Sie sehen ziemlich chic aus, mit ihrer charakterstarken Höckernase, den langen hängenden Ohren und der schwarzen Brille. Wie sie da auf den Weiden stehen, als hätten sie nichts anderes zu tun, als gut auszusehen. Fast könnte man meinen, sie seien erfunden worden, um dem Villnösser Tal, das sowieso schon als eines der schönsten und ursprünglichsten Täler Südtirols gilt, in Sachen Attraktivität noch das berühmte i-Tüpfelchen aufzusetzen.

Unglaublich, dass man diese wunderschöne Schafrasse beinahe hätte aussterben lassen. Und fast ebenso unglaublich, dass das Villnösser Brillenschaf im Lauf von nur einem Jahrzehnt zum Markenzeichen ebendieses Tals geworden ist.

Der Bestand ist wieder gestiegen

Der Mann, der das möglich gemacht hat, heisst Oskar Messner. Der Koch des Restaurants Pitzock in Villnöss wunderte sich lange, warum das Lammfleisch, das er für seine Gäste zubereitete, fast ausschliesslich aus Neuseeland stammte. «Wir haben ja eigene Schafe», sagt er. «Und nicht irgendwelche: Das Villnösser Brillenschaf ist die älteste Schafrasse Südtirols, und sein Fleisch schmeckt wunderbar fein und würzig.» 

Oskar Messner fand, dass sich da etwas ändern müsse, und gründete mit Kurt Niederstätter, dem Besitzer des Dorfladens, kurzerhand das Unternehmen Furchetta. Das war vor neun Jahren.  Sie hatten sich einiges vorgenommen: Gemeinsam wollten sie das Villnösser Brillenschaf retten, hiesiges Lammfleisch zurück auf den Teller bringen und damit auch die Entwicklung der Region voranbringen. «Heute werden die Schafe allein in unserem Tal wieder von 24 Bauern gezüchtet», sagt der Koch in seinem Restaurant. «Das sind doppelt so viele wie zuvor. Der Bestand ist immerhin wieder auf rund 700 Tiere gestiegen.» 

Ein feiner Duft von gebratenem Lamm liegt in der Luft. Oskar Messner rückt seine Schiebermütze zurecht und lacht, als er von dem ehrgeizigen Businessplan erzählt, den er mit seinem Freund und Mitstreiter ausgebrütet hatte: Sie garantierten den Bauern die Abnahme der Schafe zu einem fixen Preis. Im Gegenzug sollten diese die Tiere artgerecht halten.

Jährlich 1000 Lämmer wollten sie verarbeiten. «Ganz ehrlich, wenn ich damals gewusst hätte, was auf mich zukommt – ich weiss nicht, ob ich den Mut gehabt hätte.»

Oskar Messner

Hat das Villnösser Brillenschaf nicht nur für die Pfanne gerettet - Oskar Messner.

Quelle: Stefan Walter
Schwarze Schafe willkommen 

Einer, der seine Leidenschaft für das urige Schaf von Anfang an geteilt hat, ist Günther Pernthaler. Der Mann, der mit seinem Aussehen und Auftreten jedem Heimatfilm gut anstünde, ist nicht nur Schafzüchter, sondern auch Zuchtwart und Tierkennzeichner. Kommt ein Kalb zur Welt, wird er gerufen, um es mit einer Marke im Ohr zu registrieren. Sein altes Nokia klingelt alle paar Minuten. In charmantem, aber nahezu unverständlichem Dialekt macht er Termine aus.

Tierkennzeichner sei ein Beruf, den es nur in Südtirol gebe, meint Pernthaler schelmisch lächelnd. Aber für ihn passe es, er könne sich nichts Schöneres vorstellen, als mit Tieren zu arbeiten. Die Liebe scheint auf Gegenseitigkeit zu beruhen: Wenn er auf seine Schafe zugeht, blicken sie ihn wie einen alten Freund an und kommen erwartungsvoll näher, obwohl sie eigentlich ziemlich scheu sind. 

Schon Pernthalers Grossvater hat Villnösser Brillenschafe gehalten. Im Zweiten Weltkrieg musste sie sein Vater jedoch verstecken. Die Rasse war den Behörden ein Dorn im Auge. In Südtirol durfte nur noch das Tiroler Bergschaf gezüchtet werden. Zum Glück hielt der Aufseher selbst auch ein paar Villnösser Brillenschafe und schaute nicht allzu genau hin.

Heute ist Pernthaler mit seinem Sohn Matthias unterwegs. Der Bub trägt trotz Morgenkälte kurze Hosen. Die beiden waren bereits auf der Jagd, jetzt schauen sie bei den Schafen vorbei. Ein Mutterschaf wird bald lammen. Pernthaler hält 64 Villnösser Brillenschafe, die Hälfte davon sind schwarze. Es gab einmal eine Zeit, da waren diese Tiere besonders gefragt, weil man aus ihrer Wolle schwarzen Loden herstellen konnte. Heute ist diese Spielart noch seltener als das helle Villnösser Brillenschaf, nur noch 52 Tiere gibt es insgesamt.

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Plötzlich ist Wolle wieder gefragt

Ein paar Häuser weiter im Dorf lebt und arbeitet Valentin Niederwolfsgruber. Er verarbeitet die Wolle der Villnösser Schafe und nennt sich selbst einen «Spinner», der jahrzehntelang das Diktat der Textilbranche ignoriert und seinen Faden ruhig weitergesponnen hat. Heute wird seiner Arbeit wieder Respekt entgegengebracht: Für eine grosse Outdoormarke darf Niederwolfsgruber ein Steppfutter produzieren. «Wolle war das Goretex des Mittelalters», erklärt er. «Heute schätzt man ihre temperaturausgleichenden Eigenschaften wieder.»

Es ist noch nicht lange her, da fanden Schafzüchter keine Abnehmer für ihre Wolle, ja, sie mussten für deren Vernichtung gar bezahlen. «Das war traurig und absurd», sagt Niederwolfsgruber. «Heute können wir den Bauern immerhin wieder einen Euro pro Kilo zahlen.» 

Das Glanzstück seines Betriebs ist eine über 200 Jahre alte Kardiermaschine. Auf ihr wird die Wolle zu einem feinen Vlies verarbeitet. Dieses dient als Füllstoff für Bettdecken und Kissen, man kann daraus aber auch einen Faden spinnen: Dazu legt Niederwolfsgruber das Vlies in eine andere altertümliche Maschine, die es in feine Streifen teilt. Dieses Vorgarn wird dann zu einem Faden versponnen. Jede Maschine muss von Hand eingestellt und bedient werden. Dazu kommt die Überwachung. Fast könnte man meinen, die Zeit wäre in der zugigen Werkstatt stehengeblieben.

Wollverarbeiter Valentin Niederwolfsgruber

«Wolle war das Goretex des Mittelalters.» Valentin Niederwolfsgruber, Wollverarbeiter.

Quelle: Stefan Walter
Häkeldamen gesucht!

Im kleinen Laden im Erdgeschoss findet man alles, was man für Wohlbefinden und Entspannung braucht: kuschelige Kissen aus Schafwolle, nostalgische Hausschuhe oder Patschen, wie man hier sagt, und gehäkelte Mützen, für deren zeitgemässes Design das lokale junge Label Morgenrot sorgt. Gestrickt werden sie von Frauen aus dem Dorf, die sich auf Oskar Messners Inserat im Lokalblatt gemeldet haben.

Heute profitiert das ganze Tal von Oskar Messners Initiative. Die Lammfleischspezialitäten sind mit einem Nachhaltigkeitslabel zertifiziert, und das Lammragout im Glas hat es sogar bis in die Regale von Coop geschafft. 

Dank Messner bleibt uralte Handwerkstradition lebendig. Und viele Bauern haben wegen der Schafe wieder eine Perspektive: Da Schafe nicht gemolken werden müssen, ist deren Haltung mit einem Nebenerwerb kompatibel. Und auf einen solchen sind heute fast alle Bauern angewiesen.

Längst sind die Villnösser Brillenschafe zum Symbol für die nachhaltige Entwicklung des Tals geworden. Sie symbolisieren die Vergangenheit – und stehen gleichzeitig für die Zukunft. Für die 2600 Bewohner gehören sie ebenso zu ihrer Heimat wie die satten Bergwiesen, die unberührten Landschaften, die alten Häuser und die markanten Zacken der Geislergruppe, an deren Flanken der weltberühmte Extrembergsteiger Reinhold Messner einst klettern gelernt hat.

Plötzlich mehr Kulturbewusstsein 

Die Bergler sind ihren eigenen Weg gegangen: Statt auf einen Verbund mit einem angrenzenden grossen Skiort setzen sie lieber auf nachhaltigen Tourismus. Und das kommt an: Grosse Zeitschriften wie der «Stern» berichteten über das abgelegene Tal, und das Ökoferienlabel Alpine Pearls hat die Bemühungen mit einer Auszeichnung honoriert. Die Zahl der Gäste steigt. 

«Man muss schon ein bisschen schräg sein, um ein solches Projekt durchzuziehen», sagt Oskar Messner. Heute weiss er aber: Das Ganze hat ihm auch persönlich etwas gebracht. Nicht nur weil er jetzt wieder einen Bezug zu dem Fleisch hat, das er in seinem Feinschmeckerlokal zubereitet. «Es gibt für mich nichts Schöneres», sagt er, «als die zufriedenen Gesichter der Frauen zu sehen, wenn sie mir die Mützen bringen, die sie aus der Wolle unserer Schafe gehäkelt haben. Es macht sie glücklich, dass wir wieder Sorge zu unserer Kultur tragen und wissen, wer wir sind.»

Auf den Spuren der Bergbauern – die Rundwanderung führt durch gepflegte Kulturlandschaft, vorbei an schönen Höfen und Schafen.
Route: St. Peter–Gsoi–Jochhöfe–Moar–St. Jakob–St. Peter
Zeit: gut 3 Stunden
Höhendifferenz: 540 m

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