Canyoning-Unglück: Abenteurer seilen sich ab
Noch fahndet der Untersuchungsrichter nach den Schuldigen für den Unfall im Saxetbach. Der Veranstalterfirma drohen Klagen in Millionenhöhe – doch sie sorgt mit legalen Tricks vor.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Regierungsstatthalter Walter Dietrich hat genau gerechnet: Die Trauerfeier für die Opfer des Canyoning-Unglücks im Saxetbach bei Wilderswil BE kostet die öffentliche Hand exakt 46'630 Franken und 95 Rappen.
Andernorts ist man noch am Rechnen. Der Berner Oberländer Untersuchungsrichter Martin Trapp fahndet nicht nur nach den Schuldigen. Er ermittelt auch die Kosten für Suche, Bergung und Identifizierung der 18 Touristen und drei Führer, die am 27. Juli in den Fluten des Saxetbachs ertranken.
Der Aufwand dürfte in die Millionen gehen – ebenso wie die Entschädigungen an die Angehörigen. Bei vergleichbaren Fällen erhielten die Eltern von Opfern Genugtuungssummen bis zu 40'000 Franken pro Elternteil. Zudem dürften hohe Schadenersatzforderungen gestellt werden. Bereits haben sich Angehörige eines Saxetbach-Opfers auch als Privatkläger in das Untersuchungsverfahren eingeschaltet.
Wem die Rechnung präsentiert wird, entscheidet wahrscheinlich ein Gericht. Untersuchungsrichter Trapp wird demnächst seinen Bericht an den Staatsanwalt abliefern. Es gilt als so gut wie sicher, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird.
Auf der Anklagebank dürften die Führer, aber auch die Verantwortlichen der Veranstalterfirma Adventure World sitzen. Und diese haben allen Grund, dem Urteil mit Bangen entgegenzublicken: Werden sie wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, bleiben die gesamten Kosten an ihrer Firma hängen. Die Haftpflichtversicherung von Adventure World hat deshalb bisher noch nichts bezahlt: «Wir warten auf den Ausgang des Strafverfahrens», sagt Peter Steiger, Verantwortlicher für die Schadensabwicklung bei der Elvia-Versicherung.
Im Berner Oberland rätselt man nun, wie es mit der Freizeit Aktiv AG – so heisst Adventure World offiziell – weitergeht. Die Gerüchteküche brodelt: Die drei Verwaltungsräte Georg Hödle, Peter Balmer und Stephan Friedli hätten bereits eine neue Firma gegründet und lagerten die Werte von Adventure World systematisch aus, damit sie nicht belangt werden könnten, munkelt man auf dem «Bödeli». «Diese Gerüchte sind mir neu», sagt Georg Hödle dazu. «Wir haben nichts Derartiges im Sinn und auch keine neue Firma gegründet.» Doch im Handelsregister finden sich tatsächlich Hinweise auf eine Neugründung: Unter der Firmennummer «CH-092.7.013.773-7» existiert ein Dossier über die «SPIX Personalfürsorgestiftung der Freizeit Aktiv AG». Präsident des Stiftungsrats ist Georg Hödle. Als Aktuar fungiert Mitinhaber Peter Balmer, der gleich noch als «Arbeitnehmervertreter» bestimmt wurde.
Gegründet wurde die Stiftung bereits am 31. März 1998. Die Freizeit Aktiv AG bezahlte mit Verwaltungsratsbeschluss vom 23. März 1998 ein Anfangskapital von 1000 Franken ein und liess die Sache erst einmal ruhen.
An die Stiftung erinnerte man sich beim Abenteuerunternehmen erst wieder, als nach dem verheerenden Unglück im Saxetbach plötzlich Schadenersatzklagen und Forderungen in Millionenhöhe drohten: Am 15. September 1999, rund sieben Wochen nach der Katastrophe, wurde die Stiftung im Handelsregister eingetragen. «Eine solche Gründung braucht halt Zeit», erklärt Stiftungsratspräsident Hödle.
Nur wenige profitieren
Doch aus versicherungstechnischer Sicht ist die Stiftung kaum sinnvoll. «Einer kleinen Tourismusfirma, in der eher tiefe Löhne bezahlt werden, würde ich von der Gründung einer eigenen Stiftung abraten», sagt etwa Martin Hubatka von der Stiftung für unentgeltliche Pensionskassenauskünfte in Zürich. Im Allgemeinen liege die Untergrenze für eine eigene Stiftung bei 100 Beschäftigten.
Bei der Freizeit Aktiv AG sind jedoch laut Hödle nur sechs Personen ganzjährig fest angestellt. Hinzu kommen in der Hochsaison rund 60 Aushilfskräfte. Die wenigsten von ihnen dürften jedoch von der neuen Stiftung profitieren. Denn wer mit einem befristeten Vertrag weniger als drei Monate angestellt ist, entrichtet keine Beiträge an die berufliche Vorsorge.
Vermögen nach unten korrigiert
Wenn nicht fürs Personal, so sorgen die Firmeninhaber umso mehr für sich und ihre Firma vor: Indem sie eine Arbeitgeberreserve äufnen und somit Beiträge für die berufliche Vorsorge einzahlen, bevor sie überhaupt geschuldet sind, sparen die Verantwortlichen der Freizeit Aktiv AG Steuern – und vermindern auf diese Weise auch ihr Firmenvermögen.
Für eine Firma, die möglicherweise für den Tod von 21 Menschen verantwortlich ist und mit Millionenklagen konfrontiert sein könnte, ist dies durchaus interessant: Im Fall einer Verurteilung würde sich die Haftung aufs Firmenvermögen beschränken. Bei einem Konkurs wäre die Stiftung nicht tangiert. Sie könnte – unter bestimmten Bedingungen – samt Vermögen einer neuen Firma übertragen werden.
Adventure-World-Mitbesitzer Georg Hödle, der selber schon diverse Firmen mitgegründet hat, will nicht an diese Möglichkeit gedacht haben: «Aber es ist eine interessante Idee.»