Tiefempfundene Empörung funkelt in den Augen von Theresia Merz. An Gewerbeausstellungen, so erzählt sie, werde man am Stand mit den Bohrmaschinen oft von oben herab behandelt. Oder - auch das sei schon vorgekommen - gar nicht erst bedient.
Dass gerade ihr das passieren muss. Viele Jahre hat sie in einem alten Bauernhaus gewohnt. Einem sehr alten Bauernhaus: Baujahr 1661. «Da gab es immer etwas zu reparieren», sagt sie. Und wuchtet im Baumarkt Hornbach in Littau LU eine weitere 16-Kilo-Packung Korklaminat auf den Einkaufswagen. Wahrscheinlich müsse sie zweimal fahren. «Mein Auto verfügt nur über eine Nutzlast von 400 Kilo.»

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Die Bodenplatten sind für das neue Zweifamilienhaus gedacht, in das Theresia Merz bald gemeinsam mit ihrer Tochter einziehen wird. Den Rohbau und die «schweren Arbeiten» haben Fachleute erledigt. Den Feinausbau - Streichen ebenso wie Bodenlegen - machen sie selber. Wichtig sei, dass man eine Sache erst im Kopf gut plane, bevor man sich an die Ausführung mache. «Ist die Arbeit getan, fühlt man eine grosse Befriedigung», sagt Merz. Bald kann sie einen runden Geburtstag feiern: Theresia Merz wird 70.

Wie die rüstige Rentnerin hämmern, streichen und fliesen Tausende im ganzen Land. Der Heimwerkerboom hat alle Alters- und Gesellschaftsschichten erfasst. «Die Entwicklung geht allgemein hin zur aktiven Freizeitgestaltung. Dazu gehört auch, das eigene Heim zum sozialen Mittelpunkt zu machen», erklärt Harry Tuttner, Mediensprecher von Coop Bau + Hobby. «Homing» ist das Trendwort für die Lust am selbstgestalteten Wohnraum.

Spezielle Infoabende für Frauen
Angelockt werden die Bastler von Baumärkten wie Coop, Migros, Jumbo und anderen - über 650'000 Quadratmeter beträgt die Ladenfläche mit Heimwerkermaterialien schweizweit. Seit einigen Jahren drängt zudem die deutsche Konkurrenz in den helvetischen Markt. Mit gutem Grund: Jährlich werden hierzulande gegen drei Milliarden Franken umgesetzt - die Wachstumsrate liegt bei durchschnittlich fünf Prozent. Experten sagen der Schweiz gar ein Umsatzpotential von bis zu fünf Milliarden Franken voraus. Gemäss einer Studie der Churer Hochschule für Technik und Wirtschaft liegen die Schweizer Preise bis zu 19 Prozent über denjenigen in Deutschland. Lukrative Aussichten also.

Die wachstumsstärkste Zielgruppe bilden die Frauen: Sie machen in den Baumärkten bereits über 40 Prozent der Kundschaft aus. «Frauen sind ein Kundensegment mit hohem Potential», weiss Hanspeter Som, Marktleiter des Obi Bau- und Heimwerkermarktes in Oftringen. Umso tüchtiger wird das schöne Geschlecht umworben. Seit Januar führt Obi in der Aargauer Gemeinde kostenlose Infoabende - eigentliche Crashkurse - für Frauen durch, Material und kaltes Buffet inklusive. Som: «Da haben sie die Gelegenheit, eine Dichtung auszuwechseln oder eine Bohrmaschine in die Hand zu nehmen und zu schauen, wie sich das anfühlt.» Über 160 Frauen, die jüngste 16, die älteste 71, nahmen bislang teil - der Anlass ist ein voller Erfolg. «Wir werden die Kurse ab Mai schweizweit anbieten», sagt Marktleiter Som. Hemmschwellen abbauen sollen auch die weiblichen Kundenberater. Sie stellen rund die Hälfte des Verkaufsteams.

«Miss Do it yourself» aus dem Thurgau
Jumbo kürt derweil jedes Jahr mit grossem Brimborium die «Miss Do it yourself». 2006 machte die Thurgauer Schreinerin Mirjam Rüegg das Rennen. «Sie dient als Identifikationsfigur für die Frauen», erklärt Jumbo-Chef Claude Lewin. Moderiert wurde der Anlass von Sonya Kraus, Pro7-Starmoderatorin fürs Heimwerkertum. Ihre Sendung «Do it yourself - S.O.S.», Urmutter aller deutschsprachigen Heimwerkerformate, kurbelt nachhaltig den Markt an. Per 22. Mai schiebt nun auch das Schweizer Fernsehen mit «Tapetenwechsel» eine eigene Heimwerkersendung nach deutschem Erfolgsrezept hinterher: «Die Idee geisterte bei SF schon lange herum, im Ausland liefen ähnliche Formate mit grossem Erfolg», sagt David Affentranger, Mediensprecher bei SF.

Auch Andrea Stefanzl verdankt ihre Heimwerkerkarriere - sie hat unter anderem schon sechs Zimmer mit Laminatböden ausgelegt, «und zwar schön!» - dem Fernsehen. «Diese Sendungen haben mir Mut gemacht, mich auch als Heimwerkerin zu versuchen», sagt die 26-jährige Krankenschwester. «Die haben immer alles so gut erklärt, dass ich mich schliesslich auch traute. Und jetzt bin ich so angesteckt, dass ich letzten Silvester lieber mein Zimmer strich, als auszugehen.» Heute ist Andrea Stefanzl auf der Suche nach dem passenden Fertigbeton fürs Einbetonieren ihres Wäscheständers.

Die Entwicklung im Königreich der Heimwerker spiegelt nicht zuletzt gesellschaftliche Veränderungen. Nicht nur, dass sich Frauen mehr zutrauen als früher. Es gibt immer mehr Singlehaushalte und getrennt lebende Mütter. Und daneben Männer, die im Handwerken genauso Anfänger sind wie die Frauen. So war das auch bei Heidi Gut aus Wallisellen: «Mein Exmann hat zwei linke Hände. So musste ich halt selber ran.» Nicht immer wurde sie mit Erfolg belohnt, wie die 41-Jährige freimütig zugibt: «Der selbstgebaute Hasenkäfig brach eines Winters unter der Last des Schnees zusammen.» Gut hatte, um Geld zu sparen, billige Dachlatten statt der teureren Vierkantbalken verwendet. Eins habe sie mittlerweile gelernt: Billiges Material oder Werkzeug komme ihr nicht mehr in die Einkaufstüte.

Wer liest die Gebrauchsanweisung?
Pfusch und der grosszügige Einsatz von falschem Material sind aber keineswegs auf die Heimwerkerin beschränkt. Im Gegenteil, sagt Obi-Fachmann Hanspeter Som: «Frauen sind kritischer und vorausschauender, kaufen geschickter ein und lesen im Gegensatz zu den Männern auch mal die Gebrauchsanweisung.» Auch Mirjam Rüegg, die Schweizer «Miss Do it yourself» 2006, betont: «Frauen geben einfach viel eher als Männer zu, wenn sie etwas nicht können oder etwas in den Sand gesetzt haben.» Frank Beat Keller vermietet seit 25 Jahren Bodenschleifmaschinen. Seine Erfahrungen: «Während Männer über 50 meinen, man könne problemlos den Bürostuhl gegen eine Schleifmaschine tauschen, haben die Jungen Anfang 20 oft das Gefühl, Kraft ersetze die richtige Technik und das Feingefühl. Beide merken früher oder später, dass das nicht stimmt.»

Auch die Gesundheit ist gefährdet: Rund 33'000 Heimwerkerunfälle registriert die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) jährlich. Hauptsächlich offene Wunden, Prellungen, Brüche. «Trauriger Spitzenreiter bei den Unfällen ist die Handkreissäge. Aber auch das Hantieren mit Bohrmaschinen und Winkelschleifern führt häufig zu bösen Verletzungen», sagt der BfU-Berater Roland Hämmerlin. Besonders in Gefahr ist die Hand, bei fast der Hälfte der Unfälle ist sie der verletzte Körperteil.

Wo gehobelt wird, da fallen Späne, kaum wo trifft dieser Spruch besser zu als im Do-it-yourself-Bereich. «Ich habe schon viel gesehen», sagt André Sterki. «Teppiche, die Falten schlagen, Farben, die nicht halten oder abdecken, Schimmel wegen schlechter Isolationen und sogar Fliesen, die mit Silikon ‹geklebt› waren.» Der
29-Jährige hat sich vor zwei Jahren mit der Internetplattform www.heimwerker-beratung.ch selbständig gemacht und wird immer wieder von Hobbywerkern zu Hilfe gerufen, die nicht mehr aus noch ein wissen. Auch Handwerkervereinigungen sind häufig mit Pfusch konfrontiert. So oft, dass die Vereinigung schweizerischer Sanitär- und Heizungsfachleute ihren Mitgliedern Verhaltensregeln mit auf den Weg gibt. Geschäftsführer Daniel Sommer: «Wir haben die Installateure dahin gehend informiert, dass sie die Kunden nicht auslachen sollen, wenn sie mit einem Problem ankommen.»

Unwissenheit hat ihren Preis
Um Contenance bemühen müssen sich oft auch die Berater der Baumärkte: «Manche Kunden lassen sich nur ungern beraten und wundern sich dann, wenn die Arbeit nicht ganz nach ihren Vorstellungen gelingt», sagt Stefan Furter, gelernter Maler und Kundenberater bei Hornbach. Auch Kurt Imbach von der Abteilung Baufertigteile ärgert sich manchmal über die Kundschaft. Das Problem sei, dass der Käufer oft gar nicht wisse, was genau er brauche. «Öppe eso» sei, begleitet von der entsprechenden Armbewegung, oft die Antwort auf Fragen wie: «Wie breit soll die Tür denn sein?» Imbachs Kollege Emil Barmet schätzt, dass mindestens 30 Prozent der Fertigteile wie Fenster oder Türen von Anfängern nicht fachgerecht montiert werden. «Laien müssen eben erst ihre Erfahrungen machen.» Die Unwissenheit hat ihren Preis. Und der kann bei Fehlmontagen von Türen und Fenstern in die Tausende von Franken gehen - Folgeschäden an Isolation und Mauerwerk nicht eingerechnet.

135 Tonnen Farbe für den Abfall
Die Baumärkte profitieren von der Unerfahrenheit der selbsternannten Schreiner-, Maurer- und Malermeister. Denn Heimwerker geben häufig mehr Geld aus als nötig, kaufen nicht nur falsches, sondern oft auch zu viel Material ein. «Für den Umbau unseres Wohnwagens hatten wir für 1000 Franken Fensterdichtungen gekauft», erzählt Schausteller Romy Maier. «Verbraucht haben wir schliesslich Material im Wert von 100 Franken.» Übermässig Geld verbaut hat auch Mustafa Tafoski. Der Familienvater hat nach eigenen Schätzungen bei der Renovation seines Hauses für 5'000 bis 10'000 Franken Fehlkäufe getätigt.

«Lieber einen Kübel mehr als einen zu wenig» - die Auswirkungen dieser Strategie lassen sich bei den Abfallsammelstellen besichtigen. Etwa bei Entsorgung und Recycling Zürich. Hobbymalerinnen und -maler geben hier jährlich Tausende von gebrauchten Pinseln und Farbrollern ab. Dazu einige Tonnen Pinselreiniger, Azeton und Nitroverdünner. Ausschliesslich aus privaten Beständen stammen auch die abgegebenen Altfarben. Rund 135 Tonnen pro Jahr.

Zehn goldene Heimwerkerregeln

  • Bereiten Sie die Arbeiten gut vor.

  • Nehmen Sie genau Mass.
  • Rechnen Sie genug Zeit ein.
  • Beachten Sie Sicherheitshinweise.
  • Führen Sie nur Arbeiten aus, die Sie sich auch wirklich zutrauen.
  • Arbeiten Sie mit vernünftigem Werkzeug.
  • Holen Sie bei Problemen Hilfe.
  • Verwenden Sie nur intakte Materialien.
  • Testen Sie Installationen, bevor Sie eine Arbeit abschliessen.
  • Sichern Sie am Feierabend den Arbeitsplatz.