Die Familie Zurkirchen erfüllt alle Klischees einer bodenständigen Schweizer Familie. Zwei Kinder, ein Eigenheim. Ehrenämter im Skiclub, im Schützenverein und in der Feuerwehr. Doch ihr Idyll hat in den letzten drei Jahren Risse bekommen. «Ich habe mein Vertrauen in den Rechtsstaat verloren», sagt Beat Zurkirchen. Ausgerechnet er. Als Polizist vertritt er den Staat. Doch nun kommuniziert er mit den Behörden nur noch via Anwalt.

Was ist passiert? Spulen wir zurück ins Jahr 2013. Die Schweiz debattierte über Zersiedelung. Ohne Mass und Plan wurde jahrzehntelang zu viel Bauland eingezont. Wurden Bauern über Nacht zu Millionären gemacht. Ihre Wiesen und Felder vergoldet, auch dort, wo es planerisch wenig Sinn ergab, dem Natur- und Landschaftsschutz zuwider lief oder das eingezonte Land schlecht an den öffentlichen Verkehr angebunden war.

So geschah es auch im luzernischen Schwarzenberg, der Heimat von Marianne und Beat Zurkirchen. Ein Dorf, eingebettet vom felsigen Rücken des Pilatus und den lieblichen Hügeln des nahen Entlebuchs. Obwohl nur wenige Autominuten von Luzern entfernt, bietet es dennoch Abgeschiedenheit.

Heikler Eingriff

Eine Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung stimmte im Frühling 2013 für eine Verschärfung des Raumplanungsgesetzes. Zersiedelung stoppen – was kann daran schlecht sein? Das dachten auch die Zurkirchens. Sie konnten nicht ahnen, dass der Entscheid sie sieben Jahre später betreffen sollte.

Das neue Raumplanungsgesetz verpflichtete alle Kantone, ihre Bauzonen dem «voraussichtlichen Bedarf» der nächsten 15 Jahre anzupassen. Gemeinden dürfen seither nur noch so viel Bauland eingezont haben, wie sie für ihr Wachstum brauchen.

Betroffen sind knapp 500 Ortschaften der ländlichen Schweiz, wie der Beobachter mit der Immobilienberaterin Wüest Partner berechnete. Insgesamt geht es um Bauland im Wert von rund sieben Milliarden Franken. Die Verlierer sind Grundeigentümer, die ihr Land in einer der 500 Gemeinden gekauft oder geerbt und nicht schnell genug gebaut haben. Denn die Dörfer müssen überschüssiges Bauland in vergleichsweise wertlose Landwirtschaftszonen umwandeln. Der Fachbegriff dafür heisst Rückzonung. Das trifft nicht nur Immobilienspekulanten, die Bauland gehortet und auf Wertsteigerung gehofft haben, sondern auch normale Landbesitzer wie die Zurkirchens.

Viele Kantone zögern darum mit der Umsetzung. Sie wollen sich mit dem heiklen Eingriff in das Grundeigentum nicht die Finger verbrennen. Schliesslich geht es um das heiligste Gut der Marktwirtschaft. Dazu kommt: Die meisten Eigentümer dürften für den massiven Wertverlust ihrer Grundstücke nicht entschädigt werden, obwohl sie ihr Bauland rechtmässig erworben und jahrelang versteuert haben. Denn laut Bundesgericht waren viele der Einzonungen rechtswidrig, die Grundstücke hätten gar nie zu Bauland werden dürfen.

«Mir geht diese Ungleichbehandlung nicht runter.»

Beat Zurkirchen, Grundeigentümer

Der Kanton Luzern schreitet als Pionier voran. Im Januar 2020 präsentierte er die erste Rückzonungsstrategie der Schweiz. Parzellenscharf hatte der Kanton errechnet, wie viele Quadratmeter in den einzelnen Gemeinden rückzuzonen sind. Schwarzenberg wurde mitgeteilt, man müsse 39'000 Quadratmeter Bauland einer «Nichtbauzone» zuweisen. Ein Schock für die Gemeinde. Ein Schock auch für die Familie Zurkirchen. Sie traf es am härtesten. Von ihrem Land sollen rund 3000 Quadratmeter mit einem geschätzten Wert von 1,5 Millionen Franken rückgezont werden. Es gehe nicht nur ums Geld, sagt Beat Zurkirchen. Die beiden Söhne wären gern auf das Grundstück gezogen. Sie seien im Dorf fest verwurzelt.

Noch ist der Entscheid nicht definitiv. Letztlich muss jede Rückzonung von der Gemeindeversammlung abgesegnet werden. Der Gemeinderat kann vorgängig Einwände zu den Vorschlägen des Kantons machen und etwa die Verhältnismässigkeit der Massnahme bei einzelnen Grundstücken anzweifeln.

Vom Engagement der Gemeinde scheinen nicht alle gleichermassen zu profitieren. Viele Eigentümer, die nicht zum Zug kamen, fühlen sich ungerecht behandelt, einige gar regelrecht hintergangen. Wie dieses Gefeilsche um Bauland-Quadratmeter im Dorf ablief, hat der Beobachter die letzten Jahre mitverfolgt. Immer wieder tauschten wir uns mit Grundeigentümern, Gemeinde- und Kantonsvertretern aus und besuchten Gemeindeversammlungen.

Auf dieser unverbauten Wiese sollen vier Einfamilienhäuser gebaut werden.

Auf dieser unverbauten Wiese sollen vier Einfamilienhäuser gebaut werden.

Quelle: PASCAL MORA

Das Misstrauen genährt haben Geschichten wie die des Gemeinderats, der für das Dossier «Bau und Umwelt» zuständig ist und für Die Mitte im Luzerner Kantonsrat politisiert. Der Beobachter deckte vor zweieinhalb Jahren auf, dass er von seinem Vater eine grosse Baulandparzelle überschrieben bekam – kurz nachdem er sich mit dem Gemeindepräsidenten und dem Ortsplaner getroffen hatte, um über mögliche Rückzonungsflächen zu diskutieren. Bei Grundstücken, die vor kurzem den Besitzer wechselten, betrachtet der Kanton eine Rückzonung für unzumutbar. Indem sein Vater ihm die Baulandparzelle überschrieb, wurde der Mitte-Kantonsrat rechtzeitig zu einem «Neubesitzer». Erst nachdem der Beobachter über den Kuhhandel berichtet hatte, wurde die Parzelle wieder den Rückzonungsflächen zugewiesen.

Jetzt zeigen neue Recherchen: Im Sommer 2021 erteilte der Gemeinderat eine Baubewilligung für vier Einfamilienhäuser – auf einer seit Jahrzehnten unverbauten Wiese in Eigenthal, dem idyllischsten Dorfteil von Schwarzenberg, mit Sicht auf eine geschützte Moorlandschaft und den Pilatus. Genau dort, wo nicht mehr gebaut werden sollte, gemäss Einschätzung von Lukas Bühlmann, einem der renommiertesten Raumplanungsexperten der Schweiz. Bühlmann war jahrelang Direktor des Raumplanungsverbands Espace Suisse und hat zur Luzerner Rückzonungsstrategie ein Gutachten geschrieben.

Auch der Kanton hatte die Grundstücke als Rückzonungsfläche gekennzeichnet. Die Gemeinde argumentierte aber mit «fehlender Verhältnismässigkeit» – und scheint damit durchzukommen. Im Gegensatz zur Familie Zurkirchen.

Fragen sind unerwünscht

Brisant dabei: Von der Intervention der Gemeinde profitiert einer der einflussreichsten Geschäftsmänner der Region. Er war CEO und Verwaltungsratspräsident einer milliardenschweren Firma, die eine wichtige Arbeitgeberin ist. Ihm gehört auch eine lokale Mineralquelle. An der Gemeindeversammlung im letzten Sommer, als es um die Rückzonungsflächen ging, wurde sein Mineralwasser zur Erfrischung der Stimmbevölkerung in der Mehrzweckhalle verteilt. Gratis. Er selbst war nicht vor Ort.

«Mir geht diese Ungleichbehandlung nicht runter», sagt Beat Zurkirchen. «Ich habe nichts gegen diese Einfamilienhäuser, aber dann will auch ich bauen dürfen.»

Fragen des Beobachters waren an der Gemeindeversammlung unerwünscht. Die ehemaligen Grundeigentümer, die dem Unternehmer das Bauland verkauft hatten, verliessen die Veranstaltung frühzeitig und wimmelten Fragen des Journalisten ab. Auch der Unternehmer selbst wollte sich mit Verweis auf «das laufende Verfahren» nicht zum Fall äussern, wie sein persönlicher Mitarbeiter ausrichten liess.

Ohne Mass und Plan wurde jahrelang zu viel Bauland eingezont.

Gemeindepräsident Markus Stofer schreibt, die Gemeinde habe sich für alle Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer gleich intensiv eingesetzt. Man habe bei der Festlegung der Flächen aber kaum mitreden können. Die Rückzonungen seien «eigentlich vollständig vom Kanton» vorgegeben worden. «Jeglichen Spielraum» habe man genutzt, um nicht noch weitere Flächen rückzonen zu müssen. Zu den Grundstücken des Geschäftsmannes schreibt Stofer, ihm gehöre noch eine weitere Parzelle, die nun nicht bebaut werden dürfe. «Somit wurde rund die Hälfte seines Baulandes, wie bei vielen anderen, rückgezont.»

Die Hoffnungen der Familie Zurkirchen liegen nun beim Luzerner Regierungsrat und beim Bundesgericht. Die Stimmberechtigten des Dorfes hiessen ihre Beschwerde gegen die Rückzonungen ihres Grundstücks gut. Damit könnte der Regierungsrat ihr Bauland – entgegen dem Vorschlag der Gemeinde – retten. Der Entscheid steht noch aus.

Auch haben die Zurkirchens Einsprache gegen die Baubewilligung für die geplanten Einfamilienhäuser des reichen Geschäftsmannes erhoben. Würden diese Parzellen rückgezont, könnte man ihr Land verschonen, argumentiert der Anwalt von Beat und Marianne Zurkirchen. Der Fall liegt nun beim Bundesgericht, nachdem ihn das Luzerner Kantonsgericht in erster Instanz abgewiesen hat. Es kam zum Schluss, dass die Zurkirchens nicht einspracheberechtigt seien, da es keine «Wechselwirkung zwischen den Grundstücken» gebe. Selbst wenn die Grundstücke des Geschäftsmannes ausgezont würden, hiesse das nicht, dass das Land der Zurkirchens Bauland bliebe.

Wie immer das Bundesgericht entscheiden wird, das Beispiel Schwarzenberg zeigt: Fehler in der Raumplanung zu korrigieren und gegen die Zersiedelung vorzugehen, schafft böses Blut. Rückzonungen könnten nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit betroffene Landeigentümer entschädige, so Staatsrechtsprofessor Alain Griffel von der Universität Zürich, der sich auf Raumplanungsrecht spezialisiert hat. Ansonsten drohe das Vorhaben zu scheitern, wie er kürzlich in einem Fachartikel schrieb. «Das wahrscheinlichste Szenario: Es bleibt punkto Rückzonungen mehr oder weniger alles beim Alten, mit vielen Kollateralschäden in Form von zahllosen Rechtsmittelverfahren, frustrierten Behörden und verbitterten Grundeigentümern, die für immer das Vertrauen in den Rechtsstaat verloren haben.»