Mit meinen Eltern stritt ich viel. Deshalb wollte ich von zu Hause weg.» Fränzi von Känel ist überzeugt, dass der Entscheid für einen Sprachaufenthalt in der Romandie richtig war. Noch bis Anfang Juli arbeitet die 17-Jährige aus Aeschi BE als Au-pair bei der Familie Kunz-Getaz in Cully VD.

Das gute alte «Welschlandjahr» feiert ein Comeback: Was einst zum festen Repertoire von Deutschschweizer Schulabgängerinnen gehörte, ist heute unter neuen Vorzeichen eine Möglichkeit, sich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt anzueignen. Jakob Zogg vom Ausbildungsverbund Aprentas, der unter anderem für Novartis und Ciba Lehrlinge ausbildet, bestätigt den Nutzen eines Aufenthalts in einer anderen Sprachregion im Hinblick auf den Berufseinstieg: «Persönlichkeit und Reife wachsen, die jungen Leute gewinnen an Sozialkompetenz. Deshalb ist ein Sprachaufenthalt einem 10. Schuljahr vorzuziehen.»

«Schlechtes Image definitiv abgelegt»


Durch die schwierige Lehrstellensituation in der Schweiz schaltet bereits jeder vierte Jugendliche nach der Schule ein Wartejahr ein. Doch nicht alle Eltern können einen teuren Sprachaufenthalt finanzieren. Da bietet sich eine Zwischenlösung als Au-pair an: Die Kinderbetreuung und die Arbeit im Haushalt werden mit Kost und Logis sowie einem der Arbeitszeit entsprechenden Lohn vergütet. Dazu kommt der Besuch einer Sprachschule. Das Angebot kommt an: 2002 organisierten allein die Vermittlungsstellen der zwei grossen Landeskirchen 1200 Einsätze in der Westschweiz oder im Tessin.

Der neue Erfolg einer alten Idee erklärt sich aber auch mit der stark professionalisierten Vermittlungs- und Begleittätigkeit. «Das ‹Welschlandjahr› hat sein schlechtes Image definitiv abgelegt», sagt Romy Erb, die für die reformierte Landeskirche Au-pairs aus dem Berner Oberland betreut. Verschiedene Massnahmen tragen zum Gelingen des Aufenthalts bei:

  • Kontakt zur Gastfamilie herstellen und Schnuppertage organisieren;
  • Einhaltung des Arbeitsvertrags prüfen;
  • Vertretung der Rechte des Au-pairs gegenüber den Arbeitgebern;
  • Beratung während des laufenden Arbeitsverhältnisses;
  • Hilfe bei Sprach- und sonstigen Schwierigkeiten.


Moderne Au-pair-Einsätze sind längst nicht mehr auf die Haushaltsarbeit ausgerichtet, sondern aufs Erlernen der Fremdsprache – und die Gastfamilien werden angehalten, dies zu fördern. «Ich wollte von Anfang an Französisch sprechen und habe vor allem mit dem fünfjährigen Sohn der Familie geübt – heute kann ich mich mit allen gut unterhalten», sagt Fränzi von Känel über ihre Erfahrungen im Waadtland.

Damit der Sprachaufenthalt zum Erfolg wird, müssen beide Seiten mit grosser Motivation bereit sein, ihren Teil zum Gelingen beizutragen. Vom Au-pair selber wird in erster Linie verlangt, dass es sich von Anfang an in die Familiengemeinschaft einfügt und seine Aufgaben gewissenhaft ausführt. Und wenn es trotz allen Vorkehrungen kriselt? «Entscheidend ist, die Probleme früh anzusprechen», sagt Vermittlerin Romy Erb. Meist folgen dann lange Telefongespräche mit den Eltern, und wenn keine Lösung gefunden werden kann, muss mitunter die Familie gewechselt werden. Dies trifft etwa bei zehn Prozent der Fälle ein. «Am erfolgreichsten sind jene Jugendlichen, die vorgängig ehrlich über alle Vor- und Nachteile eines Sprachaufenthalts aufgeklärt werden», so Erb.

Fränzi von Känel war sich bewusst, dass «es nicht immer leicht sein würde, aber man darf auch nicht allzu empfindlich sein». Kurz vor Ablauf des Jahres in der Fremde ist der Effekt spürbar: Sie sei heute selbstständiger, könne besser Verantwortung übernehmen und Entscheide treffen, bilanziert sie. «Das gibt mir das Selbstvertrauen, um in meine Ausbildung zur Krankenschwester einzusteigen.» Hinzu kommt, dass sich die Beziehung zu ihren Eltern markant gebessert hat: «Ich schätze mein richtiges Zuhause wieder sehr.»

Vermittlungsstellen

  • Stellenvermittlung für Jugendliche der reformierten Landeskirche: Telefon 062 929 21 32; Internet: www.aupair.ch
  • Verband Pro Filia: Telefon 01 361 53 31; Internet: www.profilia.ch