Auch wenn die Digitalisierung viele Vorzüge mit sich bringt, ein Nachteil ist unübersehbar: Passwörter. Für jedes Portal – sei es Facebook, Zalando, die Post, Swisscom oder beim Beobachter – braucht es einen Benutzernamen und ein Passwort. Oft müssen auch Adresse, Geburtsdatum und Mailadresse angegeben werden. Schnell kommen da Dutzende von unterschiedlichen Login-Daten zusammen, die man sich merken muss. Es wäre so einfach, wenn es für alle Plattformen ein und dasselbe Login gäbe.

Dieses Problem hat die Politik schon vor Jahren erkannt: Mit der sogenannten «Suisse ID» lancierte der Bund im Jahr 2010 eine elektronische Identität für Einwohner der Schweiz, mit der man sich im Internet ausweisen kann. Sie konnte sich auf dem Markt allerdings nie durchsetzen (siehe Box am Ende des Artikels). Nun folgt der zweite Anlauf – mit dem Unterschied, dass der Bund diesmal nur eine Nebenrolle spielt.

Grosses Potenzial, viele offene Fragen

Die Initiative kommt nun aus der Wirtschaft, und mit dabei ist Marcel Dobler. Er ist als Gründer von Digitec bekannt und reich geworden, seit zwei Jahren sitzt er für die FDP des Kantons St. Gallen im Nationalrat. Er ist seit diesem Jahr Mitglied des Verwaltungsrats der Firma SwissSign AG, dem ausserdem jeweils zwei Vertreter von Post und SBB angehören. Die Post-Tochter übernahm von ihrer Muttergesellschaft die Markenrechte an der «Suisse ID», lancierte das Projekt «Swiss ID» und vermarktet dieses seither als die einzige Möglichkeit einer schweizweiten digitalen Identität. Dobler ist überzeugt, dass diese ID die Schweiz verändern werde: «Sie bedeutet sowohl für Kunden wie für Firmen eine enorme Vereinfachung. Und mit einem einheitlichen Login-Verfahren lassen sich für Unternehmen viele Kosten sparen.» Seine Aussagen werden bestätigt durch positive Erfahrungen in Estland oder Grossbritannien, wo die elektronische Identität schon seit Jahren Realität ist.

Dass die Schweiz eine elektronische Identität braucht, scheint unabdingbar. Denn solche Anwendungen sind bereits Realität: Wer beispielsweise ein Konto bei Apple, Google oder Facebook eingerichtet hat, verfügt bereits über eine E-ID. Konkret: Mit einem Facebook-Login ist es bei zahlreichen Anbietern möglich, sich mit nur einem Klick anzumelden – ohne mühsamen Umweg über eine Registrierung. Sofern dies der Nutzer zulässt, beziehen diese Anbieter die Kundendaten direkt von Facebook.

Nun soll dieses Geschäftsfeld nicht alleine den Internetgiganten überlassen werden. Dobler erklärt, wie die «Swiss ID» funktionieren könnte: «Bisher musste ein neuer Mobilfunkvertrag ausgefüllt, ausgedruckt, signiert und anschliessend eingeschickt oder eingescannt werden. Alle diese Schritte lassen sich gleichzeitig erledigen, wenn eine elektronische Signatur hinterlegt ist.» Ähnlich vereinfachen liesse sich das Mieten von Autos, da der Führerschein online übermittelt werden könnte – oder bei Glücksspiel-Portalen, die stets überprüfen müssen, ob der Teilnehmer über 18 Jahre alt ist. Auch Versicherungen, Krankenkassen, Mieter und Vermieter oder Banken würden profitieren.

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Wann und wie wird die E-ID eingeführt?

Die «Swiss ID» wird schrittweise eingeführt. Zuerst werden sämtliche Post-Kunden sowie Swiss-Pass-Inhaber der SBB die «Swiss ID» erhalten. Nur schon mit diesen beiden Anbietern würden rund vier Millionen Nutzer über eine «Swiss ID» verfügen – ob sie wollen oder nicht. Sie wird für Konsumenten gratis sein, Unternehmen werden «einen gewissen Betrag bezahlen» müssen, so Dobler.

Die Einführung der «Swiss ID» soll in vier technologischen Schritten erfolgen:

  1. Einfaches Benutzerkonto (seit Oktober 2017)
    Dazu wird, wie bei Facebook, lediglich ein Benutzername und ein Passwort benötigt. Dieses Login ist dann für alle Anbieter gültig, die dieses Verfahren aufschalten. Mehr als 1000 ausgewählte Post-Kunden sind bereits migriert, weitere folgen bis Ende Jahr. Auf die Post folgen die SBB und weitere Unternehmen.
     
  2. Datenfreigabe (ab Frühjahr 2018)
    Die meisten Portale sind auf mehr Daten angewiesen als nur auf den Benutzernamen. Deshalb wird es nötig sein, für die «Swiss ID» erweiterte persönliche Daten wie Postadresse, Geburtsdatum oder Kreditkartennummer zu hinterlegen. Auch diese Daten werden nur einmal eingegeben, bevor sie an alle Portale fliessen.

    Dobler betont, dass diese Daten nur weitergegeben werden, wenn der Kunde einwillige: «Wenn beispielsweise die Adresse eines Kunden bei der SBB registriert ist, und diese an eine Versicherung weitergeleitet werden soll, dann muss der Kunde diesem Datentransfer explizit zustimmen.» Ob das tatsächlich so sein wird, wird sich zeigen müssen. Vor allem Datenschutz-Experten werden das Projekt mit grossem Interesse verfolgen.
     
  3. Elektronische Unterschrift (E-ID) (ab Sommer 2018)
    Für Online-Banking, den Mobilfunkvertrag oder die Miete eines Autos ist eine persönliche Unterschrift unabdingbar. Bislang musste man solche Dokumente ausdrucken und einschicken oder vor Ort unterschreiben. Seit diesem Jahr ist nun das Bundesgesetz über die elektronische Signatur (ZertES) in Kraft. In Zukunft kann der Kunde seine Unterschrift einmalig beglaubigen und mit seiner E-ID verknüpfen lassen.
     
  4. E-Government (frühestens ab 2020)
    Im letzten Schritt soll die «Swiss ID» (oder ein ähnliches Produkt) «E-Government» ermöglichen – den elektronischen Schalter von Bund, Kanton und Gemeinde. Einen Wohnortswechsel anmelden? Die Steuererklärung einreichen? Abstimmen? Soll dann alles über dieses Login möglich sein.
Erhalten nur Schweizer Bürger eine E-ID?

Nicht nur. Auch in der Schweiz wohnhafte Ausländer können sich einen digitalen Ausweis zulegen. Vorerst ist nicht geplant, die elektronische Identität an die herkömmliche Identitätskarte zu koppeln.

Wie teuer wird das?

Das gemeinsame Unternehmen der beteiligten Firmen, die SwissSign Group AG, wird ab Januar 2018 die Tätigkeiten der heutigen SwissSign AG integrieren und die SwissID-Lösung weiterentwickeln. Dieser Ausbau wird einiges kosten. Laut Swiss-Sign-CEO Markus Naef wird in den nächsten zwei bis drei Jahren ein hoher zweistelliger Millionenbetrag aufgewendet werden. Derzeit zählt das Unternehmen mit Sitz in Glattbrugg noch 53 Vollzeitstellen, demnächst soll sich diese Zahl aber mehr als verdoppeln. Die Gewinnzone soll in etwa fünf bis sechs Jahren erreicht werden.

Neben der Post sind mit SBB, Swisscom, Credit Suisse, Raiffeisen, UBS, Zürcher Kantonalbank, SIX und der Mobiliar weitere namhafte Firmen mit von der Partie. Die Akteure konnten sich also auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Im Sommer hatte Dobler diese Einigung gegenüber dem Beobachter noch als «wichtigste Herausforderung» beschrieben, da nur ein gemeinsames Vorgehen zielführend sei: «Wir wollen den Fehler von Twint und Paymit nicht wiederholen.» Die beiden Bezahlapps fürs Handy hatten sich während Monaten bekämpft, ehe sie doch noch zusammengingen.

Die Protagonisten machen also vorwärts – noch bevor überhaupt ein Gesetzestext vorliegt. Diese Eile bemängelt Martin Steiger, Rechtsanwalt und IT-Experte der gemeinnützigen Organisation «Digitale Gesellschaft»: «Dass die Betreiber der Swiss ID noch vor Klärung der Rechtslage vorpreschen, ist schade. Vermutlich erhoffen sie sich, die digitale Identität in der Schweiz zu ihrem Vorteil monopolisieren zu können.»

Gibts die elektronische ID am SBB-Schalter?

Tatsächlich sind die rechtlichen Grundlagen noch nicht geklärt. Die Vernehmlassung zum Bundesgesetz über anerkannte elektronische Identifizierungseinheiten (E-ID-Gesetz) ist abgeschlossen, der Ball liegt nun beim Bundesrat. Dieser will bis zum nächsten Sommer einen Gesetzesentwurf präsentieren. Im Kern geht es um die Frage, wer den elektronischen Ausweis verwaltet. Macht das der Bund? Machen das bundesnahe Organisationen wie die SBB? Oder machen das Private? Dobler – und offenbar auch der Bundesrat – favorisiert Letzteres.

Dobler ist überzeugt, dass es am sinnvollsten ist, wenn eine private Firma – am liebsten natürlich SwissSign – die technologische Entwicklung der «Swiss ID» verantwortet, denn: «Der Bund ist zu wenig flexibel, um auf die technologischen und administrativen Anforderungen eines solches Projekts angemessen reagieren zu können.» Einzig die Bewilligungspflicht könnte beim Bund oder bei einem bundesnahen Betrieb liegen. «Um die elektronische Identität zu erhalten, soll man dafür ins Passbüro? Auf das Gemeindeamt? Oder kann das sogar an jeder Migros- und Coop-Kasse passieren?» Er selber bevorzuge eine Mandats-Lösung: «Der Staat könnte beispielsweise der SBB oder der Post exklusiv und unter Aufsicht das Mandat erteilen, dass sie an all ihren Schaltern diese digitalen Identitäten bewilligen kann.»

Dem widerspricht Martin Steiger vehement: «Nur der Bund ist in der Lage, eine digitale Identität überhaupt langfristig zu gewährleisten. Denn er besitzt alle Grundlagen für eine staatliche E-ID aufgrund der Ausweis-, Einwohner- und Personenregister. Diese Daten müssen lediglich noch für eine staatliche digitale Identität erschlossen werden. Dafür wäre eine schlanke und zeitnahe Lösung möglich.» Geht es nach Steiger, sollten diese Kompetenzen ausschliesslich beim Bund liegen: «Wir sehen das notwendige Vertrauen nur durch eine staatliche digitale Identität gewährleistet.»

Bis Ende 2018 soll das neue E-ID-Gesetz in Kraft treten. Bis dahin wird die Vorlage noch für einige Diskussionen in National- und Ständerat sorgen. Falls das Referendum ergriffen wird, hat das Stimmvolk das letzte Wort.

SuisseID, der Mega-Flop
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Ihnen sagt dieses Logo etwas? Dann gehören Sie zu einer Minderheit in der Schweiz. Mehr als 20 Millionen Franken hat der Bund in eine digitale Identität namens SuisseID investiert – ohne Erfolg. Diese erste Version, die vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) angetrieben und von der Post vertrieben worden war, stiess kaum auf Resonanz. Bis heute haben sich nur knapp 100'000 Nutzer für die ID registriert – und ein Grossteil davon beliess es bei der Registrierung.

Die Gründe für den Misserfolg hat der Bund in einem ausführlichen Bericht evaluieren lassen. Fazit: Die Kosten von knapp 50 Franken pro Jahr für den Kunden, die komplizierte technische Umsetzung, hohe Einstiegshürden sowie mangelnder effektiver Bedarf führten zum Flop. Ausserdem seien die meisten ID über Unternehmen verteilt worden und so bei Personen gelandet, die gar nichts damit anfangen konnten. Oder anders ausgedrückt: Die SuisseID war schlicht nicht markttauglich.

Artikel erstmals publiziert: 28. Juni 2017

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Tina Berg, Redaktorin
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