Einbruchopfer: «Die Wunde in mir wird immer spürbar bleiben»
Einbrecher richten nicht nur materiellen, sondern auch seelischen Schaden an. Bei manchen Betroffenen löst das gewaltsame Eindringen in ihre Privatsphäre sogar ein Trauma aus.
Veröffentlicht am 25. April 2003 - 00:00 Uhr
Als Katharina Arni an jenem Januarabend nach Hause kam, war die Welt noch in Ordnung – zumindest im Parterre ihres Einfamilienhauses. Die Stube war dunkel, leer und unberührt. Im oberen Stockwerk dann ein mulmiges Gefühl: Katharina Arni konnte sich nicht erinnern, die Türen des Wandschranks geöffnet zu haben. Und dass ihr Sohn seine Zimmertür sperrangelweit offen gelassen hätte, entsprach überhaupt nicht seiner Gewohnheit.
Etwas verunsichert betrat Arni ihr Schlafzimmer – und da überfiel sie der Schrecken: Die Schubladen der Kommode und des Sekretärs waren herausgerissen und lagen auf dem Bett, der Inhalt war verstreut und durchwühlt. Mittendrin die Schmuckschatulle – leer.
«Am meisten erschreckte mich die Stille», erinnert sich die 63-jährige dreifache Mutter und Journalistin. «Diese Totenstille, die in einem leeren Raum herrscht, in dem kurz zuvor noch fremde Menschen gewütet haben.»
Die Rekonstruktion der Ereignisse ergab folgendes Bild: Die Diebe kletterten auf den Balkon im ersten Stock. Weil sie die Tür nicht aufwuchten konnten, warfen sie einen Stein durch die Scheibe, um sie von innen zu öffnen. Zielgerichtet steuerten sie ins Schlafzimmer, wo sie sofort fanden, was sie suchten: den Goldschmuck, darunter unersetzbare Erbstücke. Der Silberschmuck und die Perlenketten hingegen interessierten sie nicht. Im Badezimmer fischten sie mit sicherem Griff den Ohrschmuck aus der Schale. Sonst fehlte nichts. Die anderen Zimmer wurden nicht durchsucht. Vermutlich wurden die Einbrecher gestört und mussten das Haus fluchtartig verlassen.
Man glaubt es Katharina Arni sofort, wenn sie sagt: «Ich bin normalerweise weder ängstlich noch schwach.» Aber in den ersten Tagen, die auf den Einbruch folgten, waren Angst, Unsicherheit, Schwäche und Schutzbedürfnis ihre ständigen Begleiter. Der Schrecken legte sie psychisch und körperlich richtiggehend lahm; sie konnte keinen Schritt ausser Haus tun, lag die ganze Zeit auf dem Sofa und litt unter Kopfschmerzen. In den eigenen vier Wänden fühlte sie sich unwohl und war ausserstande, das Chaos und die Scherben selber wegzuräumen. Es dauerte mehr als zwei Wochen, bis der Schock einigermassen verarbeitet war und Arni zur Tagesordnung zurückkehren konnte.
«Ich fühlte mich, als ob man mir ganz persönlich ein Leid angetan hätte», erinnert sie sich. «Fremde Menschen wühlten in meinen Sachen, in meiner Wäsche; sie waren in meinem Schlafzimmer, in einem sehr intimen und privaten Raum. Sie raubten Schmuck, der für mich mit vielen Erinnerungen verbunden war. Die seelische Verletzung ist sehr gross. Wenn ich mich an den Anblick der Schubladen auf dem Bett erinnere, kommt es mir noch heute wie ein Albtraum vor.»
Dreiste Einbruchserie
Katharina Arni war nicht die einzige Anwohnerin in ihrer Strasse, die diese Erfahrung machen musste. Im ruhigen Einfamilienhausquartier in Solothurn, in dem sie lebt, hatte nach Weihnachten eine Einbruchserie begonnen, bei der zahlreiche Häuser heimgesucht wurden. Die Täter kundschafteten die Schwachstellen der Häuser aus und schlugen bevorzugt in der Dämmerung zu. Sie gingen mit grosser Dreistigkeit ans Werk. An einem Ort setzten sie den Bewegungsmelder ausser Gefecht, indem sie einen Mantel darüber warfen. An einem anderen Ort durchsuchten sie seelenruhig alle Kleiderschränke, während im oberen Stockwerk die kranke Tochter im Bett lag. An einem dritten Ort verliessen die Bewohner das Haus für nur gerade zehn Minuten. Bei ihrer Rückkehr war alles auf den Kopf gestellt.
Die Einbruchserie sorgte im Quartier für Angst und Verunsicherung. Die Anwohner fühlten sich beobachtet – an verschiedenen Briefkästen wurden «Gaunerzinken» gefunden: Kreidezeichen, mit denen sich Diebesbanden verständigen und lohnenswerte Objekte kennzeichnen. Nachts wurden die Storen heruntergelassen; tagsüber liess man das Licht in der Wohnung brennen. Fremde Personen im Viertel wurden angehalten, und man diskutierte alle Möglichkeiten, sich zu schützen: von der Installation von Alarmanlagen bis hin zu einer Bürgerwehr.
Auch bei der Polizei lief das Telefon heiss: Die Anwohner forderten zusätzliche Polizeipatrouillen und wollten sich generell informieren, wie sie Einbrüche verhindern konnten. Der Sicherheitsbeauftragte der Kantonspolizei Solothurn hatte alle Hände voll zu tun.
Die Ratschläge zur Einbruchsprävention sind ebenso einfach wie wirksam. «Verschliessen Sie Türen und Fenster immer gut», rekapituliert Frank Wilhelm, Mediensprecher der Kantonspolizei Solothurn. «Das tönt banal, aber man macht sich keine Vorstellung, wie viele Leute ihre Wohnungen nicht abschliessen.» Weitere Massnahmen gegen ungebetene Gäste: für eine gute Beleuchtung sorgen, Schlüssel nicht unter Blumentöpfen oder an ähnlich gut zugänglichen Orten verstecken, die Abwesenheit nicht durch Notizzettel am Briefkasten kundtun und die Nachbarschaftshilfe aktivieren.
Chance einer Festnahme gering
Dämmerungseinbrüche ereignen sich vor allem in der kalten Jahreszeit. Im vergangenen Winter kam es in der Stadt und der Agglomeration Solothurn zu einer besonders grossen Häufung. 2390-mal wurde letztes Jahr eingebrochen, rund ein Viertel mehr als im Vorjahr. An einem Wochenende sei im ganzen Kantonsgebiet über 100-mal eingebrochen worden, so Frank Wilhelm. «Wir kamen gar nicht mehr nach, Zeugenaufrufe zu verfassen.» In der Regel tragen solche Aufrufe ohnehin wenig zur Erfassung der Täter bei: Die Aufklärungsquote bei Einbrüchen liegt bei mageren zehn bis zwölf Prozent.
Die Kantonspolizei vermutet als Täter Diebesbanden aus Rumänien oder Fahrende, die im Elsass stationiert sind. Die Chance, die Einbrecher festzunehmen, sei sehr gering, sagt Frank Wilhelm. «Es müsste schon jemand in flagranti erwischt werden.» Demnach wird wohl auch das Dossier von Katharina Arni bald im umfangreichen Ordner mit der Überschrift «Unbekannte Täterschaft» verschwinden.
Sie selber wird den Fall nicht so schnell zu den Akten legen können. «Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht in irgendeiner Art an den Einbruch erinnert werde», sagt Arni. Da ist zum einen die Angst, die sie jedes Mal beim Heimkommen befällt. «Es ist die Angst davor, alles könnte sich wiederholt haben, es sei erneut jemand in die Wohnung eingedrungen.» Zum anderen fehlt ihr vorläufig die Kraft, die letzten Spuren des Einbruchs zu beseitigen. «Ich schaffe es noch nicht, die durchwühlten Schubladen mit den leeren Schmuckbehältern aufzuräumen.»
Der Stein, mit dem das Fenster zertrümmert wurde, liegt auf dem Büchergestell – als unseliges Erinnerungsstück. «Ich weiss nicht, ob die Angst jemals wieder vergehen wird», sagt Katharina Arni. «Da ist eine Wunde in mir, und die wird immer spürbar bleiben.»