Fehlanzeige. Die Welt ist nicht untergegangen. Nicht auf der Schwelle zum neuen Jahrtausend, nicht während der totalen Sonnenfinsternis im vergangenen August – und auch nicht an all den anderen magischen und apokalyptischen Daten.

Endzeitstimmung ist nichts Neues. Die Geschichte besteht aus lauter Weltuntergängen – und die Erde dreht sich einfach weiter. Als hitverdächtig in Sachen Fehlprognose entpuppte sich der 11. August des vergangenen Jahres: Millionen von Menschen wurden Zeugen der totalen Sonnenfinsternis, und viele dürften angesichts des schaurig-schönen Spuks am Himmel von diffusen Daseinsängsten geplagt worden sein. Denn bereits vor über 400 Jahren kündigte der französische Arzt und Visionär Michel Nostradamus für diese Tage nicht nur die «absolute Finsternis», sondern auch den vom Himmel steigenden «Schreckenskönig» an.

Hellseher haben Hochkonjunktur
Heerscharen von Esoterikern, Gurus, Wahrsagerinnen und anderen selbst ernannten Propheten schlossen sich seinen schwarzen Visionen an. Auch die Gilde der Astrologen wehklagte einhellig über eine katastrophale Planetenkonstellation. Ihre sonst oft wässrigen Prognosen fielen für einmal ziemlich markant aus.

Am weitesten aus dem Fenster hatte sich die Schweizer Star-Astrologin Elizabeth Teissier gewagt: «Ein Schicksalstag für die Menschheit», orakelte sie. Ihre Panikmache gipfelte in der Aussage: «Es könnte das Ende unserer Zivilisation bedeuten!»

Sie hat sich zum Glück verhauen. Und mit ihr viele andere «Wissende». Als wirklich weitsichtig erwiesen sich letztlich nur die Meteorologen, die just für den grossen Tag eine Staulage und spielverderberische Wolken vorhersagten.

Noch etwas weitsichtiger waren die britischen Ärzte. Ende 1998 warnten sie vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr, weil befürchtet werden müsse, dass der Krankenwagen bei einer Notentbindung am 11. August im Stau stecken bleiben würde.

Elizabeth Teissier krebst zurück
Elizabeth Teissier, die das Geschäft mit der Zukunft nach allen Regeln der Kunst zu vermarkten weiss, unterstrich ihre Horrorszenarien damals mit einem Gelöbnis: Sie werde «nie mehr eine Prognose abgeben», falls im Sommer 1999 kein globales Desaster ausbrechen würde.

Doch die Steinbock-Frau krebste zurück. Nach der prognostizistischen Pleite verstummte sie zwar kurz, fuhr aber bald darauf mit düsteren Prognosen fürs neue Jahrtausend auf: Die spannungsgeladene Planetenkonstellation bleibe uns bis mindestens Anfang Sommer 2000 erhalten. So lange würden sich Saturn und Uranus bekämpfen und für Aufbruch, Umwälzungen und Unruhe sorgen – natürliche und technische Katastrophen inklusive.

Unterstützt werden Teissiers Thesen unter anderem von der Konkurrentin Acedai Dafi. Die Visionärin sieht für die nächsten zwölf Jahre Erdverschiebungen und Beben kommen, die ganz Italien, Frankreich, Griechenland und Deutschland von der Landkarte radieren werden. «Das ist einfach absurd», urteilt Claude Weiss, Präsident des Schweizer Astrologenverbands, der einen dicken Trennungsstrich zwischen Astrologie und Hellseherei gezogen haben will. «Seriöse Astrologen haben keine Katastrophen prophezeit.»

Die sehende und deutende Branche scheint ein Charaktermerkmal gemein zu haben: Selbstkritik und analytisches Bilanzieren liegt den Wahrsagern nicht. Auch Teissier will gegenüber dem Beobachter nicht zu ihren astrologischen Irrtümern Stellung nehmen. Sie verweist lieber auf einige ihrer Weissagungen, die sich bewahrheitet hätten. Bloss: Die Trefferquote solcher Prognosen liegt im Wahrscheinlichkeitsbereich. Dass etwa der deutsche Bundeskanzler Kohl abdanken musste, sahen nicht nur Teissier und die Sterne voraus, sondern auch viele Politologen.

Bereits wird der Menschheit ein neues Datum für das Ende der Zeit geliefert: Am 5. Mai 2002 stehen alle inneren Planeten unseres Sonnensystems auf einer Linie. Das ist Nahrung für die seltsame Lust aufs Jüngste Gericht. Das Weltbild vieler Menschen scheint nämlich nur dann in Ordnung zu sein, wenn ein Verfallsdatum mitgeliefert wird. US-Schätzungen zufolge leiden über 20 Millionen Menschen unter behandlungsbedürftiger Millenniumsphobie. Die verunsicherten Zeitgenossen verschlingen Uberlebensliteratur und horten Lebensmittel im Keller.

Auch in der Schweiz herrscht «Alarmismus». Gemäss einer «Annabelle»-Umfrage glauben immerhin 56 Prozent an ein baldiges Ende der Welt. Die meisten erwarten es im neuen Jahrtausend, und zwar in Form eines mensch- oder naturgemachten Super-GAUs.

Allen prophetischen und astrologischen Pleiten zum Trotz greift die Endzeitstimmung immer weiter um sich. Nie wurde so hemmungslos spekuliert und prophezeit wie im soeben abgeschlossenen, aufgeklärten Jahrhundert.

Der Psychologe Michael Utsch macht zunehmende Orientierungslosigkeit und spirituelle Leere dafür verantwortlich. «Die moderne Wissenschaft lässt uns vieles wissen, nur eines nicht: das Geheimnis eines zufriedenen, sinnerfüllten Lebens.» Esoterische und andere Heilslehren füllen jene Geborgenheitslücken, die die technisierte Welt hinterlässt. Mit Erfolg: Die Zahl der Propheten und Wahrsager wird allein im deutschsprachigen Raum auf über 100'000 geschätzt. Uber mangelnde Kundschaft können sie sich nicht beklagen.

Persönlichkeitstests boomen
Spitzenreiterin der Parawissenschaften ist nach wie vor die Astrologie. Mehr als die Hälfte der Europäer sind davon überzeugt, dass ihr Schicksal in den Sternen steht. Die Computer von Claude Weiss’ Firma Astrodata spucken jährlich rund 100'000 Horoskope aus. Am häufigsten werden Persönlichkeitsanalysen verlangt. Selbst Kritiker finden in ihren Analysen oft überraschend viel Ubereinstimmendes mit ihrem eigenen subjektiven Selbstempfinden.

Ein Beweis dafür, dass die Sterne und deren Deuter doch nicht lügen? «Mitnichten», sagen Astronomen, Mathematiker, Psychologen und andere Skeptiker. Das zeuge eher von den vagen Formulierungen der Horoskope und sei ein Beweis für die Richtigkeit des so genannten «Barnum-Effekts»: In psychologischen Tests wurde nachgewiesen, dass die meisten Menschen zur Selbsttäuschung neigen. In der Tat: Wer lässt sich nicht gern «kreative Fähigkeiten» oder einen «überdurchschnittlich sensitiven Sinn» attestieren?

Medizin lässt Astrologie wanken
Die Astrologie muss sich aber auch biologische Kritik gefallen lassen. Die Zwillingsforschung und die moderne Geburtsmedizin brachten einen astrologischen Grundpfeiler gehörig ins Wanken: jenen der Geburtsstunde. Denn der genaue Zeitpunkt der Geburt ist längst nicht mehr Schicksalsfrage, sondern wird von Wehenmitteln oder operierenden Ärzten bestimmt. Im genetischen Zeitalter müssten sich die Astrologen sowieso überlegen, ob sie nicht besser den Zeitpunkt der Zeugung zum zukunftsweisenden Startschuss erheben wollen.

Aber vielleicht sollte die mystische Glaubensfrage gar nicht gestellt werden. Denn solange Astrologie und Wahrsagerei nicht lähmend, sondern konstruktiv wirken, geben sie vielen Menschen jenen Halt, der ihnen von der Wissenschaft genommen wurde. Und ausserdem das Gefühl, wieder im Mittelpunkt des Universums zu stehen: wenn nicht als Gottesgeschöpfe, so doch wenigstens als Sternenkinder.