Während unsereins zwischen Romanshorn und Genf durch den Nebel stapft, geniessen die Tessiner bereits die ersten Sonnenstrahlen. Zum Beispiel bei einem Espresso und mandelsüssen Dolci auf der Piazza Grande in Locarno. Also ab in den Süden.

Wem es in den Cafés auf der pittoresken Piazza trotz Daunenjacke zu kühl ist, dem sei ein Marsch auf den Sacro Monte, den heiligen Berg von Orselina, empfohlen. Dort leuchtet hoch über dem Lago Maggiore die prächtige Wallfahrtskirche Madonna del Sasso in zartem Gelb. Bequemer als zu Fuss gelangt man mit der nostalgischen Standseilbahn hinauf. Doch der Sonnenanbeter wählt wie ein Pilger den Kreuzweg, der von der Altstadt bei der Verkündigungskirche direkt den Berg hinaufführt. Allfällige Schweisstropfen auf dem steilen Weg lohnen sich – nicht nur wegen der zwölf Bildstationen in den strahlend weissen Kreuzwegkapellen. Auch der weite Blick in die verschneiten Bergketten verspricht ein seliges Gefühl.

Gewaltigere Emotionen haben dort anscheinend den Franziskaner Bartolomeo d'Ivrea übermannt, in jener Nacht vom 14. auf den 15. August 1480, als ihm über dem Städtchen die Muttergottes erschien. Das besagt zumindest die Legende. Gesichert ist, dass der Ort kurze Zeit später zum Ziel von Pilgern wurde und dank Schenkungen der Bau einer Wallfahrtsstätte begann.

Selbst Kalifornier pilgern zur Madonna

In den letzten Jahren investierte der Kanton Tessin rund elf Millionen Franken in die Restauration. In der Kuppel und an den Wänden wurden Fresken und Gemälde aufgefrischt. Heute reisen selbst Touristen aus der kalifornischen Stadt Salinas an, um das Altarbild «Flucht aus Ägypten» oder die lebensgrossen Terrakotta-Statuen zu besichtigen. Warum Salinas? Weil Tessiner Emigranten dort im letzten Jahrhundert eine der Madonna del Sasso gewidmete Kirche gebaut haben. Und wer – wie die Amerikaner – nicht gleich wieder abreisen will, übernachte in einem Hotel in den Gassen der verwinkelten, sehr sehenswerten Altstadt von Locarno.

Quelle: Walter Noser

Anreise: Mit dem Zug nach Locarno. Vom Bahnhof ist man in fünf Minuten bei der Talstation der Funicolare, die zur Wallfahrtskirche in Orselina fährt.

Gehzeit auf dem Kreuzweg: gut 40 Minuten.