Der grosse Traum vom Auftritt auf der Bühne, von Showbiz und Glamour, er soll sich für über 1000 Jugendliche aus der ganzen Schweiz erfüllen - dank dem Musicalprojekt «Dance for Passion». Dass Potential und Nachfrage für solche Riesenshows bestehen, ist unbestritten: TV-Castingshows und Grossproduktionen wie die Musicals «Space Dream» oder «Ewigi Liebi» sind Publikumsmagneten. «Dance for Passion» soll nahtlos daran anknüpfen und im nächsten Mai im Hallenstadion, dem begehrtesten Veranstaltungsort der Schweiz, über die Bühne gehen. Kopf hinter dem Projekt ist Dalila Poggioli, Inhaberin der Promotions- und Event-Agentur JustPassion und selber Tänzerin, Model und Choreographin.

Doch jetzt droht der Traum vom glanzvollen Auftritt zu platzen. «Wie soll ich mit den Mädchen trainieren, wenn ich keine Choreographien habe?», fragt Simone Wenger, die seit Februar in Wohlen als Tanzlehrerin für das Projekt arbeitete. Nur die ungefähre Handlung des Musicals ist ihr bekannt: Ein zwölfjähriger Knabe hat sein Lachen verloren. Um es ihm wiederzuschenken, will die Mutter mit ihm eine Reise durch verschiedene Länder und Kulturen machen. Es nützt nichts, denn was ihr Sohn braucht, ist Liebe.

Simone Wenger wurde über Monate hinweg vertröstet und hatte keine Ahnung, dass das Projekt hinter den Kulissen aus dem Ruder läuft: Neun Monate vor der geplanten Aufführung stehen Drehbuch und Choreographien immer noch nicht. «Dalila Poggioli meint es ja bestimmt gut, aber sie ist mit der ganzen Sache schlicht überfordert», sagt Wenger. Als sie im August Unterstützung bei der Ausarbeitung der Choreographien anbot, lehnte Poggioli ab. In einer E-Mail schrieb sie: «Ich hoffe, du verstehst, dass dieses Projekt mein Herzensprojekt ist und die Musikwahl, das Drehbuch und die Choreographien der Kern des Ganzen sind, wofür ich zuständig sein möchte.»

«Den Bezug zur Realität verloren»
Bei Wenger kamen erste Zweifel an der Machbarkeit dieses riesigen Vorhabens auf - auch weil sie ihren Lohn erst nach wiederholtem Nachfragen erhielt. Sie erkundigte sich bei anderen Tanzlehrerinnen und erfuhr, dass die meisten das Projekt schon vor Monaten verlassen hatten, weil auch sie wiederholt vertröstet wurden.

So auch Musical Director Bruno Arturi, der im April ausgestiegen ist. «Ich habe noch nie so etwas Unprofessionelles und Chaotisches erlebt», sagt der erfahrene Produzent und Komponist. «Diese Frau hat den Bezug zur Realität verloren und lebt in ihrer Tanz-Traumwelt.» Auch er wartete vergebens auf das Drehbuch, um endlich eine Dramaturgie und die Lieder schreiben zu können. Von ihm auf die Finanzierung des Projekts angesprochen, habe Poggioli von Tanzauftritten und Events, die sie durch ihre Agentur organisiere, gesprochen. Zusammen mit den Teilnehmerbeiträgen der Jugendlichen und möglichen Sponsorengeldern werde dies reichen. Die Teilnehmerbeiträge betragen 20 Franken pro Tanzlektion. Je mehr Jugendliche in einer Gruppe dabei sind, desto billiger wird es pro Person. Ein genaues Budget haben die Beteiligten nie zu Gesicht bekommen. Poggioli rechnet mit Produktionskosten von rund einer halben Million Franken, Genaueres will sie nicht sagen.

Die Sache mit dem Kinderschutz
Durch den Kinderschutz Schweiz hat Poggioli ihrem Musicalprojekt Glaubwürdigkeit und einen sozialen Touch gegeben. Denn «Dance for Passion - Tanzen für eine gute Sache» wirbt mit dem Namen dieser Organisation. «Eine Projektpartnerschaft und Werbung mit unserem Namen hatten wir von Anfang an ausgeschlossen», sagt jedoch die Kommunikationsverantwortliche des Kinderschutzes, Cordula Sanwald. Auch sei die versprochene Spende noch nicht eingetroffen. Bereits zweimal wurde Dalila Poggioli schriftlich aufgefordert, im Zusammenhang mit dem Musical den Namen Kinderschutz Schweiz nicht mehr zu verwenden. «Wenn nötig, wird sich unser Anwalt darum kümmern», sagt Sanwald. Poggioli versprach, in Kürze eine neue Website aufzuschalten.

Verwundert ist man auch bei den Hallenstadion-Verantwortlichen. Dort soll laut Poggioli im Mai 2009 das Musical über die Bühne gehen. «Es gab mal eine provisorische Reservierung für mehrere Daten im Mai und Juni 2009», sagt Kommunikationsleiter Hugo Mauchle. Das Hallenstadion ist begehrt. Als Mauchle deshalb im Juli die Mietverträge ausarbeiten wollte, zogen sich die Verantwortlichen von JustPassion zurück. «Bei uns liegt definitiv keine Buchung vor», sagt Mauchle. Trotzdem wirbt Poggioli gegenüber den Jugendlichen und Eltern noch immer mit dem Hallenstadion als definitivem Austragungsort des Musicals. Sobald mit den Sponsoren alles klar sei, werde es auch klappen mit dem Hallenstadion, ist Poggioli überzeugt. Wer ihre Sponsoren sind, will sie nicht sagen.

Für Tanzlehrerin Simone Wenger ist das alles wenig solide. Deshalb hat auch sie «Dance for Passion» inzwischen verlassen. «Ich habe gekündigt und will nichts mehr mit diesem Projekt zu tun haben», sagt die 29-Jährige. «Es ist einfach nur schade. Die Mädels haben sich so auf das Musical gefreut.» In schweizweit 27 Ortschaften sind Tanzlektionen vorgesehen, für die 10- bis 20-Jährige mit Werbeslogans wie «Lass deinen Traum wahr werden» und «Wöchentliche Trainings bringen dich auf die Hallenstadion-Bühne in Zürich» begeistert werden sollen. «Vielleicht waren wir etwas blauäugig», meint Angelika Schuler, deren Tochter bei Simone Wenger tanzte. Eine andere Mutter, Marlies Vogelsang, sagt: «Finanziell haben wir aber keinen Schaden genommen, ich glaube eher, wir haben zu wenig bezahlt, die Einzahlungsscheine kamen sehr unregelmässig.»

Initiantin Dalila Poggioli ist trotz allem fest von ihrem Vorhaben überzeugt. «Es ist mein Lebenstraum, Kindern die Möglichkeit zum Tanzen und Schauspielern zu bieten», sagt die 33-Jährige, und davon lasse sie sich unter keinen Umständen abbringen. Sie arbeite Tag und Nacht für das Projekt, da sei es klar, dass nicht immer alle Beteiligten auf dem neusten Stand sein könnten und es manchmal chaotisch hergehe. Sie habe aber grosse Erfahrung, daher werde es klappen. «Die Choreographien entwickle ich dann zusammen mit den neuen Tanzlehrerinnen», verspricht sie.

60 statt 1000 Teilnehmende
Statt der angestrebten über 1000 jugendlichen Teilnehmenden sind es momentan aber nur 60, die anderen sind, wie in Wohlen, abgesprungen. Als Nächstes geplant seien deshalb Werbespots in landesweit 90 Kinos und eine Flyer-Aktion in mehreren Städten, damit neue Tanzgruppen beginnen können. «Bei diesem ganzen Projekt geht es um Spass, wenn die Jugendlichen glücklich sind, dann hat sich mein Traum erfüllt», sagt Poggioli wiederholt. Die Mädchen in Wohlen müssen sich wohl eher wie der Knabe aus «Dance for Passion» fühlen: Das Lachen dürfte ihnen vergangen sein.