Mirjam Weber, 45, Sattlerin

Sie bezieht Kirchenstühle, Sofas und Barhocker neu oder bessert Lederjacken aus: Mirjam Weber hat mit ihrer Sattlerei im Basler Arbeiterquartier Klybeck eine echte Nische entdeckt. Die Sattlerlehre machte Weber, die zuvor auch schon auf dem Bau gearbeitet hatte, mit dem Ziel, sich selbständig zu machen. Vor vier Jahren legte sie mit einer eigenen Werkstatt und 12'000 Franken Startkapital los. Der Anfang war schwer, 16-Stunden-Tage waren keine Seltenheit. Heute kann sie davon leben, und ab kommendem Jahr beschäftigt sie sogar eine Auszubildende.

Beim ersten Blick in die Werkstatt von Mirjam Weber im Basler Arbeiterquartier Klybeck wundert man sich, wie viel Material in einer so kleinen Werkstatt Platz hat. An der Wand stapeln sich Dutzende von neugepolsterten, lederbezogenen Kirchenstühlen. In der Mitte des Raums wartet ein antiker Sessel auf einen neuen Bezug, und auf dem Arbeitstisch schneidet Weber Lederteile zu.

Geschickte Planung ist die halbe Miete. Seit 2005 ist die 45-Jährige ihre eigene Chefin. Und der Laden läuft. «Mit der Sattlerei habe ich eine echte Nische entdeckt. Fast jeder hat einmal ein Lederteil zu reparieren, aber heutzutage gibt es fast keine Sattlereien mehr.» Derzeit arbeitet sie an zwei Grossaufträgen. Der Bezug von 400 Kirchenstühlen bedeutet rund 800 bis 1000 Stunden Arbeit. Gleichzeitig produziert sie im Auftrag eines grossen Schienenfahrzeugherstellers lederne Lüftungsbälge für Antriebsmotoren.

Auch an Kleinaufträgen mangelt es nicht. Soeben kommt ein junger Mann vom benachbarten Studiokino herein. Er möchte seine Barhocker mit Kuhfell polstern lassen. Weber findet ein passendes Fell und bietet an, die Arbeit kostenlos zu erledigen, wenn das Kino als Gegenleistung Werbung für sie macht. Kaum ist der junge Mann draussen, steht ein Jugendlicher in der Tür und fragt, ob sich das Loch in seiner Lederjacke stopfen lasse. Weber verspricht, die Jacke in den kommenden Tagen zu flicken – gratis. «Für das kleine Loch kann ich dem ja kein Geld abnehmen. Dafür kommen solche Leute wieder, wenn sie mal Geld haben.»

Doch für Weber sind solche Gesten mehr als «verstecktes Marketing». Im Problemquartier Klybeck würden viele Menschen mit wenig Geld leben. «Es kommt immer wieder vor, dass ich alten Leuten für einen symbolischen Betrag ihre Einkaufswägeli flicke, weil sie sich kein neues leisten können. Und das in der reichen Schweiz.»

Mirjam Weber weiss, was es heisst, sich mit wenig Geld durchzuschlagen. Dass sie erst spät Unternehmerin wurde, hat auch mit ihrer turbulenten Lebensgeschichte zu tun. Nach dem Gymnasium ging sie nicht zur Uni, sondern machte sich auf einem Bauernhof in Italien nützlich. Nach ihrer Rückkehr arbeitete sie als Gipserin auf dem Bau, reiste herum und jobbte. Mit 28 besuchte sie die Kunstgewerbeschule, danach zog es sie für anderthalb Jahre nach Kolumbien. Wieder zurück, landete sie in einer Brockenstube und schliesslich in einer Sattlerei.

«Die Sattlerlehre begann ich ganz bewusst mit dem Ziel, mich selbständig zu machen.» Das kantonale Arbeitsamt finanzierte ihr den Kurs «Wege in die Selbständigkeit». Gerüstet mit eigenem Werkzeug, zwei Maschinen und 12'000 Franken Startdarlehen, legte sie vor vier Jahren los. Der Anfang war steinig. «Ich hätte mindestens 40'000 Franken gebraucht. Ich musste für jeden Auftrag jede Niete und jede Gürtelschnalle einzeln kaufen, weil ich kein Geld für den Aufbau von Lagerbeständen hatte.»

Der neue Betrieb liess sich am Anfang nur mittels Nebenjobs über die Runden bringen. «Morgens arbeitete ich in meiner Sattlerei. Mittags half ich im benachbarten Restaurant in der Küche aus. Dann ging es wieder in die Sattlerei und nach Feierabend nochmals ins Restaurant. 16-Stunden-Tage waren die Regel.» Doch schon nach einem Jahr liefen die Geschäfte besser, «auch weil ich so gut vernetzt bin».

Der Auftrag des Schienenfahrzeugherstellers brachte dann den unternehmerischen Durchbruch. Mit ihrem Prototyp eines Motorengebläses setzte sich Weber gegen rund ein Dutzend Konkurrenzunternehmen durch. Mittlerweile sind Grossaufträge an der Tagesordnung. Saalbestuhlungen, Tramsitze – erstaunlich, wer alles die Dienste einer Kleinsattlerei beansprucht. Daneben restauriert Mirjam Weber Ledersessel und Sofas und produziert Massanfertigungen wie Handtaschen und Motorradsättel. «Nur einen richtigen Pferdesattel hab ich noch nie gemacht.»

Auch finanziell sind bessere Zeiten angebrochen. Heute verdient Mirjam Weber einen Handwerkerlohn, kommt in der Regel mit 40 Arbeitsstunden pro Woche aus und kann sich auch mal Ferien leisten. Ab dem kommenden Jahr hat sie sogar eine Auszubildende. Leuten, die sich mit ähnlichen Betrieben selbständig machen wollen, empfiehlt Mirjam Weber, die anfallenden Vorinvestitionen nicht zu unterschätzen. «Für die Kirchenstühle musste ich für Zehntausende von Franken Material kaufen. Das geht nur, wenn man entweder über Kapital verfügt oder An- und Teilzahlungen vereinbart.»

Quelle: Elisabeth Real

Alexandra Bisaz, 38, Süsswarenladen-Besitzerin

Für Zuckerwerk hatte Alexandra Bisaz schon immer eine Schwäche: Die Wädenswilerin ist gelernte Konditorin. Gearbeitet hat sie aber nur in anderen Branchen: als Lastwagenfahrerin, in Verkauf und Marketing. Ihre erste Geschäftsidee, ein Glaceshop auf den Kanarischen Inseln, floppte. Besser lief es mit Fruchtgummis: Aus dem ersten Lolipop-Shop in Zürich ist innert elf Jahren ein Unternehmen mit 30 Filialen geworden. Bisaz’ Traum? «Eine eigene Fruchtgummimaschine. Aber dazu brauchts jede Menge Geld.»

Ein anderes Gewerbe betreibt die 38-jährige Alexandra Bisaz aus Wädenswil ZH. Mit einer Freundin gründete sie vor elf Jahren eine Süsswaren-Ladenkette. Inzwischen führt sie das Unternehmen allein, da sich ihre Partnerin ganz für die Familie entschieden hat.

Auch Bisaz’ Karriere verlief nicht gradlinig. Sie hatte sich einst zur Zuckerbäckerin ausbilden lassen, arbeitete aber nie im Beruf. «Ich liess mich jahrelang treiben und tat, worauf ich Lust hatte.» Sie war Lastwagenchauffeurin, arbeitete im Verkauf und im Marketing. «Aber mir war schon immer klar, dass ich irgendwann meine eigene Chefin sein werde.»

Der erste Schritt in die Selbständigkeit – die Gründung eines Glaceshops auf den Kanarischen Inseln – geriet allerdings zum Flop. Und auch die Idee, einen Bonbonladen zu eröffnen, setzten die beiden Frauen zuerst in den Sand – oder besser: in den Schnee. «Als wir 1998 den Shop in Davos gründeten, dachten wir, so etwas wäre ideal in einem Ferienort. Aber wir hatten nicht berücksichtigt, dass die Touristen tagsüber auf den Skipisten und die Geschäfte abends geschlossen sind.» Vier Monate später machte der Laden dicht.

Doch der Rückschlag war kein Grund, die Flinte ins Korn zu werfen. Im Zürcher Niederdorf stiessen die Jungunternehmerinnen auf ein leerstehendes Ladenlokal. Mit Secondhandmöbeln und Do-it-yourself-Material bauten sie die Räumlichkeiten eigenhändig um und eröffneten im gleichen Jahr den Lolipop 1st Candy Shop. Der neue Laden lief gut. Aber er warf zu wenig Geld für den Lebensunterhalt ab; Kunden geben für Süssigkeiten schliesslich nur kleine Beträge aus. Also gründeten Bisaz und ihre Partnerin weitere Filialen in Bern und in Luzern. «Wir schufteten von 6 bis 23 Uhr, und am Sonntag besorgten wir die Buchhaltung.»

Noch immer arbeitet Alexandra Bisaz 50 bis 60 Stunden pro Woche. Zu wissen, dass man etwas Eigenes aufbaut, was bei den Kunden ankommt, gab ihr die Kraft, durchzuhalten. «Am Anfang hätte jeder normale Mensch aufgegeben. Man sagt ja, dass eine Firma nach drei Jahren rentieren sollte. Bei uns dauerte es fünf Jahre, bis sich das Ganze rechnete.»

Inzwischen hat sich die Lolipop-Kette zu einem erfolgreichen Unternehmen gemausert. In 30 Filialen, zwei davon in Deutschland, werden über 900 verschiedene Produkte verkauft. Und das Sortiment wächst weiter. Alexandra Bisaz ist ständig auf der Suche nach neuen Süssigkeiten aus aller Welt und entwickelt auch eigene Produkte. «Mein Traum wäre eine eigene Fruchtgummimaschine. Aber dazu brauchts jede Menge Geld.»

Reich ist Bisaz nicht geworden; sie kommt trotz den 30 Läden knapp auf ein KV-Gehalt. Doch Geld sei ohnehin nicht ihr vordringliches Motiv. Jungunternehmer, so Bisaz, müssten sich darüber im Klaren sein, dass Selbständigkeit nicht automatisch ein angenehmes Leben bedeute. «Viele Selbständige verwechseln Umsatz mit Gewinn und wundern sich, wenn Rechnungen und Steuerforderungen ins Haus flattern.»