Freienbach im Kanton Schwyz: Wo sich bis vor wenigen Jahren noch grüne Wiesen ausdehnten, reiht sich heute ein Terrassenhaus ans andere, auf der Kantonsstrasse stockt schon nachmittags um vier Uhr der Verkehr. Die Gemeinde umfasst die Orte Bäch, Freienbach, Hurden, Pfäffikon und Wilen und gehört zu den steuergünstigsten der Schweiz. Während sich auf der gegenüberliegenden Seeseite die «Goldküste» erstreckt, haben sich in den letzten Jahren auch an Freienbachs «Platinküste» vermögende Bürger niedergelassen, darunter der Financier Martin Ebner oder Ex-Tennisstar Martina Hingis.

Die Ortschaft hat eine unglaubliche Bautätigkeit hinter sich: 1950 zählte man noch keine 4000 Einwohner, heute leben 15'300 Personen in der Gemeinde am Zürichsee. Mit rund 2000 Franken pro Quadratmeter, an Seelagen noch deutlich mehr, ist Bauland in der Region Gold wert. Kurz: Freienbach boomt und wächst.

«Der Aufschwung war rasant», sagt Gemeindepräsident Kurt Zurbuchen, «nun müssen wir vor allem die Verkehrsprobleme in den Griff bekommen.» Konkret: Die Gemeinde überarbeitet ihre Ortsplanung, neue Baugebiete sollen nur mehr spärlich eingezont werden, stattdessen will man vermehrt verdichtet bauen, also die bestehende Siedlungsfläche besser nutzen. Doch auch dafür muss neues Land geopfert werden: Pfäffikon soll eine Umfahrungsstrasse erhalten. «In der Vergangenheit hat die Gemeinde relativ unstrukturiert Land zur Verfügung gestellt», meint Gemeindeplaner Werner Schnellmann, «heute muss man sagen, dass die Entwicklung teilweise nicht nachhaltig war.»

Damit ist Freienbach keine Ausnahme: Pro Sekunde wird in der Schweiz gut ein Quadratmeter verbaut. Pro Tag kommt eine Fläche grösser als die Rütliwiese (sechs Hektaren) unter den Bagger, pro Jahr ein Landstück vom Ausmass des Brienzersees, rund 2700 Hektaren. Unablässig dehnt sich die Siedlungsfläche weiter aus, wie die Arealstatistik des Bundes zeigt.

Die Siedlungsflächen dehnen sich aus
Für Wohnen, Industrie und Verkehr wurden zwischen 1985 und 1997 über 31'000 Hektaren verbaut - mehr als die Fläche des Kantons Schaffhausen. Der zusätzliche Siedlungsraum geht im Wesentlichen auf Kosten von Kulturland, das bisher landwirtschaftlich genutzt wurde.

Etwa ein Drittel des Landverbrauchs ist Einfamilienhäusern zuzuschreiben; 12'000 Objekte werden jährlich neu auf die Wiese gesetzt. Die übrigen Verbauungen betreffen vor allem Wohnblöcke und Gewerbebauten - exemplarisch in Berns Westen, wo auf der grössten privaten Baustelle des Landes das Einkaufs- und Freizeitzentrum Westside kurz vor der Eröffnung steht. Gleich daneben entstehen im neukonzipierten Stadtteil Brünnen auf einem Areal von 34 Hektaren 800 neue Wohnungen.

Stark ins Gewicht fallen zudem Verkehrs- und Erschliessungsbauten. Allein in den letzten 32 Jahren sind rund 60'000 Kilometer neue Lokalstrassen und Wege entstanden, wie es im Bericht «Landschaft unter Druck» des Bundesamts für Raumentwicklung (Are) und des Bundesamts für Umwelt (Bafu) heisst. Verbunden, führten diese Strassen anderthalbmal um die Erde. Fazit der Studie: «Die Veränderungen in der Landschaft haben sich zu Summen aufgehäuft, die betroffen machen.»

Und Sie als Leserin oder Leser wissen jetzt: Während der rund zwei Minuten, die Sie für die Lektüre dieser Zeilen bisher brauchten, sind weitere 120 Quadratmeter Boden verbaut worden.

Allmählich regt sich Widerstand gegen diese Entwicklung - die Raumplanung kommt aufs politische Tapet und damit in die öffentliche Diskussion. So haben die Umweltverbände die Landschaftsinitiative lanciert, die am 14. August eingereicht wird. Sie verlangt, die Bauzonen während 20 Jahren nicht weiter auszudehnen, und fordert den Schutz des Kulturlandes, die strikte Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet sowie eine verdichtete, nachhaltige Siedlungsentwicklung. Dazu soll der bestehende Verfassungsartikel zur Raumplanung erweitert und die Rolle des Bundes als oberste Planungsinstanz gestärkt werden. Und aus der Küche des Umweltschützers Franz Weber sind gleich zwei Initiativen hängig, die unter dem Motto «Rettet den Schweizer Boden» den Landverschleiss stoppen wollen: die Initiative «gegen den masslosen Bau umwelt- und landschaftsbelastender Anlagen» sowie die Initiative «Schluss mit dem uferlosen Bau von Zweitwohnungen».

Der Bund ist beunruhigt
Auch die Planer in Bundesbern beobachten die Zersiedelung mit Besorgnis. «Die Raumentwicklung ist nicht nachhaltig», sagt Are-Direktor Pierre-Alain Rumley. «Der anhaltend hohe Boden- und Landschaftsverlust entspricht klar nicht den Grundsätzen des Raumplanungsgesetzes, wonach die Siedlungen in ihrer Ausdehnung zu begrenzen sind. Dringend nötig sind gemeinde- und kantonsübergreifende Lösungen.» Auch Bundesrat Moritz Leuenberger, Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, sagt klar: «Unser Boden wird viel zu stark beansprucht» (siehe Artikel zum Thema: Moritz Leuenberger: «Die Gemeinden müssten über ihren Schatten springen»).

Ein Haus am andern - dieses Bild zeigt sich fast überall vom Genfer- bis zum Bodensee. Herr und Frau Schweizer brauchen immer mehr Platz, Single- und Zweipersonenhaushalte senken die Wohndichte. 1980 betrug die Wohnfläche pro Person durchschnittlich 34 Quadratmeter, dieser Wert kletterte bis 2000 auf 44 Quadratmeter. Kein Wunder, dehnen sich die Agglomerationen immer mehr ins Umland aus. Zählten zu ihnen 1950 erst 155 Gemeinden, sind es heute etwa deren 1000. Es bilden sich zusammenhängende Agglomerationsgürtel, in denen die Berufspendler hin und her zirkulieren; die Folgen sind unkontrolliertes Wachstum und Mehrverkehr. Freienbach ist überall.

Auch ausserhalb der Bauzone wird munter gebaut: Rund 2500 Gebäude entstehen dort Jahr für Jahr, insgesamt befindet sich bereits eine halbe Million Bauten, ein Viertel aller Gebäude, ausserhalb der Bauzone. Die meisten werden für die Landwirtschaft erstellt, später aber oft zu Wohnzwecken umgenutzt. Auch Gewerbeanlagen und Ferienwohnungen finden ausserhalb der Bauzone Platz. Vor allem im ländlichen Raum und in Tourismusgebieten gehen Behörden wenig sorgfältig mit der Ressource Boden um; Steuerzahler und Investoren anzulocken ist ihnen wichtiger als Landschaftsschutz. Im Tessin wurden in den letzten Jahrzehnten etliche Rustici zu Ferienhäusern ausgebaut, obwohl das Gesetz dies nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Wo immer mehr Boden versiegelt wird, wird es eng für Flora und Fauna. Viele Gegenden sind heute zersiedelt und durch Strassen und Bahnlinien zerschnitten. Die Schweiz verliert ihre charakteristischen Landschaften und verkommt, vor allem im Mittelland, zum Siedlungsbrei. Das schwächt die Artenvielfalt, wie das Biodiversitäts-Monitoring des Bafu zeigt: In den letzten 150 Jahren verschwanden in der Schweiz 244 Tier- und Pflanzenarten. So sind zum Beispiel sechs Brutvogelarten, etwa die Bekassine oder der Grosse Brachvogel, ausgestorben, bei den Fischen sind es sogar acht Arten, darunter der Lachs und der Stör. Und nicht weniger als 50 Farn- und Blütenpflanzenarten kommen in der Schweiz nicht mehr vor. Viele weitere Arten laufen Gefahr, lokal oder regional auszusterben, insbesondere wenn neue Strassen bisher zusammenhängende Lebensräume durchtrennen. Nachgewiesen ist diese Gefährdung etwa für die Populationen der Feldhasen und der Amphibien.

Die Zersiedelung verursacht auch hohe Kosten: Die Erschliessung von Einfamilienhäusern und verstreuten Siedlungen mit Wasser, Kanalisation, Strom und Strassen ist ungleich teurer als verdichtetes Bauen. Die Unterschiede sind happig: Schlagen die Kosten für Bau und Unterhalt der Infrastruktur bei einem Einfamilienhaus mit rund 2100 Franken pro Kopf und Jahr zu Buche, sind die Kosten bei Reihenhäusern auf derselben Fläche um einen Viertel tiefer. Und bei Mehrfamilienbauten mit vier Geschossen sinken sie auf deutlich unter 1000 Franken pro Kopf und Jahr. Eine Studie von Pro Natura Schweiz zeigt: Die wenig verdichtete Bauweise treibt die Infrastrukturkosten schweizweit um jährlich bis zu zwei Milliarden Franken in die Höhe. Und diese Mehrkosten werden nur zum Teil auf die Nutzniesser abgewälzt, den Rest muss die öffentliche Hand berappen. Denn es gibt Gemeinden, die bei der kostspieligen Erschliessung des Baulandes tüchtig mitzahlen - Hauptsache, es können neue Steuerzahler angelockt werden. Ein Teufelskreis: Manche Gemeinden müssen immer wieder von neuem einzonen und bauen, um die wachsenden Kosten decken zu können. Und so dreht sich die Spirale der Zersiedelung munter weiter.

Ein innovativer Einzelfall
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel der Gemeinde Fläsch in der Bündner Herrschaft. Hier, im milden Föhnklima des Rheintals, lässt es sich gut leben - ganz offensichtlich: In Malans und Maienfeld fressen sich stattliche Wohnhäuser neueren Datums ins umgebende Rebland hinein. Unten in der Ebene, beim Zubringer zur Autobahn, weisen Kräne im Gewerbegebiet gleichfalls darauf hin, dass hier alle Zeichen auf Wachstum stehen. Auch in Fläsch wohnen doppelt so viele Leute wie noch vor 30 Jahren. Doch anders als seine Nachbarn hat das 600-Einwohner-Dorf im nördlichsten Zipfel der Region die Zersiedelung bisher weitgehend abgeblockt. Selbst die Obstgärten und Weinberge, die wie Finger in den Ortskern hineinragen, sind noch grün - obwohl sie zur Bauzone gehören und es nicht an Bauinteressenten mangeln würde. «Wir haben Qualitäten, die wir aber nur erhalten können, wenn wir jetzt handeln», sagt Gemeindepräsident Leonhard Kunz.

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Sils im Engadin, um 1900

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Sils im Engadin, 1996


Auf den wachsenden Siedlungsdruck antwortet er deshalb nicht mit dem Reflex, mehr Bauland bereitzustellen. Vielmehr wartet Fläsch mit einem innovativen Konzept auf: «Landumlegung», so lautet das Zauberwort in der revidierten Ortsplanung. Wer im Kern grünes Bauland besitzt, erhält am Dorfrand in neu eingezonten Gebieten Realersatz, und die Grünflächen im Zentrum werden wieder zum Landwirtschaftsland zurückgezont - das ist sonst nicht die Regel. Der Ersatz beträgt 70 Prozent der Fläche, falls der Eigentümer sein Grundstück im Ortskern behält, oder 100 Prozent, falls er die Fläche mit der Gemeinde tauscht. Die Umlegung betrifft gesamthaft 1,5 Hektaren Land und rund 20 Eigentümer, mit denen zurzeit Kaufrechts- und Dienstbarkeitsverträge ausgehandelt werden. Flächenmässig handelt es sich in etwa um ein Nullsummenspiel; den kleinen Zuwachs an Bauzone sieht der Gemeindepräsident als Konzession dafür, dass der Dorfkern erhalten bleibt. Denn: Fläsch hat ein Ortsbild von nationaler Bedeutung, das noch weitgehend intakt ist - hier ist Verdichtung nach innen wenig sinnvoll. Überhaupt ist es Kunz wichtig, dass sich Fläsch sanft weiterentwickelt: «Wir wollen dieses Wachstum steuern können.» Für seine landesweit einmalige Bodenpolitik erhält die Bündner Gemeinde grosses Lob von Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz: «Das Modell ist wegweisend und ein wohltuendes Beispiel für den Umgang mit dem knappen Gut Boden.» Bereits haben interessierte Gemeinden Leonhard Kunz ihre Aufwartung gemacht. Seine eigenen Leute muss der Präsident indes noch restlos überzeugen. Im ersten Durchgang im Juli 2007 hat die Gemeindeversammlung die Revisionsvorlage knapp zurückgewiesen. Jetzt sind die nötigen Anpassungen für den zweiten Anlauf im Herbst gemacht. Kunz nimmt die Zusatzrunde gelassen: «Ortsplanung ist eine emotionale Sache. Das braucht halt seine Zeit.»

Die Gemeinden sind zu mächtig
Das Beispiel Fläsch zeigt: Mit gutem Willen lassen sich innovative Lösungen finden. In der Regel aber nutzen Gemeinden jeden Spielraum aus und zonen Bauland ein, wo es nur geht. Möglich ist dies, weil die Zuständigkeiten zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden in Sachen Raumplanung dem Föderalismus gehorchen. Der Bund erstellt Sachpläne und definiert - etwa mit der Agglomerationspolitik - die groben Leitlinien; die Kantone haben Richtpläne, an die sich die Gemeinden halten sollten; die Gemeinden selbst stützen sich auf Ortsplanungen, die sie je nach Bedarf wieder revidieren. Zwar schreibt das Raumplanungsgesetz (RPG) einen haushälterischen Umgang mit der Landschaft vor, in der Praxis aber kümmern sich Kantone und Gemeinden wenig darum. Grundsätzlich definieren die Gemeinden Grösse, Art und Lage der Bauzone selbst und erteilen die Baubewilligungen; den Segen des Kantons braucht es dazu nur bei Bauten ausserhalb der Bauzone. So verkommen die gesetzlichen Instrumente zu Papiertigern - unterm Strich sind es die Gemeinden, die sagen, wo und wie neue Bauprofile in die Landschaft gesteckt werden.

Irmi Seidl, Wirtschaftswissenschaftlerin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in Birmensdorf, sieht den Drang nach möglichst hohen Steuereinnahmen auf Gemeindestufe als treibenden Faktor für den Landverbrauch: «Bodenpolitik ist immer auch Steuerpolitik - die Gemeinden stehen untereinander in einem Wettbewerb.» Jede Gemeinde sei bestrebt, neue Einwohner anzulocken, um das Steueraufkommen zu erhöhen. «Nur wenige schränken sich ein, indem sie eine restriktive Flächenpolitik betreiben», sagt Seidl. Erschwerend komme hinzu, dass bei Behörden und Bevölkerung der Blick aufs Ganze fehle: «Man sieht immer nur das einzelne Bauvorhaben, und dieses erscheint harmlos.» Hier ein neues Haus, dort eine zusätzliche Strasse - in der Summe seien diese kleinen Eingriffe ein grosses Problem. So zeigt eine Hochrechnung: Geht die Überbauung ungebremst weiter, wird die besiedelbare Fläche der Schweiz in 400 Jahren gänzlich zugepflastert sein.

Was bei unkoordiniertem Wachstum herauskommen kann, zeigt das Beispiel von Porrentruy JU. Wer durch das Städtchen mit den knapp 7000 Einwohnern schlendert, findet ein fast unbelebtes Zentrum mit heruntergekommenen Altbauten vor, an denen der Verkehr vorbeibraust. Um den Bevölkerungsschwund zu stoppen, schafft die Gemeinde am Siedlungsrand grosszügig neue Bauzonen, die sie wie auf dem Jahrmarkt im Internet anpreist: «Erschlossene Parzellen für Einfamilien- und Reihenhäuser, ruhig und sonnig, 96 Franken pro Quadratmeter». Dieser Preis liegt weit unter dem realen Wert, die Bauplätze sind subventioniert und verkaufen sich bestens. Die Schattenseite der Entwicklung: Wer es sich leisten kann, zieht aus dem Stadtzentrum weg und baut sein Häuschen am Rand - die Ortschaft zerfranst in alle Richtungen, das Zentrum leert sich, die historischen Bauten zerfallen. «Politisch ist diese Praxis verständlich», kommentiert der Stadtplaner von Porrentruy, Antoine Voisard, «aus planerischer Sicht aber ist sie ein Fehler.» Nun müssen die Behörden Gegensteuer geben. Auf Druck des Kantons lanciert Porrentruy ein Pilotprojekt, um die Zersiedelung abzuschwächen und den Kern wieder wohnlicher zu machen. Eigentümer, die in die Altbauten investieren, erhalten Zuschüsse; wer sich in der Altstadt eine Wohnung kauft, wird unterstützt. Zudem will man den Verkehr beruhigen und die Preise für Bauland besser überwachen. Sollte das Projekt erfolgreich sein, wird es auf das ganze Kantonsgebiet ausgedehnt.

Ist das Raumplanungsgesetz also nicht griffig genug? «Das Gesetz an sich wäre nicht schlecht», sagt Irmi Seidl von der WSL, «das Problem liegt beim Vollzug.» Der Einfluss des Bundes sei gering, es fehle eine übergeordnete Steuerung - was viel mit den mangelnden Ressourcen zu tun habe. So zählt das Bundesamt für Raumentwicklung nur gerade 70 Mitarbeiter, und bloss die Hälfte davon befasse sich mit Raumplanung im engeren Sinn. Zum Vergleich: Beim Bundesamt für Landwirtschaft arbeiten 250 Personen. «Und die Kantone, die eigentlich die Hoheit über die Planung haben, scheuen sich davor, das Gesetz konsequent durchzusetzen», kritisiert Seidl. Das RPG, das zurzeit revidiert wird, will dem sparsamen Umgang mit dem Boden künftig mehr Rechnung tragen. Doch das geht noch lange: Frühestens Ende Jahr geht der Entwurf in die Vernehmlassung, vor 2012 wird nichts Neues in Kraft treten. Auch das «Raumkonzept Schweiz» - ein Strategiepapier des Are, das Bund, Kantone und Gemeinden zur nachhaltigen Raumplanung führen will - ist nicht mehr als eine Absichtserklärung.

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Brünnenfeld bei Bern, Oktober 2002

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Brünnenfeld bei Bern, Mai 2008: Bau des Einkaufs- und Freizeitzentrums Westside


Es führt kaum ein Weg zurück

Dass die Zersiedelung in den nächsten Jahren weitergehen wird, lassen auch die Reserven an Bauzonen vermuten: Das Raumplanungsgesetz schreibt zwar vor, solche Reserven knapp zu halten; sie sollten auf einen Planungshorizont von maximal 15 Jahren ausgelegt sein. Das Wachstum, das eine Gemeinde innerhalb dieser Frist erzielen kann, lässt sich noch einigermassen überschauen und nachhaltig planen. Viele Gemeinden horten aber Reserven, die auf 30 Jahre oder mehr angelegt sind, besonders in Landkantonen wie Uri oder Wallis sind die Reserven an Bauland enorm. Das Ziel ist klar: Je mehr Baulandreserven eine Gemeinde hat, desto mehr Wachstum kann sie sich erhoffen. Nur liegen die Reserven oft genau dort, wo sie am wenigsten sinnvoll sind: in abgelegenen Gebieten, die vor der Zersiedelung gerade bewahrt werden sollten. In der Schweiz sind derzeit insgesamt 220'000 Hektaren Land als Bauzonen deklariert. Ein Viertel, rund 60'000 Hektaren, sind noch nicht überbaut; diese Fläche könnte theoretisch Wohnraum für 2,5 Millionen zusätzliche Einwohner bieten - allerdings am falschen Ort, denn Experten sind sich einig, dass das Wachstum der Bevölkerung vor allem von den städtischen Gebieten aufgefangen werden soll.

Doch wo einmal Bauland eingezont wurde, ist es fast unmöglich, diesen Schritt wieder rückgängig zu machen. Im aargauischen Unterlunkhofen kann man davon ein Lied singen. Die Gemeinde im Reusstal liegt im Sog der Metropole Zürich und erlebte die typische Metamorphose vom ländlichen Dorf zur bevorzugten Wohngemeinde in der Agglomeration: Zwischen den Jahren 1980 und 2000 verdreifachte sich die Bevölkerungszahl von 400 auf den heutigen Stand von gut 1200 Personen. Entsprechend grosszügig wurde in dieser Phase des explosionsartigen Wachstums Bauland eingezont - zu grosszügig, wie das kantonale Baudepartement feststellte. Es wies Unterlunkhofen an, eine Redimensionierung um 4,8 Hektaren vorzunehmen.

Schön und gut, könnte man meinen, doch es stellt sich die Gretchenfrage: Wer muss sein Land hergeben, obwohl er bisher davon ausging, es dereinst überbauen zu können? Unterlunkhofen hat die Antwort bis heute nicht gefunden. Seit über zehn Jahren läuft ein schweizweit beispielloser Rechtsstreit zwischen Gemeinde, Kanton und zwei privaten Landeigentümern, deren Grundstücke von der Redimensionierung betroffen sind - Ausgang ungewiss.

Derweil die Uhr weitertickt: Etwa 20 Minuten mussten Sie für die Lektüre dieses Artikels aufwenden. In dieser Zeit sind in der Schweiz wiederum rund 1200 Quadratmeter unbebauter Boden verschwunden.

Den Boden kostbarer machen - mittels Verteuerung
Der Boden ist knapp in der Schweiz - trotzdem spielt der Markt in diesem Bereich nur ungenügend. Wird etwa auf einem abgelegenen Grundstück neues Bauland erschlossen, bezahlt der Staat an der Erschliessung mit, das Verursacherprinzip bleibt auf der Strecke.

Auch externe Kosten wie die Folgen des Verkehrs gehen zulasten der Allgemeinheit. Und wo sich der Boden verteuert, wird die Wertsteigerung in der Regel nicht abgeschöpft. Zudem gibt es zu grosse Bauzonenreserven, die sich oft am falschen Ort befinden: in ländlichen Gebieten, wo die Zersiedelung gestoppt werden sollte.

Fazit des Bundesamts für Raumentwicklung (Are): «Diese Faktoren führen zu falschen Anreizen und Marktverzerrungen.»

Nun prüft das Are, ob neue Instrumente den Umgang mit Boden marktwirtschaftlicher machen könnten. Vorstudien sprechen sich für ein System aus, wie man es in den USA seit den siebziger Jahren kennt: das der Flächennutzungszertifikate (FNZ). Diese erlauben es, die Menge der verfügbaren Bauflächen zu steuern. Dazu muss der Staat (Bund, Kanton) zuerst jene Fläche bestimmen, die maximal zur Bebauung freigegeben wird. Danach wird mit Hilfe von übertragbaren Zertifikaten ein Markt für Nutzungsrechte geschaffen. Sie werden vom Staat an die Grundbesitzer abgegeben oder versteigert. Neue Überbauungen sind nur dann möglich, wenn die Eigentümer nicht nur den Boden, sondern auch die Nutzungsrechte besitzen.

Diese Rechte kann man jedoch verkaufen, falls man sie nicht benötigt; so entsteht eine Börse, die auch Kompensationen (Rückzonung oder Mindernutzung) an anderen Standorten möglich macht. Welche Rolle dabei die privaten Landbesitzer, die Gemeinden und Kantone spielen, ist zurzeit unklar; das System steckt in der Schweiz noch in der Projektphase.