Lockere Vernissagestimmung im Ausstellungspavillon der weltberühmten Martinskirche in Zillis. Doch die rund 50 Besucher sind nicht wegen der kunstvollen gotischen Deckengemälde gekommen gefeiert wird der «Pledari Sutsilvan». Das neue 800-seitige Wörterbuch soll helfen, den 1947 zur Schriftsprache erhobenen sutselvischen Dialekt vor dem Vergessen zu retten.

Nützen wird es kaum. Nur noch rund 800 Leute sprechen Sutselvisch. Es gibt nur eine einzige sutselvische Grundschule im Dorf Donath mit 60 Kindern. Alle übrigen Dörfer im Sprachgebiet vom Domleschg bis ins Schamsertal sind «verdeutscht».

Zwar pflegen auch Berner, Walliser oder Urner ihre eigene Mundart. In den Schulen lernen aber alle Schriftdeutsch ohne dass die Dialekte gelitten hätten. Nicht so die Romanen. Sie beharren auf fünf Sprachen: Sutselvisch, Surselvisch, Surmeirisch, Vallader und Putèr. Für alle brauchts eigene Lehrmittel ein millionenteurer Luxus, der bisher von Bund und Kanton finanziert wurde.

1982 kam zu den fünf Schriftsprachen eine sechste hinzu: das vom Zürcher Sprachwissenschaftler Heinrich Schmid geschaffene Rumantsch Grischun. Es berücksichtigt den Wortschatz aller Idiome und ist für alle Romanen verständlich. Die Lia Rumantscha, die Dachorganisation aller romanischen Vereinigungen, hatte gehofft, das Rumantsch Grischun nach und nach in allen Talschaften als Schriftsprache verbreiten zu können. Doch in der Rumantschia ticken die Uhren anders.

Für die Hüter der Dialekte ist das Rumantsch Grischun Teufelswerk. Das bekommt auch der Kanton zu spüren, der seine Berichte nur noch in Rumantsch Grischun herausgibt selbst die Schulzeugnisse: Nach dem Motto «Lieber Deutsch als die verhasste Einheitssprache» spedierten militante Lehrer die Zeugnisse postwendend nach Chur zurück.

Um niemanden zu verärgern, subventioniert die Lia Rumantscha weiterhin nach dem Giesskannenprinzip sämtliche Idiome. Ein hoffnungsloses Unterfangen: Nicht zuletzt wegen der Sprachzersplitterung stirbt das Rätoromanische allmählich aus. So bezeichneten in der Volkszählung 2000 nur noch rund 35000 Personen das Romanische als Sprache, die sie am besten beherrschen. 1980 bekannten sich noch 50000 zur vierten Landessprache.

Auch die Leidensgeschichte der ersten rätoromanischen Tageszeitung zeigt: Es fehlt an gemeinschaftlichem Denken. Jahrelang verlangten die Romanen eine eigene Tageszeitung, der Bund machte Geld für eine romanische Nachrichtenagentur locker, Kommissionen bastelten an Konzepten. Ohne Resultat.

1997 hob Hanspeter Lebrument, der Verleger der «Südostschweiz», die erste rätoromanische Tageszeitung aus der Taufe: «La Quotidiana». Um es allen recht zu machen, entstand ein siebensprachiges Unikum samt Rumantsch Grischun und Deutsch für die Inserate.

Doch statt der erhofften 10000 haben nur 6000 Romanen die Zeitung abonniert. Im Engadin sind es nur gerade 375. Und die Oberhalbsteiner pflegen mit einem Wochenblättchen weiterhin ihr eigenes Gärtchen und lassen es sich mit jährlich 100000 Franken subventionieren. Der Verleger von «La Quotidiana» hat mittlerweile seine Lektion gelernt: Er schloss die Redaktionsbüros im Engadin und im Oberhalbstein.

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