Sie stehen am Bahnhof und versuchen unaufhörlich, immer neue Passanten in ein Gespräch zu verwickeln. Aber so sympathisch das Lächeln, so locker der Spruch: Fast alle Angesprochenen suchen das Weite.

Dialogerin ist ein Knochenjob. Doch ausgerechnet die Gewerkschaft Unia propagiert ihn als Traumberuf: «Hast du Lust auf einen kommunikativen und sinnvollen Job mit viel Kontakt? Ein super Lohn, flexible Arbeitszeiten und Aufstiegschancen erwarten dich», heisst es in der Stellenausschreibung.

Die blumigen Worte sind Ausdruck der Verzweiflung. Denn die Gewerkschaften bangen um ihre Basis. Sie brauchen dringend neue Mitglieder. Zwar schaffen sie es immer wieder, mit Protestaktionen für Aufsehen zu sorgen, zuletzt am Flughafen Zürich. Ihr Rückhalt in der Arbeitnehmerschaft schwindet jedoch von Jahr zu Jahr.

2005 zählten die Arbeitnehmerorganisationen in der Schweiz noch rund 770'000 Mitglieder. Bis 2020 ging die Zahl gemäss dem Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) auf 685'000 zurück. Bitter: Die Zahl der Beschäftigten hat im gleichen Zeitraum stark zugenommen, von 4,2 auf 5,1 Millionen.

Sie beissen auf Granit

Die Krise der Gewerkschaften erhält wegen der Teuerung neue Brisanz. Im Juni hatte die Schweiz die höchste Inflationsrate seit 1993, die Konsumentenpreise waren 3,4 Prozent höher als im gleichen Monat des Vorjahres. Die Menschen können sich immer weniger leisten mit ihrem Gehalt. Insbesondere Geringverdiener Working Poor «Wenn ich mehr Lohn verlange, werde ich ersetzt» bekommen das zu spüren. Sie bräuchten dringend eine Lohnerhöhung.