Sie spürten ihn auf der Tunnelbaustelle des Bözbergs auf, wo er als Werkstattchef arbeitete. Nach zahlreichen Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen war Markus Wenger am Ende. «Bei meiner Verhaftung brach ich zusammen - und ich gestand mir endlich selber ein, krank zu sein», erinnert sich Wenger. Das war vor 17 Jahren.

Lange Zeit hatte sein engstes Umfeld nichts von seinen Nöten bemerkt. Zumal Wenger im Beruf und als Sportler überaus erfolgreich war. Auch als Mann. «Ich habe jedoch nur nach der Vorstellung und den Erwartungen anderer funktioniert», sagt der heute 49-Jährige.

Über Probleme sprach Markus Wenger nie. Schon als Kind konnte er nicht aus seiner Haut. Nur einmal - als Zwölfjähriger - manifestierte sich dies, als sein ganzer Körper plötzlich mit Ausschlägen übersät war. Ein Zeichen, das niemand zu deuten verstand. Als Erwachsener verliess er seine Freundinnen jeweils beim geringsten Konflikt - bloss nicht selber verlassen werden. «Da war ein Mensch in meiner Nähe, den ich liebte und am liebsten in den Arm nehmen wollte. Doch ich konnte nicht, da ich mich sonst als Verlierer gefühlt, also eine Schwäche zugegeben hätte. Da war dann das Ohnmachtsgefühl, das schliesslich in brutale Machtausübung mündete.» Nach einer Vergewaltigung habe er sich stets furchtbar gefühlt und die Tat sofort verdrängt.

Kein sexuelles Fehlverhalten mehr
Es ist kein vorteilhaftes Bild, das Wenger von sich selbst zeichnet, wenn er über die Vergangenheit spricht. «Aber das ist vorbei. Heute bin ich nicht mehr gefährlich», sagt er. Er sitzt vor den vergitterten Fenstern in der Berner Strafvollzugsanstalt Thorberg, wo er als Verwahrter inhaftiert ist. Und trägt ein T-Shirt, das für die freie Bergwelt von Gstaad wirbt.

Schnell wird klar, dass dieser freundliche, schmächtige Mann intelligent und eloquent ist. Das Vokabular der Psychiater hat er längst intus, und die Expertisen kennt er in- und auswendig: Ein erstes Gutachten aus den neunziger Jahren attestierte ihm, nicht mehr gefährlich zu sein. Ein weiteres empfahl, ihm wenigstens Urlaub zu gewähren, um ihm eine Perspektive zu geben - ansonsten bestehe Fluchtgefahr. Ein sexuelles Fehlverhalten wurde selbst am Institut für Rechtsmedizin der Universität Basel nicht mehr festgestellt. Und Wengers langjähriger Therapeut, Jürg Vetter, kam vor fünf Jahren zum Schluss, es sei in Freiheit lediglich «zur Konsolidierung des Erreichten» eine ambulante Behandlung anzuordnen. Längst geht es nur mehr um die Frage, wer die Verantwortung für seine Freilassung übernimmt - und um die öffentliche Meinung. «Man ist unheimlich vorsichtig geworden», bestätigt Thorberg-Direktor Hans Zoss. Und er räumt ein: «Vielleicht tut man Markus Wenger Unrecht.»

Sieben Jahre auf der Flucht
Wengers Freilassungsgesuche wurden wiederholt abgelehnt. Die zuständigen Luzerner Behörden stützten sich auf die Empfehlungen ihrer beratenden Fachkommission. Diese war sich nicht einig, ob eine Gruppentherapie für Wenger angeordnet werden müsse, bevor über Vollzugslockerungen oder Freilassung befunden werde.

Von Amts wegen wurde kürzlich ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Wieder keimt etwas Hoffnung in Markus Wenger auf - «doch ich wurde schon so oft enttäuscht». Deshalb ist er auch bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus dem Knast abgehauen: «Ich wollte mich aber nie der Verantwortung, sondern nur der Behördenwillkür entziehen.» Dies hat selbst das Luzerner Obergericht anerkannt. Seit seiner letzten, nur ein paar Stunden dauernden Flucht im Januar sitzt er unter verschärften Haftbedingungen im Sicherheitstrakt, weitgehend isoliert. «Man bestraft ihn für seine Fluchten, was unzulässig ist», empört sich Gefängnisseelsorger Paul Bopp und spricht gar von «Beugehaft». Tatsächlich ist Flucht nach Schweizer Recht nicht strafbar.

Insgesamt befand sich Markus Wenger während fast sieben Jahren auf der Flucht, davon fünf in Ostdeutschland. «Ohne rückfällig zu werden», wie er betont. In der Nähe von Dresden baute er aus dem Nichts ein erfolgreiches Handelsunternehmen auf und gründete eine Familie - sein Sohn ist inzwischen zehn Jahre alt. Geschnappt wurde er schliesslich bei einer Verkehrskontrolle.

Seither, seit neun Jahren, kommt seine Partnerin immer wieder in die Schweiz, um mit Behörden und Gutachtern zu sprechen. «Es hat schon oft super getönt», sagt sie. Aber: «Sie haben alle Angst, Verantwortung zu übernehmen. Und so beraubt man Markus aller Perspektiven.»