Es war ein heiterer Abend mit Freunden gewesen. Manfred Maier, 45 Jahre alt, brach kurz vor ein Uhr auf und machte sich auf den Weg zu seinen Eltern. Die Heiterkeit übertrug sich aufs Gaspedal. In der Nähe der Baselbieter Gemeinde Grellingen stoppte ihn eine Polizeistreife wegen übersetzter Geschwindigkeit.

Der Österreicher leistete die geforderte Kaution, unterzeichnete das Protokoll und hielt die Sache für erledigt. Doch «wegen einer anderen Sache», die die Polizisten nicht genauer bezeichnen wollten, wurde er in eine Haftzelle nach Liestal verbracht. Trotz inständigen Bitten konnten die Beamten dem Tiroler nicht darlegen, weshalb sie ihn festhielten. Erst 30 Stunden später wurde er mit einem Haftbefehl konfrontiert. Dieser war erst kurz zuvor ausgestellt worden. Das Gerichtsurteil, worauf dieser sich stützte, war in seiner Abwesenheit gefällt worden. Dessen Inhalt kannte er nicht.

Mit welchem Recht kann der Staat einen Bürger festhalten? Diese Frage stellt sich der Tiroler bis heute.

Was war da geschehen? 1995 hatte das Fürsorgeamt Laufen einen Strafantrag gegen Manfred Maier gestellt: Er war den Unterstützungspflichten gegenüber Exfrau und Sohn nicht nachgekommen. Maier war damals ohne feste Arbeit, ohne eigene Wohnung, sein Einkommen als zeitweiliger Hirte betrug umgerechnet nur 350 Franken im Monat. Verzweifelt schilderte er dem Untersuchungsrichter seine Lage. Für alles Weitere gab er als Bezugspunkt die Adresse seiner Schwester in Basel an.

Als er von den Schweizer Behörden nichts mehr hörte, nahm er an, er habe den Richter überzeugt. In Wahrheit lief alles anders. Die Staatsanwaltschaft Baselland erhob Anklage gegen Maier. Doch wurde – anders als im Protokoll festgehalten – die Nachricht nicht an seine Schwester, sondern nach Wien gesandt. Jene Adresse gehörte Maier längst nicht mehr. Der eingeschriebene Brief kam umgehend zurück. Nach einer erfolglosen öffentlichen Vorladung entschied das Gericht im Abwesenheitsverfahren auf eine unbedingte Strafe.

Richter sahen keine Willkür
Davon erfuhr Maier erst vier Jahre später – nach 30 Stunden Haft. Als Grund für die Festnahme nannte das Strafgericht «Fluchtgefahr». «Ich war ausser mir. Ich verstand die Welt nicht mehr», sagt Maier. Der Staatsanwalt beantragte, das Haftentlassungsgesuch abzuweisen. Es dauerte fünf Tage, bis Maier wieder in Freiheit war. Zehn Tage später wurde er freigesprochen.

«Wie viel ist eines Menschen Freiheit wert?», fragt Manfred Maier. Mit den 750 Franken Haftentschädigung wollte er sich keinesfalls zufrieden geben. Doch so leicht richten Richter nicht, wenn sie über Richter richten. «Der Vorwurf der Willkür ist in diesem Fall völlig haltlos», erklärte das Verfahrensgericht Baselland zu Maiers Beschwerde. Auf sein Argument, er habe die Schwester als Kontaktperson angegeben, ging die Instanz gar nicht ein – so wenig wie auf die Frage, ob es rechtens war, ein Abwesenheitsurteil zu fällen.

Kein Wort der Entschuldigung, keine Spur von Selbstkritik. Maier entschloss sich zu einer härteren Gangart. «Der Staatsanwalt hat mich in meinen Grundrechten verletzt», schrieb er dem Verfahrensgericht. Der amtliche Ankläger sei wegen «Amtsmissbrauchs, Nötigung und Freiheitsberaubung» zu bestrafen – und «müsste eigentlich in U-Haft» sitzen.

Versteht sich, dass das Bezirksstatthalteramt die Lage anders sah. «Auf ein Verfahren wird verzichtet», entschied der Vorsitzende und ergänzte: «Die Kosten gehen zu Lasten des Staates.»

Das Gericht widerspricht sich
«Mir scheint eine Schwerhörigkeit der Justiz vorzuliegen», kommentierte Maiers Anwalt. «In Österreich», schrieb ihm sein Mandant, «kennen wir den Strafbestand des ‹Verächtlichmachens von Ämtern oder Amtsinhabern›. Sollte es den auch in der Schweiz geben, müsste ich dazu doch bald genügend Stoff geliefert haben.»

Derweil antwortete das Bezirksstatthalteramt auf Maiers erneute Beschwerde: «Das Strafgericht hat mündlich begründet, weshalb die angeordnete Haft ungerechtfertigt gewesen sei.» Ungerechtfertigt? Gerechtfertigt? Maier zu diesem Tippfehler: «Könnte es sein, dass mir das Gericht schon öfters das Gegenteil dessen schrieb, was es eigentlich meinte? Ich bin zuversichtlich, dass die lokalen Meister über kurz oder lang ins eigene Messer laufen.»

Strafanzeige – abgewiesenes Verfahren – Aufsichtsbeschwerde – abgewiesene Beschwerde: Der Schriftenverkehr war rege. Nicht der Beruhigung diente die Erklärung des Statthalters, Maiers Schwester sei kontaktiert worden, «allerdings ohne Erfolg». Maier schrieb: «Diese Behauptung ist ungeheuerlich!» Das Verfahrensgericht schrieb: «Es mag offen bleiben, wie sich dies zugetragen hat.» Maiers Schwester schrieb: «Ich bin empört, dass in unserem Rechtsstaat Lügen erzählt werden, um Verfahrensfehler zu vertuschen. Ich wehre mich entschieden dagegen, von Amtes wegen perfid zur Mittäterin an einem Verbrechen an einem Familienmitglied gemacht zu werden. Sollten Sie die Schutzbehauptung aufrechterhalten, werde ich mich per Verleumdungsklage wehren.» Ihr Schreiben blieb ohne Antwort.

Das Verfahrensgericht in Strafsachen schritt im Februar 2001 zu leiser Kritik in eigener Sache. Ein Abwesenheitsurteil sei erst dann zulässig, wenn alle zumutbaren Nachforschungen nach dem Aufenthaltsort erfolglos geblieben seien. Aus den Akten werde nicht ersichtlich, wie der Staatsanwalt sich bemüht habe, Maier zu finden. Fazit eins: «Allenfalls» könne in der unkorrekten Adressierung «ein Versehen oder eine Unachtsamkeit gesehen werden». Fazit zwei: Abwesenheitsurteil und Haft seien «gerechtfertigt» gewesen.

Auf die staatsrechtliche Beschwerde, die Manfred Maier wenige Tage später beim Bundesgericht einreichte, wollte das höchste Gericht nicht eintreten. Eine Gerichtsgebühr wurde nicht erhoben.

Maier glaubt nicht daran, dass seine Klage je erhört wird. Sein Trost: «Auch Gott ist schliesslich ohne Adresse.»