Verwaltungsräte: In der Filz AG regiert die Selbstherrlichkeit
Der Fall Swissair hat gezeigt: Um die Schweizer Verwaltungsräte steht es schlecht. Filz, horrende Honorare und fehlende Transparenz prägen das Bild. Das Image der tadellosen Wirtschaft ist angekratzt – die noblen Herren geraten unter Beschuss.
Veröffentlicht am 3. Dezember 2001 - 00:00 Uhr
Gerold Bührer spart dieser Tage nicht mit grossen Worten: «Es ist eine helvetische patriotische Tugend, in ausserordentlichen Situationen den Schulterschluss zwischen Politik und Wirtschaft zu finden», lässt der FDP-Präsident in Diskussionen rund ums Swissair-Debakel immer wieder verlauten. «Wer diesen Schulterschluss als Filz beschreibt, untergräbt eine der grossen Stärken dieses Landes.»
Andere sehen das weniger positiv. «Das Schweizer Verwaltungsratssystem in der heutigen Form ist krank. Filz und mangelnde Transparenz bestimmen das Bild», kritisiert Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann. «Solange das System nicht geändert wird, sind Debakel wie bei der Swissair jederzeit möglich.»
Das sind neue Töne. Bis vor kurzem war ein Verwaltungsratsmandat ein sicheres Polster und ein fürstlich honoriertes Amt für altehrwürdige Herren. Der Erfolgsausweis mochte noch so dürftig sein, dem Aufsichtsgremium ging es kaum einmal ans Leder. Doch spätestens seit der Swissair-Pleite bläst den honorigen Herren ein rauerer Wind entgegen. Vom «Versagerrat» bei der nationalen Airline weiss in der Schweiz bald jedes Kind. Das Bild der Vorzeigewirtschaft Schweiz ist angekratzt.
«Viele Mandatsträger sitzen nicht aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz in einem Verwaltungsrat, sondern dank ihrem grossen Beziehungsnetz», sagt Wittmann. Der ehemalige Zürcher FDP-Regierungsrat Eric Honegger beispielsweise verdankte seine Wahl zum Swissair-VR-Präsidenten nicht seiner unternehmerischen Qualifikation – er ist von Haus aus Historiker –, sondern seinen guten Kontakten innerhalb der Politik. Solche Beispiele gibt es viele.
Alte Seilschaften spielen prima
«Die Wirtschaftselite schiebt sich gegenseitig die VR-Sitze zu», stellt Wittmann fest. «Wer nicht zu diesem erlauchten Kreis gehört, hat gar keine Chance, gewählt zu werden.» Ein Blick ins Verwaltungsratsverzeichnis zeigt: In den Führungsgremien der grossen Schweizer Firmen tauchen immer wieder die gleichen Namen auf. Rainer E. Gut, Lukas Mühlemann, Andres Leuenberger, André Kudelski, Vreni Spoerry, Bénédict Hentsch, Thomas Schmidheiny, Peter Brabeck, Walter Kielholz und Daniel Vasella begegnen sich – jeweils in leicht unterschiedlicher Konstellation – bei der CS, der Swiss Re, Roche, Novartis oder Nestlé. Und bis jüngst auch bei der Swissair.
Bei der neuen Crossair, über deren künftigen Verwaltungsrat in diesen Tagen entschieden wird, spielen alte Seilschaften ebenfalls eine entscheidende Rolle. So wird der Steuerungsausschuss – er sucht den neuen Verwaltungsrat aus – ausgerechnet von Rainer E. Gut präsidiert, dem Übervater im Schweizer Wirtschaftsfilz. Und dies, obwohl der Exchef der CS-Gruppe und heutige Nestlé-Präsident selber während 21 Jahren im Swissair-Verwaltungsrat sass und so für den wirtschaftlichen Absturz der Airline mitverantwortlich ist.
«Der Klubcharakter vieler Verwaltungsräte wird in unseren Analysen negativ vermerkt», sagt ein Fachmann der Bank Sarasin in Basel. Doch die Verwaltungsräte dulden keine Kritik. «In einem kleinen Land wie der Schweiz ist es unvermeidlich, dass die Namen mehrfach auftauchen», verteidigt Profiverwaltungsrat Robert A. Jeker das Filzsystem. «Ich arbeite lieber mit langjährigen Bekannten zusammen, auf die ich mich verlassen kann, als mit Fremden.» Wirtschaftsprofessor Wittmann kontert: «So bleibt die Kontrolle auf der Strecke.» Denn die Regel gilt: Man kennt sich, man duzt sich, und man tut sich nicht weh.
Das hat einen lukrativen Nebeneffekt. Die Herren verhelfen sich gegenseitig zu einem vollen Portemonnaie. Topmanager wie Lukas Mühlemann (CS), Walter Kielholz (Swiss Re) oder Peter Brabeck (Nestlé) segnen sich als Verwaltungsräte gegenseitig ihre Löhne ab. Und Verwaltungsratsmandate zahlen sich aus. Das zeigt auch die neuste Honorarerhebung der «Handelszeitung». Der mittlere Verdienst eines Verwaltungsratsmitglieds stieg innert Jahresfrist von 69'000 auf 82'000 Franken – für gerade mal sechs Sitzungen im Jahr. Und das ist nur der Durchschnitt. In mindestens 35 Schweizer Unternehmen verdienen Verwaltungsräte über 100'000 Franken jährlich. Ein Verwaltungsrat der Firma BB Biotech beispielsweise kassiert für sein Mandat satte 3,3 Millionen Franken.
Bei der Kontrolle tief geschlafen
Für Normalverdiener sind solche Gagen ein Schlag ins Gesicht. Die Topshots beziehen nicht nur überhöhte Gehälter, sondern greifen im Notfall gern zum goldenen Fallschirm: Wer geht, darf auf eine saftige Abfindung hoffen. «Diese Löhne stehen in keinem Verhältnis zu ihren Leistungen», kritisiert SP-Nationalrat Rudolf Strahm. Denn längst nicht alle Verwaltungsräte erledigen ihre Aufgaben gut.
Für Fachleute steht fest: Hätte der Swissair-Verwaltungsrat die Monats- und Quartalsabschlüsse seriöser angeschaut, so hätte er erkennen müssen, dass sich die Verluste türmen. «Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie tief diese Verwaltungsräte geschlafen haben, um dies zu übersehen», sagt Wirtschaftsprofessor Manfred Timmermann.
Wahrscheinlich haben sie nicht nur geschlafen, sondern auch in grossen Interessenkonflikten gesteckt. Zum Beispiel CS-Chef Lukas Mühlemann. Auch er sass im Swissair-Verwaltungsrat. Die CS wiederum war die Hausbank der Airline. Welche Prioritäten setzte Mühlemann? Als Bankchef muss sein oberstes Interesse dem Geldinstitut gelten. Doch dieses stimmte nicht unbedingt mit jenem der Swissair überein. Mühlemann betonte in der Presse wiederholt, das sei absolut kein Problem. Schliesslich bestimme nicht er persönlich über die Kredite für die Swissair. Nur: Welcher Mitarbeiter der Bank kann einen Kredit an eine Firma unabhängig beurteilen, wenn sein Chef dort im Verwaltungsrat sitzt? Solche Konstellationen gibt es in der Schweiz zuhauf. «Da ist ein Interessenkonflikt programmiert», sagt Dominique Biedermann von der Anlagestiftung Ethos. «Der Hausbanker sollte nicht gleichzeitig im Verwaltungsrat sitzen.» Ebenfalls problematisch sind Doppelaufgaben: Daniel Vasella (Novartis), Rolf Hüppi (Zürich) und Lukas Mühlemann (CS) sind gleichzeitig Verwaltungsratspräsident und Geschäftsführer (CEO). Für Biedermann ein Widerspruch zum Gesetz. Denn dort steht, dass eine der Hauptaufgaben des Verwaltungsrats die Kontrolle der Geschäftsleitung ist. Mühlemann, Vasella und Hüppi müssten sich also selbst kontrollieren. «Das ist nicht nur fragwürdig, sondern schlicht unmöglich», sagt Biedermann.
Sogar Mehrfachverwaltungsrat Robert A. Jeker ortet hier grosse Probleme: «Das ergibt eine ungeheure Machtballung, die in Konfliktsituationen gefährlich sein kann.» Auch Bundesrat Kaspar Villiger forderte öffentlich, die beiden Funktionen zu trennen. In Deutschland etwa ist diese Doppelfunktion explizit verboten.
Doch Vasella, Hüppi und Mühlemann machen keine Anstalten, an ihrer Doppelrolle etwas zu ändern. «Die Führung eines Unternehmens ist einfacher, wenn die beiden Funktionen verbunden sind», liess Vasella kürzlich verlauten. Und Lukas Mühlemann machte schon bei der CS-Generalversammlung im Frühling klar: «Wir halten unsere Führungsstruktur für die beste.»
Betriebswirtschaftsprofessor und Buchautor Fredmund Malik sieht das anders: «Die Unabhängigkeit der Verwaltungsräte muss derjenigen von Richtern nahe kommen.» Doch davon kann in der Schweiz keine Rede sein. Das kommt im Ausland schlecht an. In einer Studie des internationalen Beratungsunternehmens Heidrick & Struggles über Verwaltungsratsgremien in 14 Ländern landeten die Schweizer Verwaltungsräte auf dem viertletzten Platz. Hauptkritik: mangelnde Transparenz.
Politik fordert Transparenz
Solche Rüffel behagen Schweizer Wirtschaftsführern nun doch nicht. So schickte der Wirtschaftsverband Economiesuisse bei seinen Mitgliedern einen Kodex für die gute Führung eines Unternehmens in die Vernehmlassung. Darin soll festgehalten werden, was sich für ein seriöses Schweizer Unternehmen gehört.
Auch die Schweizer Börse muss über die Bücher: Die Eidgenössische Bankenkommission fordert, dass die börsenkotierten Firmen in Zukunft die Gesamtentschädigungen für die Konzernleitung und den Verwaltungsrat publizieren müssen. Und im Parlament sind gleich mehrere politische Vorstösse hängig, die mehr Transparenz fordern. Mit der Geheimniskrämerei soll also bald Schluss sein.
«Das ist zwar ein guter Anfang», sagt Dominique Biedermann von Ethos. «Ich hoffe aber, dass die heiklen Punkte tatsächlich geändert werden.» Zweifel sind angebracht. So soll laut Kodexentwurf die Doppelrolle CEO und VR-Präsident auch in Zukunft möglich sein. Das erstaunt nicht: Die Economiesuisse ist der Verband der grossen Schweizer Firmen – also auch jener von Vasella, Mühlemann, Hüppi und Co.