Das Kipptor der Garage setzt sich plötzlich in Bewegung, Manuela wird völlig überrascht. Das Mädchen – es steht vermutlich auf dem leicht vorstehenden Rand eines Entlüftungsfensters – wird zwischen Tor und Betonsturz eingeklemmt.

Retter eilen herbei, versuchen vergeblich, Manuela zu befreien: Das Tor lässt sich nicht zurückfahren; der Mechanismus funktioniert nur, wenn das Tor ganz offen ist. Und weil auch die Notentriegelung versagt, läuft der automatische Antrieb weiter und presst den Brustkorb der Kleinen erbarmungslos gegen die Betonkante. Um das Kind zu bergen, muss die Feuerwehr das Tor demontieren. Endlich ist Manuela befreit – rund 20 Minuten hat sie nicht mehr atmen können.

Seit dem verhängnisvollen Ereignis vom April 2001 in Kriens LU erlangte Manuela das Bewusstsein nicht wieder. «Sie öffnet zwar die Augen, aber sie erkennt uns nicht», beschreibt Andi Krummenacher den Zustand seiner Tochter. «Sie muss künstlich ernährt werden, kann nicht sitzen, nicht stehen und keine Bewegung willentlich ausführen.» Manuela wird nie wieder springen, sprechen und lachen.

Unfälle mit automatischen Toranlagen kommen immer wieder vor. Mitte Mai verunglückte im luzernischen Kastanienbaum ein Fünfjähriger. Er geriet beim Versteckspielen zwischen Mauer und Schiebetor. Auch dieser Bub ringt seither um sein Leben. «Diese Unfälle», sagt Sicherheitsexperte Robert Nyffenegger von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU), «hätten vermieden werden können, wenn die gesetzlich verlangten Massnahmen und Vorschriften eingehalten worden wären.»

In Kastanienbaum etwa schiebt sich das aufgehende Tor an einer Wand mit abstehenden Betonpfeilern entlang. «Wenn diese Hohlräume zugemauert worden wären», sagt Thomas Reitberger, Amtsstatthalter für Luzern Land, «hätte das Kind nicht verunfallen können.» Komplexer sei die Untersuchung des Unfalls von Manuela in Kriens. «Hier läuft es mehr auf technische Mängel hinaus, und wir mussten Gutachten einholen.» Nachmessungen hatten zudem ergeben, dass das Tor mit einer Kraft von etwa 300 Kilogramm auf das Kind gedrückt haben muss. Gemäss Vorschrift darf ein Antrieb aber nicht mehr als 15 Kilo Druck auslösen.

Riesiges Gefahrenpotenzial
Die Sicherheitsvorschriften für automatische Tür- und Toranlagen sind in einem Bundesgesetz und in einer Richtlinie der Eidgenössischen Kommission für Arbeitssicherheit geregelt. Während nun technische Einrichtungen und Geräte in Betrieben von den Arbeitsinspektoraten und der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) regelmässig überprüft werden, fehlt eine solche Überwachung im privaten Umfeld. «Es stimmt: Der Vollzug und die Kontrolle sind nur im gewerblichen und industriellen Bereich gewährleistet», sagt Albert Marty von der Luzerner Zertifizierungsstelle NSBIV AG. Marty stuft die Sicherheitssituation bei automatischen Garagentoren in Wohnsiedlungen denn auch als «schlecht» ein.

So schlecht wie in der Wohnsiedlung in Cham ZG, wo im Januar 1999 eine Zehnjährige von einem Kipptor erfasst und – wie Manuela Krummenacher – oben am Torsturz eingeklemmt wurde. Das Mädchen wurde mittelschwer verletzt, trug aber dank dem schnellen Eingreifen des Abwarts keine bleibenden Schäden davon.

Nach diesem Unfall sicherte die Herstellerin die Anlage: Unter anderem baute sie eine zusätzliche Schleifkupplung ein, die die Bewegung des Tors bei Widerstand stoppt. «Jetzt kann praktisch nichts mehr passieren», sagt Abwart Rudolf Häfliger.

Sicherheitsinstallationen wie Kontaktleisten oder Schleifkupplung hätten Manuela vor ihrem schweren Schicksal bewahren können. Spätestens seit dem Unfall 1999 in Cham muss die Herstellerin, die auch das Tor von Kriens lieferte, um das Gefahrenpotenzial gewusst haben. «Eine solche Anlage stellt immer eine Gefahrenquelle dar», sagt der Firmenbesitzer. «Sowohl in Cham wie in Kriens handelt es sich zwar um Kipptore, doch von ihrer Bauart her sind sie nicht identisch.»

Bei Manuelas Unfall habe man jedenfalls «nicht das Gefühl, mitschuldig zu sein». Trotzdem will jetzt die Herstellerin alle Besitzer von älteren Toranlagen auf die geänderten Vorschriften und die Sicherheitsrisiken aufmerksam machen. Wenigstens das.