tier – und sprichwörtlich dem einen oder anderen Exemplar der Gattung Homo sapiens – das Prädikat «dummer Esel» eingebracht hat.

Quelle: Alina Günter

«Blöde», «dumme» oder «heilige Kühe» sind sprachliches Allgemeingut, und wenn wir etwas als empörend empfinden, greifen wir gerne zur Redensart: «Das geht auf keine Kuhhaut!» Aber warum berufen wir uns dabei ausgerechnet auf die Kuh?

Bevor das Papier seinen kulturellen Siegeszug feierte, schrieb man auf Pergament – also auf präparierte Tierhaut, oft von Kälbern. Vor unserem geistigen Auge erscheint das überlieferte Bild des Mönchs, der in seiner klösterlichen Kammer Schriften auf Pergament überträgt; in diesen Kontext gehört auch die mittelalterliche Vorstellung, der Teufel lasse über die Verfehlungen des Menschen minutiös Buch führen, um das Sündenregister beim Jüngsten Gericht gegen ihn zu verwenden – und was auf dieser pergamentenen Liste eben keinen Platz fand, lag jenseits des Zumutbaren.

Katzen sind in unserem redensartlichen Repertoire prominent vertreten. Entsprechend verzeichnet schon Karl Friedrich Wilhelm Wanders «Deutsches Sprichwörter-Lexikon» aus dem 19. Jahrhundert über 1000 Wendungen. Es «hagelt Katzen», wir «kaufen die Katze im Sack» und lassen sie aus ebendiesem wieder raus; wir «katzbuckeln», schleichen «wie die Katze um den heissen Brei» oder sind vom Ziel nur «einen Katzensprung» entfernt.

Und warum ist alles «für die Katz»? Schon 1548 verwendet Burkard Waldis die Redensart in einer Fabel: Ein Schmied entscheidet sich, für seine Arbeit keinen Fixpreis zu verlangen, sondern die Entschädigung vom Ermessen der Kunden abhängig zu machen. Die allerdings beschränken sich auf ein Dankeschön. Also bindet der Schmied eine fette Katze in seiner Werkstatt fest, um jedes Mal, wenn er mit einem Dankeswort abgespeist wird, zu sagen: «Katz, das geb ich dir!» Und was die Katze da erhält, ist weniger noch als ein wertloser Happen …

Nur scheinbar tierisch ist der «Katzenjammer» nach berauschender Nacht – wenn einer einen (vermeintlichen) «Kater» hat oder, im Studentenjargon des 19. Jahrhunderts, «den Kater spazieren führt». Der (Alkohol-)Kater leitet sich nämlich von der sächsischen Aussprache des Wortes Katarrh ab, das umgangssprachlich Kopfschmerzen oder allgemeines Unwohlsein bezeichnet. Mit dem Rückschluss auf die männliche Katze sind wir demnach komplett auf dem Holzweg …

Quelle: Alina Günter

Holzwege, schreibt der Philosoph Martin Heidegger in seinem gleichnamigen Werk, seien Wege, die «meist verwachsen jäh im Unbegangenen aufhören». Verbürgt ist der Begriff schon seit dem Mittelalter: Der «holwec» bezeichnet den schmalen Waldpfad, auf dem geschlagenes Holz befördert und deponiert wird, der aber im Nirgendwo endet. Im Volksmund ist, wer sich auf dem «Holzweg» befindet, also fehlgeleitet, auf einem Irrweg – und davor bewahren uns auch moderne Orientierungshilfen, GPS und Co. nicht.

Vögel haben sich hartnäckig in unserer Umgangssprache eingenistet: Sie haben uns «Spatzenhirne», «Dreckspatzen» oder «Rabenmütter» beschert; wir «schiessen den Vogel ab», wenn wir einen Erfolg verbuchen, und gelten als «Pechvogel», wenns mit dem Erfolg partout nicht klappen will.

Es kommt auch vor, dass wir «einen Vogel haben»: Nach mittelalterlichem Volksglauben lässt sich mangelndes Denkvermögen oder auffälliges Verhalten nämlich darauf zurückzuführen, dass im Kopf des Menschen Vögel nisten und dort ihr (mitunter auch akustisches) Unwesen treiben. Kein Wunder, sprechen wir von einem Dachschaden, wenn sich im Oberstübchen gefiederte Untermieter einrichten. Jedenfalls erklärt sich, warum wir Mitmenschen in Form einer typischen Handbewegung «den Vogel zeigen», um ihm zu bedeuten: «Bei dir piepts doch!»

Quelle: Alina Günter

Ist einer finanziell ruiniert oder gesellschaftlich gescheitert, ist er sprichwörtlich «auf den Hund gekommen». Dann nämlich ist er, wie das streunende, verwahrloste Tier, ganz unten angelangt.

Zu den plausibelsten Erklärungen dieser Redewendung zählt die, wonach einst Abbildungen von (Wach-)Hunden die Böden städtischer oder fürstlicher Geldtruhen zierten – als symbolische Schutztiere, aber auch als Mahnung, sparsam mit den Mitteln umzugehen. Denn wer den Boden der Kiste freilegte, sprich: beim Hund ankam, hatte ganz offensichtlich nicht umsichtig gewirtschaftet.

In der Deutung des Grimm’schen Wörterbuchs bezieht sich der Ausdruck auch auf eine drakonische mittelalterliche Bestrafungsmethode: Danach war es üblich, nebst dem Missetäter auch einen Hund am Strick baumeln zu lassen – als Zeichen dafür, dass das Vergehen besonders ruchlos war und der Verbrecher es verdient hatte, «gleich einem Hund erschlagen und aufgehängt sowie an der Seite eines Hundes aufgehängt zu werden».

Der Hund ist ein äusserst beliebtes, häufig verwendetes Motiv im redensartlichen Sprachgebrauch. Bemerkenswert ist allerdings, wie schlecht der treue Begleiter des Menschen dabei wegkommt: Das Spektrum der Negativzuschreibungen reicht vom «blöden Hund» bis hin zum «feigen», «frechen» oder «falschen Hund». Auch der «dicke Hund» – also ein grober Fehler oder ein schlimmes Vergehen – hat sich in unserer Sprache breitgemacht. Weil es Mode geworden ist, das Haustier wie sich selbst zu überfüttern? Laut dem Wörterbuch der Brüder Grimm galt ein fetter Hund im Mittelalter als grobe Beleidigung – wenn man ihn als Gabe vor die Füsse geworfen bekam. Last not least setzen wir dem Tier auch mit dem Verb «verhun(d)zen» ein unehrenhaftes Denkmal. Und das ist nun irgendwie «hundsgemein».

Quelle: Alina Günter

Das Urelement Wasser ist seit je Quelle der Inspiration – auch im sprichwörtlichen Umgang mit Menschlichem, Allzumenschlichem: Wir können «kein Wässerchen trüben» (wie das unschuldige Lamm in einer Fabel Äsops), wir sind «mit allen Wassern gewaschen» (wie die weitgereisten Seeleute); es gibt «stille Wasser, die tief gründen», und Charaktere, die «nah am Wasser gebaut haben».

Erklärungsbedürftig ist, warum wir «einem das Wasser nicht reichen können»: Im höfischen Leben des Mittelalters, als Essbesteck noch Mangelware war und man vornehm(lich) mit den Händen ass, fiel den Knappen die Aufgabe des Wasserreichens zu; sie knieten neben den tafelnden Gästen und reichten ihnen mit Wasser gefüllte Gefässe. Allerdings: Wer in der Rangordnung ganz weit unten stand, kam selbst für diesen niederen Dienst nicht in Frage. Entsprechend minderwertig muss sich einer fühlen, wenn er im übertragenen Sinn «keinem das Wasser reichen» kann.

Quelle: Alina Günter

Auch der Bock hat seinen festen Platz in unserem redensartlichen Vokabular, und kaum je schmeicheln wir dem Tier: Mal beziehen wir uns auf seine strenge Duft-note, mal auf seine Fortpflanzungsfreudigkeit; wir verhalten uns «bockig», bauen «Bockmist» oder stempeln irgendeinen zum «Sündenbock».

Hin und wieder bringen wir es auch fertig, «einen Bock zu schiessen»: Bereits seit dem 15. Jahrhundert ist verbürgt, dass es in Schützenverbänden Brauch war, dem schlechtesten Schützen, sozusagen als Trostpreis, einen Bock zu überreichen. Begehen wir also den Fehler und schiessen am Ziel vorbei (oder übers Ziel hinaus), springt zwar ein Bock dabei raus – die Sache haben wir aber dennoch vermasselt, sprich: «verbockt».

Die Farbe Grün steht seit je für das Wachstum und Blühen der Natur, und in dieser positiven Bedeutung hat das Farbadjektiv Pate gestanden bei Redensarten rund um menschliche Befindlichkeiten: Man «ist sich nicht grün», wenn die Chemie nicht stimmt, die Beziehung also nicht gedeiht; man «kommt auf keinen grünen Zweig», wenn man ein Unterfangen nicht zur Blüte bringt. Manchmal loben wir einen «über den grünen Klee»: Dann übertreiben wir es, indem wir das hyperbolische Bild des grünen Klees – ein beliebtes Motiv in der mittelalterlichen Lobeshymne und Liebesdichtung – noch übersteigern. Und das ist des Grünen und Guten einfach zu viel.

Geht etwas redensartlich «in die Binsen», ist es unwiederbringlich verloren. Der Ausdruck ist vermutlich auf die Jägersprache des 19. Jahrhunderts zurückzuführen: Flüchteten Wildenten vor den Jägern, retteten sie sich schon mal ins Schilf respektive in die Binsen, womit sie für die Verfolger unauffindbar blieben.

Die «Binsenwahrheit», die offensichtliche Tatsache, der Allgemeinplatz, dürfte sich den Eigenschaften der Pflanze verdanken: Die Binse ist weit verbreitet und hat keine Knoten – wir haben es also mit einer Sache ohne Verknotungen, Verwicklungen zu tun, mit einer «glatten Sache» eben.

Sprechen wir die Wahrheit unumwunden aus, nehmen wir bekanntlich «kein Blatt vor den Mund». Heute dürfte kaum noch bekannt sein, dass die Redensart sich auf eine alte Theatersitte bezieht. «Ehe die Komödianten die Masken erfanden, haben sie das Gesicht mit Feigenblättern verstellt und also ihre Stichelreden vorgebracht», heisst es in Lutz Röhrichs Redensarten-Lexikon. Hielten sich die Schauspieler ein Blatt vor den Mund, konnte man sie für provokative oder kritische Worte nicht zur Rechenschaft ziehen. Dass es eine Zeit gab, in der solche Kniffe nötig waren, steht auf einem anderen Blatt; mittlerweile hat sich ja «das Blättchen gewendet».

Quelle: Alina Günter

Kein Blatt vor den Mund nehmen heisst auch: «etwas unverblümt sagen» statt «durch die Blume reden». Denn allzu viel florales Dekor verleiht unseren Worten den verschleiernd indirekten Charakter der Blumensprache, man denke an Rose, Vergissmeinnicht oder Klette. Und wie leicht gerät doch eine verhüllende, verschnörkelte Botschaft zur reinen Floskel (lateinisch «flosculus»: Blümchen, Redeblume) – zu einer nichtssagenden Redensart.