Sind sie schon vorbei? Der Blick wandert hin und her. Wo stehen sie bloss, die geheimnisvollen Erd- oder «Höhlenhäuser», von denen es heisst, sie gäben einem das urtümliche Gefühl, direkt in der Natur zu wohnen? «Achten Sie auf die zwei auffälligen Türmchen», sagt der spazierende Pensionär. «Gleich vis-à-vis befindet sich die Siedlung.» Rosa Einfamilienhäuser reihen sich an gelbe Bungalows in diesem etwas höher gelegenen, ruhigen Quartier in Dietikon nahe der Zürcher Stadtgrenze. Kein Haus passt zum anderen. Und noch immer fehlt von den Erdhäusern jede Spur.

Dann plötzlich tauchen die beiden Türme auf. Sie gehören zu einem schlossähnlichen Bau neueren Datums. Hier wohnt und arbeitet der Architekt Peter Vetsch, der Erfinder der Erdhäuser. Gleich gegenüber sticht eine hügelige Graslandschaft ins Auge. Bei näherem Betrachten kann man Fenster, Briefkästen, Türen und Eingangsportale erkennen: Hier steht sie also, die Dietikoner Erdhaussiedlung.

«Wie kommt ein Schlossherr dazu, Erdhäuser zu bauen?» Vetsch lacht. «Das Schloss ist ein Bubentraum.» Er selber habe 17 Jahre lang mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem Erdhaus gelebt, bis die Räumlichkeiten zu klein geworden seien für die kontinuierlich wachsende Sammlung historischer Möbel – eine weitere Leidenschaft von Vetsch. Doch noch immer schlage sein Herz für die eigenartigen Bauten, die wie überdimensionale Maulwurfhügel aussehen. Erbaut hatte Vetsch sein eigenes Erdhaus 1978 – es war eines der ersten seiner Art in der Schweiz. «Wir wollten damals möglichst einfach, günstig, naturnah und dennoch exklusiv wohnen», sagt Vetsch, der nach einer Ausbildung zum Landwirt einen vierjährigen Lehrgang an der Kunstakademie Düsseldorf besucht hatte.

Der ebenerdige Grundriss der mittlerweile zehn Erdhäuser in Dietikon ist fast kreisrund; Wände und Türen gibt es nur wenige. Die offene Küche grenzt an den Wohnraum. Im Badezimmer steht eine runde Badewanne. Damit es «so wenige Möbel wie möglich braucht», fertigte Vetsch ein zwei Meter breites Ehebett sowie sämtliche Bücherregale und Schränke aus weissem Spritzbeton und installierte diese fix in den Räumen. Unzählige runde Fenster säumen die Aussenwände; grosse Fensterfronten und Dachluken in der zu einer Sichel gewölbten Decke machen das Haus zu einem lichtdurchfluteten Raum. Weil die Betonhäuser mit Erde bedeckt sind, bleibt die Temperatur im Innern immer mehr oder weniger konstant: Im Sommer wie im Winter ist es rund 22 Grad warm. Ein Erdhaus vermittle «Geborgenheit wie im Mutterleib», sagt eine Bewohnerin.

Mit seinem ersten Erdhaus wurde Vetsch auf einen Schlag berühmt. Aus aller Welt reisten Neugierige an, um das eigentümliche Gebäude zu bestaunen. Manch ein Berufskollege nannte Vetsch hinter vorgehaltener Hand einen Spinner. Doch der Architekt fand Käufer, die sich von der Idee, wie «Höhlenmenschen» zu leben, überzeugen liessen.

Insgesamt erstellte Vetsch 37 Erdhäuser – verstreut in der ganzen Schweiz. Erdhäuser sind allerdings nur für Individualisten geeignet, die bereit sind, sich bei der Einrichtung der extravaganten Bauform unterzuordnen. Wer etwa grosse Bilder mag und ein Flair für opulente Möbel hat, findet sich hier nicht zurecht. Bilder lassen sich an den runden Wänden kaum aufhängen, und nur kleine oder extra angefertigte Möbelstücke finden Platz.

Nicht mit Beton und Erde, sondern mit Stroh hat sich der Bündner Architekt Werner Schmidt seinen Traum vom alternativen Bauen verwirklicht. Sein zweistöckiges Haus in Disentis besteht aus Strohballen, die wie Ziegelsteine aufeinander geschichtet und mit Kalk oder Lehm verputzt wurden – «eine schnelle, kostengünstige und einfache Art, ein Haus zu errichten», sagt der Architekt. «Die Technik, mit Stroh zu bauen, ist seit über 100 Jahren in den USA weit verbreitet.» Schmidts Strohhaus hat keine Heizung. Sonneneinstrahlung und Abwärme, die beim Kochen und Waschen entsteht, sorgen für angenehme Temperaturen. Wird es im Winter doch einmal kalt, kommt ein speziell angefertigter kleiner Holzofen zum Zug. Von Strohhäusern gingen praktisch keine umweltschädlichen Emissionen aus, sagt Schmidt.

Naturschutz hin, Exklusivität her: Familie Föllmi will von alternativen Wohnformen nichts mehr wissen. 1999 liess sie sich im zürcherischen Rheinau das erste Strohballenhaus der Schweiz bauen. Kaum erstellt, krabbelten Reismehlkäfer aus allen Ritzen. Scharenweise tummelten sie sich an Wänden und auf Böden, krochen in die Badewanne und in die Betten. Eine Spezialfirma musste den Käfern schliesslich mit Pestiziden zu Leibe rücken. Zudem drang Regenwasser durch die Fenster.

Rund 750'000 Franken hätte das Eigenheim samt Landkauf kosten sollen – einschliesslich der Reparaturen kam das Ganze schliesslich auf etwa 1,3 Millionen Franken zu stehen. Es habe sich um ein Experiment gehandelt und die Familie habe das gewusst, stahl sich der Architekt damals aus der Verantwortung. Dabei war ganz klar, dass Fehler gemacht worden waren: Als Isoliermaterial war fälschlicherweise unbehandelte Dinkelspreu verwendet worden – eine Methode, die sämtlichen Regeln der Baukunst widerspricht: Unbehandelte Dämmstoffe ziehen Insekten geradezu an.

Bei Architekt Werner Schmidt – der mit dem Haus der Völlmis nichts zu tun hatte – sind bislang keine Reklamationen eingegangen. «Ich bin überzeugt, die Idee, mit Stroh zu bauen, wird sich auch in der Schweiz durchsetzen», sagt er.

In der Fachwelt hingegen schmunzelt man über solche Experimente. Als «eher absurd» stuft etwa Alfred Lang, emeritierter Professor für Umwelt- und Kulturpsychologie an der Universität Bern, «Marotten wie Erd- oder Strohhäuser» ein. Und Robert Kaltenbrunner, Architekturkritiker der Fachzeitschrift «Archithese», konstatiert in einem Essay, dass häufig übersehen werde, dass das Haus ein Gebrauchsgegenstand sei – und Architektur eine Dienstleistung, die in erster Linie auf die Bedürfnisse der Bewohner eingehen solle. «Da es beim Wohnen eher um das Alltägliche als um das Besondere geht, scheinen die Architekten sich damit schwer zu tun.» Der Erdhaus-Architekt Peter Vetsch lässt sich durch solche Kritik nicht beirren.

Er wolle seine Häuser ja niemandem aufdrängen, kontert er, «aber wer Freude daran hat, kommt bestimmt auf seine Rechnung».