Vor einem Wettkampf bin ich immer nervös – das ist normal. Aber im letzten Oktober, an der Trampolin-Weltmeisterschaft in Südafrika, hatte ich extremes Herzklopfen. Der Wettkampf war anders als alles zuvor; es ging um etwas Grösseres: um die Teilnahme an den Olympischen Spielen.

Zwölf Trampolinturner der WM erhielten ein Ticket für Sydney; pro Land konnte sich nur ein Athlet qualifizieren. Die Wettkampfatmosphäre war angespannt, aber gut. Ich bestritt meinen bisher besten Wettkampf, es war ein tolles Gefühl. Der Moment, in dem mein Resultat bekannt gegeben wurde, war der schönste in meinem Leben: Ich platzierte mich auf dem dreizehnten Schlussrang – das bedeutete den neunten Länderplatz. Damit hatte ich mir meinen Olympia-Startplatz gesichert.

Trampolin steht in der Scheune
Momentan konzentriere ich mich voll auf die Olympischen Spiele. Mein Ziel ist es, in den Final zu gelangen. Acht von zwölf Turnern kommen in den Final – was auch einen Diplomrang bedeutet.

Mein Training habe ich kontinuierlich gesteigert. Seit drei Monaten trainiere ich rund 30 Stunden pro Woche. Mit Krafttraining, Massage, Büffeln für meine Matur und gelegentlichem Ausgang versuche ich, eine Ausgewogenheit in meinen Alltag zu bringen. Ich habe in der Sportschule Magglingen ein Zimmer und fühle mich dort wohl. Hier sind Menschen mit der gleichen Wellenlänge um mich.

Bei meinen Eltern im Baselbiet habe ich ebenfalls gute Trainingsmöglichkeiten. Vor sechs Jahren haben wir das grossväterliche Bauernhaus umgebaut. Seither steht in der Scheune ein Trampolin. Die Leute im 1000-Seelen-Dorf Seltisberg mussten sich zuerst an mein etwas spezielles Hobby gewöhnen – doch ich erhalte immer Unterstützung. Ab und zu kommt jemand vorbei und schaut mir beim Training zu.

Das sieht so aus: Der Bewegungsablauf des Trampolinspringens beginnt mit dem so genannten Wippen. Mit diesem Anlauf kann ich die Wurfkraft des vier mal zwei Meter grossen Sprungtuchs ausnutzen, um Höhe zu gewinnen. Immer wenn ich vom Trampolin abspringe, empfinde ich dieses unglaubliche Gefühl der Schwerelosigkeit. Es ist, als ob du fliegst.

Für zwei Sekunden in der Luft
Ich springe etwa acht Meter in die Höhe und führe Rotationen und Drehungen um die Körperlängsachse, so genannte Saltos, und um die Querachse, so genannte Schrauben, aus. Die Drehgeschwindigkeit steigt umso mehr, je kleiner ich mich in der Luft mache. Gegen Ende der gewünschten Anzahl Drehungen gehe ich in die Strecklage und reduziere so die Geschwindigkeit. Pro Sprung befinde ich mich zwei Sekunden in der Luft. In meiner neuen Übung, die zehn Sprünge umfasst, mache ich 22 Saltos und 14 Schrauben.

Was das Trampolinturnen von anderen Sportarten unterscheidet, ist die hauchdünne Grenze zwischen Erfolg und Misserfolg. Es besteht immer ein Risiko. Ein kleiner Fehler kann zu gravierenden Konsequenzen führen – sogar bis zum Übungsabbruch. Darum können wir Trampolinturner auch sehr schlecht unsere Resultate im Voraus abschätzen.

Ich fing als Kind mit Kunstturnen an, was mir die Grundlagen für meine spätere Sportart lieferte. Nach der Primarschule kam ich zu Carl Cadosch in den Schulsportunterricht. Dort holten wir ein Trampolin aus dem Geräteraum, und ich entdeckte meine Begeisterung für die Sportart. Wenn ich in der Luft bin, habe ich das Gefühl von Freiheit – auch jetzt noch. Ich hatte das Bedürfnis, meinen Körper in der Luft zu kontrollieren. Auch strebe ich nach perfekten Abläufen in meinen Figuren. Wie bei den beiden verwandten Sportarten Trampolin und Skiakrobatik ist die Vorstellungskraft zentral. Du bist auf der Suche nach Harmonie zwischen Geist und Körper.

Mit 13 Jahren ging ich zu Carl ins Trampolintraining, zuerst zweimal pro Woche. Ein Jahr später konnte ich bereits im Jugendkader einsteigen. Mit Carl hatte ich nicht nur einen grossartigen Trainer, sondern auch eine wichtige Bezugsperson gefunden. Heute ist es so, dass Carl mich zu etwa 50 Prozent trainiert, und 50 Prozent arbeite ich mit Jean-Michel Bataillon, dem Nationaltrainer des Schweizerischen Turnverbands (STV). Wir arbeiten als Team – das ist sehr wichtig.

Ich trainiere allein, was ich als Nachteil empfinde. Letztes Jahr war es einfacher, als ich mit Cornelia Ott, der achtfachen Schweizer Meisterin, trainierte. Sie ist auf Ende Jahr aus dem Nationalkader ausgetreten.

Leider hat nach meiner WM-Platzierung der Druck nicht abgenommen. Ich musste mein Resultat für den Schweizerischen Olympischen Verband zweimal bestätigen, wie alle Schweizer Sportlerinnen und Sportler. Das ist bei uns Trampolinspringern wegen des erwähnten hohen Risikos happig: Wenn uns ein winziger Fehler unterläuft, sind wir weg; dann findest du dich ganz hinten auf der Rangliste.

Im Trampolin besteht der Wettkampf aus einer Pflicht- und einer Kürübung sowie einem Final der besten Turner pro Klasse. Jede Übung enthält zehn Elemente, die ohne Unterbruch durchgeturnt werden müssen. Sieger ist der Athlet mit der höchsten Gesamtpunktzahl. Zum Glück schaffte ich die Punktzahlen für die definitive Qualifikation beim ersten Anlauf.

Im Februar war ich in Sydney und habe die Wettkampfplätze inspiziert. Ich konnte auch auf den Trampolinen springen. Was noch nicht abschätzbar ist, ist der Anlass an sich. Es ist der erste Grossanlass für uns Trampolinspringer: Wer am besten mit dieser Situation umgehen kann, macht das Rennen.

Als ich in London war, wohnte ich bei einem befreundeten Trampolinspringer aus Neuseeland, der gerade in der Weltstadt weilte. Bald bin ich selber Gastgeber: Ein brasilianischer Trampolinspringer kommt zu mir und bleibt für ein paar Tage. Ich werde später sicher auch einmal in Rio sein, und dann besuche ich ihn. Diese Kontakte sind unbezahlbar.

Bis ich mich aber in dieser internationalen Szene aufgenommen und akzeptiert fühlte, hat es etwas Zeit gebraucht. Ich musste zuerst zeigen, dass ich etwas kann. Die Sprache im Ausland ist Englisch. Im Lauf der Jahre habe ich gelernt, mich besser auszudrücken. Heute habe ich Kontakte zu Trampolinturnerinnen und -turnern aus der ganzen Welt.

Wenn man sich für eine sportliche Laufbahn entscheidet, dann bedeutet das auch, dass man im privaten und im beruflichen Bereich zurückstecken muss. Ich habe eine Lehre als Chemielaborant absolviert. Danach habe ich mich, nicht zuletzt aus meinen sportlichen Zielsetzungen heraus, dazu entschlossen, die Matur nachzuholen, um anschliessend die Möglichkeit für ein Chemiestudium zu haben. Eine Privatschule bietet mir die Möglichkeit, lediglich am Vormittag in die Schule zu gehen, damit ich mich am Nachmittag voll meinem Training widmen kann. Auch kann ich problemlos jetzt einen Unterbruch machen; nächstes Jahr werde ich dann die Matur abschliessen.

Meine Aktivlaufbahn werde ich in absehbarer Zeit beenden. Ich habe alles erreicht, was ich mir je erträumt habe. Den Höhepunkt werden die Olympischen Spiele in Sydney bilden. Ich kann mir gut vorstellen, nach meiner Aktivlaufbahn eine Trainerfunktion zu übernehmen, denn Trampolinturnen wird immer ein Teil meines Lebens sein. Ich bin völlig angefressen und kann nicht genug davon bekommen.