Oben am Aletschgletscher sei er gesessen und habe zugeschaut, wie das Eis langsam wegschmelze, erzählt der Gommer Regierungsstatthalter Herbert Volken am Handy. Er ist eben am Autofahren und setzt den Blinker. Er habe an die Trinkwasserversorgung gedacht, an die Bewässerungsanlagen und an die Wasserkraftwerke, die das Wasser des Gletschers brauchen. Da habe er sich an die Vorfahren erinnert, «alles mutige und gescheite Leute, die auch ihre Probleme mit dem Aletschgletscher hatten». Nachfahr Volken schaltet einen Gang höher.

Vor rund 330 Jahren kam der Aletschgletscher Fiesch bedrohlich nahe. Deshalb taten die Einwohner 1678 vor Gott und der Welt kund, fortan tugendhaft zu leben und zu beten, damit der Gletscher sein Wachstum einstelle. Dieses Gelübde wurde vom damaligen Pfarrer Johann Joseph Volken, einem Vorfahren des heutigen Regierungsstatthalters, dem damaligen Papst Innozenz XI. übermittelt.

«Wir haben wohl zu viel gebetet», sagt Volken heute und fährt weiter durchs Wallis. Der Aletschgletscher ist heute 3,5 Kilometer kürzer als bei seinem Höchststand. Am Fuss des Gletschers sitzend, sei ihm klar geworden: Das Gelübde muss geändert werden. «Der Gletscher soll nicht mehr weiter schmelzen, sondern er muss wachsen.»

Die Schöpfung zur Räson bringen

Volken nahm Kontakt auf mit Erzbischof James Harvey, zuständig für Gelübde im Vatikan. Mit Erfolg. «Die Audienz beim Papst ist für September gebucht», erklärt der Regierungsstatthalter bei brummendem Motor. Dann wird er den Abänderungsantrag übergeben.

Dass Fiesch «den Papst zu Hilfe ruft», hat die Welt Anfang August mittels Pressemitteilung erfahren – unterzeichnet vom Fiescher Pfarrer und vom Walliser Tourismusdirektor Urs Zenhäusern. «Klar hat das auch mit PR zu tun», gibt Zenhäusern freimütig zu. Aber als PR-Gag will er die Aktion nicht verstanden wissen. «Es ist uns ernst. Wir leben von diesen Ressourcen.»

Dass im Wallis ein Pfarrer und ein Tourismusdirektor ein Communiqué gemeinsam unterschreiben, vermag Adrian Loretan, Professor für Kirchen- und Staatskirchenrecht an der Universität Luzern, nicht zu erstaunen. «Das ist im Wallis doch fast das Gleiche», schmunzelt er.

Doch auch Loretan sieht das aktualisierte Gelübde der Fiescher nicht als PR-Gag: «Den Naturgewalten kann man wenig entgegensetzen: Man kann ohnmächtig zusehen oder eben Gott anrufen.» Wieso aber beten, wenn man weiss, dass die Klimaerwärmung zu 80 Prozent vom Menschen gemacht ist? «Bereits der Philosoph und Theologe Thomas von Aquin hat Gott zwar als Schöpfer gesehen, der Schöpfung aber eine innere Autonomie zugebilligt.»

Im Klartext: Wir können beten, dass Gott seine autonome Schöpfung Mensch zur Räson bringt. Auch im Wallis. Auch im Auto.

Am 16. September 2009 konnte Herbert Volken das Anliegen der Pfarrei Fiesch-Fieschertal Papst Benedikt XVI. persönlich vortragen. (Bild: Vatikan)

Quelle: Otmar Luttmann / pixelio.de

Der Präfekt des Bezirkes Goms durfte in Rom Papst Benedikt XVI. persönlich ein Gesuch um Änderung des damals abgelegten Gelübdes übergeben. Das Staatssekretariat des Vatikans holte daraufhin für die Behandlung dieses Gesuchs und die Erarbeitung des Antrags an den Heiligen Stuhl, verschiedene zusätzliche Unterlagen und Auskünfte ein.

Der Apostolische Nuntius der Schweiz, Msrg Francesco Canalini, eröffnete Ende August 2010 dem Präfekten des Bezirkes Goms den Entscheid des Papstes mit folgender Botschaft: «Nach den Erkundigungen über die Geschichte des Gelübdes von Seiten der zuständigen Dienststelle bin ich in der Lage, Ihnen mitzuteilen, dass der Bischof von Sitten eine positive Antwort des Heiligen Stuhles mit der Genehmigung durch den Heiligen Vater der Abänderung des Gelübdes erhalten hat.»

Auf eine Bittschrift an das Bistum von Sitten, um Weiterleitung oder Bekanntgabe des Papstentscheides, teilte Bischof Norbert Brunner Folgendes mit: «Ich wurde lediglich gebeten, die Antwort des Heiligen Stuhles in der mir geeignet scheinenden Form der Bevölkerung von Fiesch und Fieschertal mitzuteilen.»

Der Bischof von Sitten und Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz hat jedoch bis heute noch keine «ihm geeignet scheinende Form» gefunden, um die Pfarrei und die Gemeinden zu informieren.

Aber das Ziel ist erreicht: Der Heilige Vater hat das Gesuch um Änderung des Gletscher-Gelübdes genehmigt und die Pfarrei Fiesch-Fieschertal ermächtigt, in Zukunft die Erderwärmung, den Klimawandel und die Gletscherschmelze in ihre jährlichen Prozessions-Fürbitten einzuschliessen.
Herbert Volken, Regierungsstatthalter des Bezirks Goms