Nur mein Herzschrittmacher funktionierte. Sonst lief in diesen 24 Stunden alles schief. Die Durchführung meines Weltrekordversuchs im Treppensteigen stand nach dem unerwarteten Wintereinbruch mit den riesigen Schneemengen sogar ganz auf der Kippe. Die Zufahrt zum Esterliturm bei Lenzburg mit seiner Plattform auf 45 Metern, dem Austragungsort des Treppenmarathons, war blockiert, Bäume lagen quer, ein Lieferwagen ohne Ketten blieb auf dem Waldweg stecken, das Gästezelt beim Aussichtsturm brach unter der Last des Schnees zusammen.

Alles war höchst dramatisch. So hatte ich gar keine Zeit, nervös zu werden. Selbst die Zeit zum Aufwärmen und Einlaufen fehlte mir. Das Organisationskomitee hatte nämlich in der ganzen Aufregung vergessen, mich wie abgemacht mit dem Auto um Viertel vor elf zu Hause in Ammerswil abzuholen und an den Start zu fahren. Es renkte sich dann alles einigermassen ein. Aber ich startete mit 75-minütiger Verspätung.

Voller Einsatz für krebskranke Kinder
Ich war überzeugt, dass ich den bestehenden Weltrekord meines Kollegen Kurt Hess aus dem Jahr 2004 würde brechen können. Bereits 1995 hatte ich selbst einen aufgestellt. Damals schaffte ich im Esterliturm mit seinen 253 Stufen in 24 Stunden 280 Besteigungen. Das entspricht 25'200 Höhenmetern. Hess kam in 24 Stunden auf 333 Besteigungen. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, 394-mal die Wendeltreppe rauf- und runterzulaufen. Damit wäre ich zweimal auf den Mount Everest in seiner Gesamthöhe von 8848 Metern gestiegen - und jeweils wieder hinunter. Das war durchaus realistisch. Ich hatte ja im Vorfeld wöchentlich bis zu 25 Stunden trainiert, im Maximum acht Stunden ohne Unterbruch. Meist ging ich nachts mit einer Stirnlampe in den Turm, um niemandem in die Quere zu kommen. Exakt 9000-mal war ich trainingshalber oben.

Der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde stand für mich nicht im Vordergrund. Vielmehr wollte ich mir und allen Skeptikern beweisen, dass man mit einem Herzschrittmacher genauso leistungsfähig sein kann wie andere. Als ich ihn verpasst bekam, nachdem ich vor zwei Jahren auf einer Geschäftsreise in Deutschland zusammengeklappt war, ermahnten mich viele, ich müsse jetzt kürzertreten, Spitzensport liege nicht mehr drin. Doch ich begann schon im Spital mit ersten Kniebeugen im WC. Nachts schlich ich mich aus dem Zimmer und stieg die Treppe hoch - ohne Probleme. Ein Jahr später gab der Arzt grünes Licht fürs Training. Ohne diesen dramatischen Zusammenbruch hätte ich den Weltrekord im Treppensteigen nicht mehr in Angriff genommen.

Mehr als 20 Stunden lang kämpfte ich nonstop mit den Treppenstufen. Dabei ging mir unendlich viel durch den Kopf. Im Turm ist man vollkommen eingeschlossen, rundherum sind Mauern. Die Gedanken drehten sich natürlich immer wieder um die Frage: Halte ich es überhaupt durch? Wozu das alles? Die grösste Motivation war für mich, dass wir uns im Organisationskomitee einig waren, den Erlös aus der Festwirtschaft und der Spenden-Hotline sowie die Sponsorenbeiträge vollumfänglich der Kinderkrebsliga zukommen zu lassen. Beim Rekordlauf selber war das für mein Durchhaltevermögen der eigentliche Motor.

Zu einer bösen Überraschung kam es, als abends die eigens installierte Beleuchtung im Turm erstmals eingeschaltet wurde. Die Abgase des Generators drangen ins Innere ein und verpesteten während dreier Stunden die Luft. Erst als das Gerät hinters Festzelt transportiert wurde, konnte ich wieder durchatmen. Beim ersten Rekordversuch 1995 hatte mich eine einzige Zigarette aus dem Konzept gebracht. Deshalb ordnete ich eine rauchfreie Zone um den Turm an. Aber mit einer möglichen Immission durch den Generator hat niemand gerechnet.

Am meisten zu schaffen machte mir schon beim Start schwerer Durchfall. Ich vermute, dass Medikamente, die ich gegen eine Entzündung am Fuss schlucken musste, diese Beschwerden auslösten. Als es im Magen immer wieder rumorte und ich auf die Toilette musste, hämmerte ich mir ein: Ich muss für die krebskranken Kinder ein Vorbild sein - die dürfen auch nicht aufgeben. Auch aus diesem Grund gab es kein Zurück. In solchen Situationen braucht es Überwindung. Ich realisierte, wie sehr die Leistung auch im Kopf gesteuert wird.

Doch etwas enttäuscht
Niemand - nicht einmal der engste Betreuer - wusste von meinen Qualen. Ich wollte vermeiden, dass mich die Leute bemitleiden. Aber nach der 21. Stunde litt ich extrem und musste immer wieder Pausen einlegen und auf die Toilette gehen. Gegen das Ende konnte ich gar nichts mehr zu mir nehmen. Nach der 334. Besteigung war mir der Weltrekord sicher, und ich hätte abbrechen können. Ich rang mich bis zur Marke 350 durch. Ich hatte insgesamt 88'550 Stufen überwunden. Dann kam die Erlösung.

Wenn ich zurückblicke, hätte nicht viel mehr schieflaufen können. Dass ich den Rekord trotzdem schaffte, freut mich. Gleichzeitig bin ich doch etwas enttäuscht. Es wäre mehr möglich gewesen. Aber jetzt ist das Thema endgültig erledigt.