Ein Schilfdach auf dem Felistutz
Markus Sommer suchte Ideen zur Nachhaltigkeit und fand sie bei den Kelten. Auf ihr Gedankengut zurückgreifend, baute er aus Steinen, Fichten, Lehm und Stroh ein rundes, keltisches Haus nach.
Veröffentlicht am 8. April 2005 - 15:51 Uhr
Die Weinbergschnecke lässt grüssen: «Das Haus ist unsere dritte Haut», sagt Markus Sommer, als wäre diese Erkenntnis das Natürlichste der Welt. Dem früheren Lehrer und heutigen Natur- und Lehmbauer Sommer stehen die Sinne dabei keineswegs nach weltfremder Romantik. Der 46-jährige Selbstversorger auf dem Felistutz oberhalb des Weilers Hirschmatt in der Berner Gemeinde Guggisberg versteht unter der ersten Haut die eigene. Um sie hat sich jeder ein Leben lang selber zu kümmern, damit er geistig wie körperlich gesund bleibt. An der zweiten Haut, den Kleidern, «bastle» er seit 20 Jahren als Kunsthandwerker herum: In Handarbeit fertigt er aus Leder massgeschneiderte Kleider an und verdient sich so einen Teil seines täglichen Brotes.
Die besagte dritte Haut steht unterhalb seines Bauernbetriebs: Hier setzte er vor 13 Jahren mit seinem eigenhändig erschaffenen Rundbau nach dem Vorbild der Kelten aus der Vorrömerzeit (500 v. Chr.) ein be-greifbares Zeichen für Nachhaltigkeit. Sein Ressourcenmanagement orientiert sich an den Kreisläufen der Natur.
Materialkosten: 2000 Franken
Anstatt die Erde weiterhin zu plündern, bedient er sich der Oberflächenschätze. Was geerntet wird, wächst in Form von Hecken und Sträuchern in ursprünglicher Artenvielfalt nach. «Zur dritten Haut gehört auch eine harmonische, kraftvolle Umgebung», umreisst Sommer sein Ökosystem. 3 000 neu gepflanzte Sträucher und Bäume bereichern seine drei Hektaren Land. Die Bilanz kann sich sehen lassen: Für den Bau eines Keltenhauses mit Materialien aus der unmittelbaren Umgebung stehen fünf Arbeiter fünf Monate im Einsatz. Geschätzte Materialkosten: 2000 Franken. Garantierte Lebensdauer: eine Menschengeneration von 30 bis 40 Jahren. Aus ökonomischer Sicht ist der Neo-Kelte anderen Häuslebauern um Längen voraus: «Heute hat man ein Haus von 750'000 Franken ein Leben lang abzuarbeiten», rechnet Sommer vor.
Das Keltenhaus sei «ein Geschenk der Ahnen, für uns und unsere Zukunft» und, gibt er zu bedenken, wir alle seien «planetarische Eingeborene». Während seiner mehrjährigen Reisen durch die USA und Zentralamerika habe er von den Naturvölkern, bei denen er wohnte und arbeitete, viel gelernt. Er zitiert eine Weisheit der Indianer: «Du baust dir dein Haus, in kurzer Zeit vielleicht – dein Haus baut dich zurück, ein Leben lang vielleicht.»
Vor der Errichtung des urtümlichen Rundbaus hatte der Schilf- und Strohdachdecker mit seinen Helfern und Freunden bei der Materialbeschaffung alle Hände voll zu tun. 150 Garben Roggenstroh musste er sicherstellen, 2500 Schaub Schilf, 17 Fichten, 30 Jungfichten, 120 Bund Hasel- und Weidenruten, 2 Kuhfelle zur Herstellung von Riemen, 30 bis 40 Tonnen Steine, 12 Kubikmeter Lehm, 5 Kubikmeter Sand, 10 Kubikmeter Holzschnitzel und Sägemehl sowie rund 100 Kubikmeter bewegte Erde. Der sakral anmutende Rundbau, bedeckt mit Schilf vom nahen Thunersee, löst allseits Ehrfurcht aus. «Selbst Kinder halten im ersten Moment den Atem an und treten ganz leise ein», erzählt Sommer.
Kaum zu glauben, dass für die gesamte Konstruktion weder Nägel noch Schrauben verwendet wurden, kaum zu glauben, dass das Gebäude allein von Menschenhand zu Stande kam. Den Holzfussboden ziert ein eingelegtes Pentagramm, in der Mitte ist die Feuerstelle angeordnet. «So haben alle Gäste die Füsse oder den Kopf gleich nah am Feuer», sagt Sommer. Einzig die unzeitgemässen Glasscheiben in den Luken seien «ein Zugeständnis an den gängigen Baumarkt». Um das Rundhaus pflanzte Sommer einen keltischen Baumkreis aus 23 Sorten in einer bestimmten Anordnung, vorab Eiche, Eibe, Buche und Esche. Die Pflanzen geben seinem geübten Auge Hinweise auf den Verlauf der Naturvorgänge. Ein Labyrinth aus Sträuchern und Kräutern dient als Lehrpfad und ergänzt die Hausapotheke.
1500 Besucher, 5 Abfallsäcke
Das «universale Haus» auf dem Felistutz ist ein Magnet für Manager, Archäologen und Schulklassen. Höhepunkt des Jahres ist das dreitägige Keltenfest am dritten Wochenende im August. Familien wie Fachleute aus dem In- und Ausland pilgern zur Kultstätte. Auf dem Programm stehen Musik, Feuerspektakel, Vorträge, Workshops und vor allem das freundschaftliche Treffen und der Austausch mit neuen Stämmen und Clans. «Es ist das ökologischste und natürlichste Festival der Schweiz», ist der Veranstalter überzeugt. Die 1500 Wochenendbesucher würden ganze fünf Abfallsäcke zurücklassen.
Natur- und Biobauer Sommer will weder Pharisäer sein noch Phantast. Er sieht das Leben als «Experiment» und lässt jeden «sein eigenes Liedlein singen». Den Schuldienst hat er nach nur einem Jahr quittiert: «Der Unterricht in vier Wänden ist inszeniert, weit weg vom wirklichen Leben und bietet keinen Freiraum.» Stattdessen tauchte er in Wesen und Weisheit der Naturvölker ein. Nach der Rückkehr von seinen Reisen spielte ihm das Schicksal den Ball zu: Sein damaliges Haus lag in Schutt und Asche, und damit auch sein 25-teiliges selbst gemachtes Runenorakel mit keltischen Schriftzeichen. Einen einzigen Runenstein fand er in der Ruine. Die eingekerbte Botschaft – «das Selbst» – habe er dankbar aufgenommen und sich von allem befreit gefühlt.
Nach dem Kauf des neuen Bauernbetriebs waren er und seine Freundin offen für weitere Experimente. Weil er seinen drei Töchtern die Volksschule ersparen wollte, unterrichtete er sie selber. Sein Beispiel machte Schule. Es kam zur Gründung des «Vereins selbstunterrichtender Eltern des Schwarzenburger Landes». Auf dem Felistutz lernten bis zu 13 Kinder fürs Leben und nicht für die Schule. Dass sich seine Töchter wie alle Schüler problemlos in der Oberstufe integrierten, spricht für das Experiment.
Blumen klären das Abwasser
Für dicke Luft sorgten sein Kompost-WC und die biologische Kläranlage. Die Gemeinde Guggisberg hatte ihn zum Anschluss an die öffentliche Kanalisation zwingen wollen. «Naturmensch» Sommer nahm sich das Recht heraus, ein Kompost-WC und eine eigene biologische Kläranlage mit dafür bestimmten Blumen und Pflanzen zu erstellen. Und siehe da: Die amtlichen Abwasserproben waren einwandfrei. Die Verwaltung gab sich mit einem einmaligen Solidaritätsbeitrag von 5000 Franken zufrieden und schickte den Anschluss an die Kanalisation bachab.
Mittlerweile gilt Markus Sommer in Europa als Fachmann für archäologische Rekonstruktionen und natürliches Bauen und wird bei Ausgrabungen und Nachbildungen als Experte beigezogen. Sein Rundhaus sei in Wirklichkeit das einzige runde Haus mit Schilfdach auf dem europäischen Festland. Für weitere Projekte gründeten Freunde und Fachleute 1993 den Verein Hagall. Sommers Vision geht weiter: «Ich bin erst am Anfang.» Zur Entwicklung eines wirklich nachhaltigen, zukunftsfähigen Bau- und Wohnmodells habe sich in den letzten 13 Jahren ein starkes Netz fähiger Fachleute und Künstler gebildet. Zeichnungen, Pläne und Baukonzept liegen auf dem Tisch. Gesucht seien mutige Sponsorinnen und Sponsoren, die «aufs richtige Ross setzen», auf die echte Kultur der Nachhaltigkeit eben.
Markus Sommer pfeift weiterhin auf moderne Errungenschaften. Seine eigenen Liedlein dafür umso fröhlicher.