Der Abgang der Zentrumsleiterin war leise, beinahe schon kleinlaut. Ende September deckte der Beobachter im Pflegezentrum Bauma ZH Manipulationen an Pflegedokumentationen und Mängel in der Betreuung der Heimbewohner auf (siehe Artikel zum Thema «Pflegezentrum in Bauma ZH: Profit auf Kosten der Bewohner?») – knapp zwei Wochen später informierte das Pflegezentrum in einem dürren Communiqué per Fax über einen «Wechsel in der Heimleitung». Ganz nach dem Motto «Besser nicht viele Worte darüber verlieren».

Doch das Pflegezentrum, das mit über einem Dutzend weiterer Pflegeheime, Altersresidenzen und Kliniken zur Di-Gallo-Gruppe mit Sitz in Grüningen ZH gehört, muss sich auch unter der neuen Leitung Fragen gefallen lassen. Interne Richtlinien legen nämlich den Schluss nahe, dass das Zentrum Personal ohne genügende Deutschkenntnisse rekrutiert und es zu Löhnen beschäftigt, für die Schweizer kaum einen Finger rühren würden.

Das Papier, das dem Beobachter vorliegt, trägt den Titel «Unterstützungsplan für ausländische Mitarbeiter». Es legt den Bruttolohn für eine fremdsprachige diplomierte Pflegefachperson, die sich in einem 100-Prozent-Pensum um Bewohner mit teilweise komplexen psychiatrischen Diagnosen kümmert, bei 3950 Franken im Monat fest – dazu bietet das Zentrum Unterkunft in einem Doppelzimmer, Verpflegung und Deutschunterricht im Wert von 1250 Franken. Zum Vergleich: Nach der Lohntabelle des Kantons Zürich verdient eine 25-jährige diplomierte Pflegefachperson mit zwei Jahren Berufserfahrung in einem öffentlichen Heim rund 5700 Franken brutto, eine 30-Jährige mit sieben Jahren Berufserfahrung gut 6500 Franken.

«Sie kennen das hiesige Lohngefüge nicht»

Noch prekärer ist die Lage der ausländischen Praktikanten. Gemäss «Unterstützungsplan» erhalten sie nach den Abzügen, die das Pflegezentrum vornimmt, brutto gerade noch 500 Franken Lohn. Dabei reichen die Arbeiten, die Praktikanten für dieses Geld verrichten, häufig weit über unterstützende Tätigkeiten hinaus: Gemäss Insidern verabreichen sie auch Medikamente. Ein Job, den in anderen Heimen üblicherweise nur Pflegefachleute übernehmen, da dazu weder Pflegehilfen noch Pflegeassistenten ausgebildet sind – geschweige denn Praktikanten.

Alfred Weidmann, seit einem halben Jahr Zentrumsleiter in Bauma, widerspricht dieser Darstellung. «Das interne Papier war lediglich eine Besprechungsgrundlage, es kam so nie zur Anwendung», schreibt er in einer über den Di-Gallo-Anwalt übermittelten Stellungnahme. Den Eindruck, dass ein ausländischer Praktikant in Bauma mit wenig Geld auskommen muss, kann aber auch die Lohnabrechnung nicht auslöschen, die Weidmann seinen Statements beifügt: Gemäss Abrechnung werden dem Praktikanten von einem Monatslohn von 2500 Franken gerade mal 650 Franken ausbezahlt. Der grösste Abzug neben Kost und Logis im Pflegezentrum: ein «Ausbildungsanteil» von 1000 Franken im Monat für einen Deutschkurs.

Laut Alfred Weidmann sollen ausländische Mitarbeiter, die das schweizerische Heimwesen nicht kennen und keine Deutschvorkenntnisse haben, als Praktikanten in Bauma einsteigen und während «zwei bis zweieinhalb Kurstagen pro Woche» eine Sprachschule besuchen. Mit Erlangen der Deutsch-Qualifikation A2 sollen sie zur Pflegehilfe mit einem Lohn «deutlich über 4000 Franken» aufsteigen. Nach der Anerkennung ihres Ausbildungsdiploms durch das Schweizerische Rote Kreuz würden sie schliesslich zur Pflegefachperson mit einen Lohn von «deutlich über 5000 Franken». Alfred Weidmann: «Dieses Setting für ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ein überaus grosszügiges Angebot, wie wir es sonst von keinem Heim kennen.»

Keine verbindlichen Lohnvorgaben

Weniger grosszügig erscheint das Modell des Pflegezentrums Bauma dagegen Olaf Irrgang vom Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). «Ich habe meine Zweifel, ob inländische Arbeitnehmer einen solchen Arbeitsvertrag unterschreiben würden. Nach unserem Rechtsempfinden sind solche Löhne unangemessen», sagt er. Es liege auf der Hand, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Freizügigkeitsabkommens mit der EU verletzt werde.

Das Problem dabei: Es gibt für Angestellte im Gesundheitsbereich keine verbindlichen Lohnvorgaben. Die Lohntabelle des Kantons Zürich dient privatwirtschaftlich geführten Institutionen lediglich als Richtlinie. Gemäss Olaf Irrgang halten sich zwar die meisten privaten Pflegeheime daran – allerdings beobachtet er schon länger, dass es zu Unterschreitungen kommt. Meistens seien ausländische Arbeitnehmer davon betroffen. «Sie kennen das hiesige Lohngefüge nicht und sind froh um einen Job, der besser entlöhnt ist als in ihrer Heimat», sagt er.

Kritik an Heimleitung wird nicht geduldet

Von tiefen Löhnen berichten auch zahlreiche Angestellte anderer Di-Gallo-Heime. Sie zeichnen ein wenig schmeichelhaftes Bild: Personalengpässe und schlechtbezahltes Personal scheinen an verschiedenen Di-Gallo-Standorten an der Tagesordnung zu sein. Zahlreiche Pflegefachleute geben an, ihren Job gekündigt zu haben, weil sie den ständigen Druck von oben nicht mehr ausgehalten hätten. Übereinstimmend heisst es, Kritik an Heimleitungen werde an den meisten Orten nicht geduldet – wer trotzdem etwas zu monieren wage, werde mit Kündigungsandrohungen bedacht.

Das alles will nicht recht zur Firmenphilosophie des 1972 gegründeten Familienunternehmens passen, das seit Ende der neunziger Jahre im grossen Stil Pflegezentren und Residenzen kauft oder sich Leistungsaufträge für den Betrieb von gemeindeeigenen Heimen sichert. «Im Interesse aller Beteiligten pflegen wir in allen Häusern und Bereichen eine herzliche, lebensfreundliche und offene Atmosphäre», heisst es darin, und später: «Motivierte MitarbeiterInnen sind der entscheidende Faktor zum gemeinsamen Erfolg.» Verwaltungsratspräsident Michael di Gallo stand für Auskünfte darüber, wie motiviert seine Mitarbeiter tatsächlich sind, nicht zur Verfügung – er liess die Anfrage des Beobachters unbeantwortet.

Der Expansionskurs der Di-Gallo-Gruppe hält indes an. Erst Ende März hat die Bürgerversammlung in Mörschwil SG beschlossen, die Betriebsführung des noch zu bauenden Wohn- und Pflegeheims Di Gallo zu übergeben. Der Widerstand war allerdings gross – nicht zuletzt wegen des Beobachter-Artikels: Mehrere hundert Mörschwiler hatten eine Volksmotion gegen das Engagement Di Gallos unterschrieben.