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Wer es gern auf die sanfte Tour hat, sollte besser nicht ins Schächental. Im Quertal auf der Urner Seite des Klausenpasses sind die Hänge stotzig, die Berge schroff. Eine wildromantische Landschaft bei Sonnenschein. Aber abweisend und kalt, wenn die Wolken tief hängen und der Wind durchs Tal bläst. Das war vor zwölf Jahren ganz nach dem Geschmack von Regisseur Michael Steiner: «Die Natur hier hat etwas Feindliches.»

So erklärte er, weshalb er sich diese Kulisse für seinen Film «Sennentuntschi» ausgesucht hatte – als besten von mehr als 80 geprüften Orten. Der Schauplatz musste zum Film passen, und dieser sollte nach den Plänen seines Machers «radikal» werden. Entstanden ist gemäss «NZZ» schliesslich «ein derber Alpenwestern und Mysterythriller», mit «Bildern von den Alpen, die von nie gesehener Wucht sind».

Wuchtig: Treffender liesse sich die Szenerie auf dem Mettenen Butzli, dem Drehort des «Sennentuntschi», nicht charakterisieren. Eine kleine Alp auf einem Bödeli oberhalb von Unterschächen, Grasland, Steinbrocken, Geröll. Dahinter die kahlen Wände des Bärglichopfs und der Schächentaler Windgällen. Ein Amphitheater aus Fels, auf dessen Bühne Ungehöriges geschah.

Eine düstere Sage

Das Motiv des Sennentuntschi geht zurück auf eine Sage, die im deutschsprachigen Alpenraum in unterschiedlichen Variationen bekannt ist. Im Kern handelt sie von Älplern, die sich mangels Frauen weibliche Figuren aus Stoff und Stroh basteln, die ihnen gute Dienste leisten – vor allem nachts im Bett.

Im Film von Michael Steiner erwacht die Puppe zum Ende der Alpzeit zum Leben und übt auf bestialische Weise Vergeltung an den drei Sennen, die sie im Absinth-Suff erschaffen und missbraucht haben. Die Rächerin tötet die Männer und zieht ihnen anschliessend die Haut vom Leib. In der Hütte bleiben drei Puppen zurück, vom Tuntschi gefertigt aus den Häuten der Älpler.

Die Dreharbeiten auf fast 2000 Meter Höhe begannen im September 2008 und dauerten zehn Wochen. Die Darsteller und Techniker spürten fast täglich das Feindliche, das dem Regisseur an diesem Ort so gefallen hatte. Das grösste Problem war der Steinschlag. Immer wieder lösten sich Brocken aus dem Geröllfeld unterhalb der Windgällen und stoppten die Aufnahmen. Zudem war es in jenem Herbst ungewöhnlich frisch. «Der Schauspieler Andrea Zogg, der einen Sennen spielte, musste Schnee in den Mund nehmen, damit sein Atem kühler wurde und in der kalten Luft nicht sichtbar war. Sonst hätte man ja gesehen, dass er gar nicht tot ist.»

33 Wanderungen an Drehorten in der Schweiz

Die Episode steht im Buch «Dreh-Ort» von Antoinette Schwab. Die Berner Journalistin hat darin zwei ihrer Leidenschaften vereint: Wandern – und das durch Gegenden, in denen Schweizer Spielfilme aus verschiedenen Epochen entstanden sind. Die 33 Geschichten über einheimisches cineastisches Schaffen sind gespickt mit Erinnerungen von Beteiligten und Originalfotos von den Dreharbeiten.

Im Zentrum steht die Frage: Was ist heute noch sichtbar, was ist erlebbar von dem, was man aus den Filmen kennt? Wie die Hütte im Schächental, in der das Sennentuntschi wütete: Drehort war das hinterste Gebäude der Alpsiedlung auf dem Mettenen Butzli. Dorthin gelangt man zu Fuss vom Klausenpass her in zwei Stunden.

Respekt vor dem Ort

Auf dem Mettenen Butzli schlagen Kulissenwanderer gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. Denn für den Film entdeckt wurde die Alp bereits in den 1970er-Jahren durch Fredi M. Murer. Der Filmemacher, selber im Kanton Uri aufgewachsen, drehte hier Sequenzen für seine ethnografische Dokumentation «Wir Bergler in den Bergen sind eigentlich nicht schuld, dass wir da sind».

Zehn Jahre später kehrte Murer noch einmal zum Filmen ins Schächental zurück – anfänglich nicht aus Überzeugung. «Ich dachte zuerst, ich könne Uri so einen Stoff nicht antun», sagte er in einem Interview über die Entstehung von «Höhenfeuer». Die Zurückhaltung erklärt sich mit dem Thema der Tragödie: Es geht um Inzest, um die verbotene Liebe zwischen Bruder und Schwester. Nicht nur im streng katholischen Kanton Uri eine anstössige Materie.

«Höhenfeuer» ist die Geschichte einer isoliert lebenden Bergbauernfamilie. Als der hörbehinderte Sohn im Übermut die Mähmaschine kaputtmacht, wird er vom jähzornigen Vater zur Strafe auf eine Alp verbannt. Dort richtet er sich aus Steinen sein eigenes Reich ein. Als ihn seine ältere Schwester besucht, schlafen die beiden unter freiem Himmel das erste Mal miteinander.

Die Handlungen auf der Alp wurden auf dem Mettenen Butzli gedreht – was jedoch aufgrund der Kulisse nicht zu erkennen ist. Während Michael Steiner im «Sennentuntschi» nicht genug zeigen konnte von der Umgebung, verzichtete Fredi M. Murer auf jegliche Postkartenansichten. Er wies seinen Kameramann an, die Bergspitzen konsequent abzuschneiden, weil er nicht wollte, dass sich die Zuschauer «über die wiedererkannten Gipfel unterhalten». So wurde die Landschaft zum archaischen, austauschbaren Lebensraum einer Bauernfamilie, wie man ihn auch in Japan oder Island finden könnte.

Einzig beim Schlüsselmoment, beim Akt, ist im Hintergrund das Schärhorn auf der andern Talseite auszumachen. Gewollt: Der markante Berg besteht aus zwei Gipfeln, scheinbar ineinander verschlungen – wie Liebende.

Erfolg in den Kinos

Geschadet hat der deftige Inhalt keinem der Filme. Die Macher von «Sennentuntschi» gerieten nach der Filmerei zwar in arge finanzielle Schieflage; das Projekt konnte nur dank einem Investment des Medienunternehmers und heutigen FC-Basel-Präsidenten Bernhard Burgener fertiggestellt werden. Als der Film im Oktober 2010 dann aber in die Kinos kam, strömte das Publikum in Scharen herbei. «Höhenfeuer» wurde mehrfach zum besten Schweizer Film aller Zeiten gekürt. Eine karge Bergwelt kann ein guter Nährboden sein.

Wanderung: «Höhenfeuer» und «Sennentuntschi»
Quelle: Beobachter/AK

 1   «Höhenfeuer» und   2  «Sennentuntschi»
 

  • Wanderroute

Start an der Klausenstrasse unterhalb der Passhöhe (Postautostation Untere Balm). Auf dem Schächentaler Höhenweg via Heidmanegg Richtung Alp Mettenen. Kurz davor führt ein steiler Weg rechts hinauf zum Mettenen Butzli (1967 m).

 1   Rechter Hand liegen die grossen Felsbrocken, wo der Bub in «Höhenfeuer» die Steinwelt errichtete. Vis-à-vis verbrachte er die Nacht mit der Schwester.

 2   In der hintersten, leicht erhöhten Alphütte ereignete sich im «Sennentuntschi» Schauriges.

Via Alp Mettenen hinunter nach Urigen, weiter bis Unterschächen, wieder an der Klausenstrasse.
 

  • Wanderzeit 

4 Stunden. (Strecke: 13,5 km)

Alpbeizli auf der Heidmanegg, Restaurants in Urigen und Unterschächen.

Diese Gesteinsbrocken auf der Alp Mettenen spielen in «Höhenfeuer» eine wichtige Rolle.

Diese Gesteinsbrocken auf der Alp Mettenen spielen in «Höhenfeuer» eine wichtige Rolle.

Quelle: Remo Inderbitzin
Wanderung: Les petites Fugues, Baulmes VD
Quelle: Beobachter/AK

 3   «Les petites fugues»: Auf den Berg

Knecht Pipe, knorriger Einzelgänger, entdeckt auf dem Moped die Freiheit. Die verwegenste seiner «Kleinen Fluchten» – so der deutsche Titel von «Les petites fugues» – führt ihn auf den Suchet, einen Gipfel im Waadtländer Jura. Von dort ist die Aussicht grandios – nur das Matterhorn, seinen Sehnsuchtsberg, sieht Pipe nicht.

Der charmant-poetische Film von Yves Yersin aus dem Jahr 1979 wurde zum Grosserfolg in der Schweiz. Die Wanderung führt entlang Pipes Mofatouren.
 

  • Wanderroute

Start an der Bahnstation Trois Villes bei Baulmes VD. Von dort stetig bergauf Richtung Grange Neuve und weiter auf den Suchet (1588 m). Vom Gipfel über den Kretenweg abwärts ins Dorf Baulmes.
 

  • Wanderzeit 

5 Stunden. (Strecke: 14 km)
 

Wanderung: «Uli der Pächter»
Quelle: Beobachter/AK

 4   «Uli der Pächter»: Durchs Hügelland

Schlechtes Erntejahr, Hagelschlag, Krankheit: Uli, der es vom Knecht zum Pächter gebracht hat, muss hart kämpfen, um seinen Hof zu halten. Die «Glungge» in Brechershäusern, erbaut 1681, gilt heute als Kulturgut von nationaler Bedeutung und würde an keinen Ort besser passen als in die Hügel des Emmentals.

Heimatliche Gefühle beim Marsch durch die Drehorte des Heimatfilm-Klassikers «Uli der Pächter» von Franz Schnyder von 1955.
 

  • Wanderroute

Start in Riedtwil BE, durch den Mutzgraben bis Rüedisbach. Von dort in den Weiler Brechershäusern und nach einer Spitzkehre über den Oberbühlchnubel nach Ferrenberg. Zurück nach Rüedisbach, dann Wynigen.
 

  • Wanderzeit 

4 Stunden. (Strecke: 15 km)
 

Wanderung: «Akte Grüninger» (Diepoldsau–Widnau)
Quelle: Beobachter/AK

 5   «Akte Grüninger»: Über die Grenze

Paul Grüninger ist St. Galler Polizeikommandant, als die Schweiz 1938 die Grenzen für Juden schliesst. Grüninger leistet zivilen Ungehorsam: Durch Vordatierung der Visa ermöglicht er Flüchtlingen die Einreise und rettet so 3600 Menschen vor den Nazis.

2014 erschien «Akte Grüninger» von Alain Gsponer, der jene Ereignisse nachzeichnet – bis heute erlebbar an Schauplätzen an der Grenze zu Österreich, die der Alte Rhein bildet.
 

  • Wanderroute

Start in Diepoldsau SG. Via Rietbrücke den Rundweg dem Alten Rhein entlang bis zum alten Wachhäuschen beim Fluchtweg Rohr. Dort durch das Eisentor nach Österreich und via Wiesenrainbrücke zurück in die Schweiz, Zielort ist Widnau. 
 

  • Wanderzeit

3,5 Stunden. (Strecke: 14 km)
 

Buchtipps
  • Lust auf Wandern (Band 1)

Idyllische Wanderziele in der Schweiz – für alle Jahreszeiten. Mehr Infos
 

  • Lust auf Wandern (Band 2)

Der zweite Band des Bestsellers: neue Routen zu den schönsten Zielen in den Bergen und im Flachland. Mehr Infos
 

Lust auf Wandern Band 1 und 2 sind auch als Bundle erhältlich.

Quelle: Beobachter Edition
  • «Dreh-Ort»

von Antoinette Schwab; 33 Wanderungen durch Schweizer Filmkulissen mit Geschichten, Bildern und Karten; Faro-Verlag, 2015
 

  • Schönste Schweiz!

Unterwegs zu den Schweizer UNESCO-Welterbestätten. Mehr Infos

Lesen Sie, was wir beobachten.
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Dani Benz, Ressortleiter
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