Das Komitee der Wiedergutmachungsinitiative spricht von einem Meilenstein im Kampf der ehemaligen Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen: Mit dem Entscheid des Ständerats haben sich nun beide Räte für den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrats ausgesprochen. Dieser will 300 Millionen an Betroffene auszahlen, die Initiative forderte 500 Millionen. Im Kern aber sind Volksinitiative und Gegenvorschlag sehr ähnlich, der Bund ist bei seinem Vorschlag lediglich von einer geringeren Anzahl Betroffener ausgegangen. Die Wiedergutmachungsinitiative rechnete mit 20'000 Opfern, der Gegenvorschlag des Bundesrats mit 12'000 bis 15'000. Über die Zahl der tatsächlichen Opfer solcher historischer Zwangsmassnahmen gibt es nur Schätzungen.

Für FDP-Ständerat Joachim Eder, Mitglied des Initiativkomitees, ist klar: «Die Wiedergutmachungsinitiative hat zu einem Umdenken in Gesellschaft und Politik geführt.» Mit dem Entscheid des Ständerats habe man das Unrecht, das die Opfer erleiden mussten, «umfassend» anerkannt. 

«Damit wird ein Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt.»

Joachim Eder, FDP-Ständerat

Guido Fluri, treibende Kraft der Volksinitiative zur Wiedergutmachung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, zeigte sich nach dem Ständeratsentscheid zufrieden: «Der Gegenvorschlag erfüllt alle unsere Hauptforderungen und schafft die Voraussetzung, dass möglichst viele der hochbetagten und gebrechlichen Opfer noch zu Lebzeiten eine Wiedergutmachung erfahren. Den Gegenvorschlag auszuschlagen, wäre gegenüber den Opfern, die heute noch leben und seit Jahrzehnten auf eine Wiedergutmachung warten, verantwortungslos.»

Damit wird klar, dass das Initiativkomitee, dem auch der Beobachter mit Verlagsgeschäftsführer Roland Wahrenberger angehört, die Volksinitiative voraussichtlich zurückziehen wird. Würde an der Initiative festgehalten, wäre eine Volksabstimmung nötig, womit Auszahlungen an Opfer erst in mehreren Jahren erfolgen könnten.

Wird der Entscheid des Ständerats in der Schlussabstimmung bestätigt und ergreift niemand das Referendum, kann das Gesetz laut Justizministerin Simonetta Sommaruga bereits am 1. April 2017 in Kraft treten. Darauf könnten bereits erste Gelder an einstige Verdingkinder, administrativ Versorgte, unter Zwang sterilisierte und andere fremdplatzierte Personen ausbezahlt werden. Vorgesehen sind Beiträge bis zu 25'000 Franken.

Alle Beobachter-Artikel zum Thema finden Sie in unserem Dossier «Administrativ Versorgte». 

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Quelle: Paul Senn/Gottfried-Keller-Stiftung

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