Milliardenteures Patt
Verschenkte Steuergelder: Der Bund zeigt sich bei der Verteilung von Subventionen immer grosszügiger – selbst bei Anliegen, die sich gegenseitig lahm legen.
Veröffentlicht am 21. Juni 2004 - 19:38 Uhr
Je steiler die Lage, desto höher die Unterstützung. Und je unsinniger in der Vergangenheit subventioniert wurde, umso umfangreicher sind die Umstellungsbeiträge für die Neuorientierung. Das Beispiel der Schweizer Weinbauförderung ist exemplarisch. Bis zu 5000 Franken pro Hektare und Jahr erhalten die Schweizer Weinbauern je nach Steilheit und Terrassierung ihres Weinbergs. 20'000 bis 35'000 Franken pro Hektare gibts für die Umstellung von den bis vor wenigen Jahren hoch subventionierten, massenhaft produzierten und unverkäuflichen Chasselas- und Müller-Thurgau-Weinen.
Der Steuerzahler blutet aber nicht nur für Sortenflop und schwieriges Gelände. Er kommt auch mit 4,4 Millionen Franken (2002) für die Weinexportförderung auf und subventioniert so jeden Liter Exportwein mit Fr. 6.70. Der Verkaufspreis liegt im Schnitt bei rund Fr. 8.40. Neu gibt es auch Geld für Inlandwerbung zwecks besserer Optik.
Gift und Gegengift
Der Weinbauernlobby im Parlament ist das aber immer noch zu wenig staatliche Zuwendung. Der Walliser CVP-Ständerat Simon Epiney bezeichnete den Weinbau in seiner Interpellation als «Waisenkind der Schweizer Landwirtschaft, wenn es um die Verteilung des Bundesmannas geht». Schliesslich sei der Weinbau laut Epiney «als Musterbeispiel für Innovation und Qualitätssteigerung» zu sehen. Aus diesem Grund verlangt er billigere Kredite für Winzer sowie eine Lockerung der Bedingungen für Direktzahlungen.
Allerdings bleibt auch die Gegenseite nicht untätig. Bei so viel Alkoholförderung muss dem übermässigen Konsum Einhalt geboten werden. Schliesslich kostet laut Jahresbericht der Eidgenössischen Alkoholverwaltung (EAV) der Alkoholmissbrauch die Schweiz jährlich 6,5 Milliarden Franken.
Doch kein Problem: Salomonisch subventioniert der Bund auch die Gesundheitsprävention. Zur staatlichen Beruhigung des schlechten Gewissens wird ein Zehntel der EAV-Einnahmen an die Kantone weitergeleitet. 2003 waren dies 24,7 Millionen Franken – zwecks allgemeiner Suchtprävention. Weitere 1,4 Millionen Franken schüttete Bern unter dem Titel Alkoholprävention aus.
Die groteske Situation, dass mit Wein- und Schnapsproduzenten die Verursacher auf der einen und mit den Präventionsaktivitäten die Bekämpfung der Folgen auf der anderen Seite subventioniert werden, ist nicht Einzelfall, sondern hat in der Schweiz System.
Vor allem die Agrarlobby strebt stets den Ausgleich an und betreibt dieses Subventions-Ying-Yang der gegenseitigen Unterstützung in Perfektion. So stimmen ihre Vertreter in den Räten meist für die Subventionen der Strassenbauer und Gewerbler oder bei ökologischen Anliegen häufig mit der Linken. Damit sichern die Bauernfreunde die Pfründen für einen Berufsstand, der zwar nur 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts erarbeitet, aber acht Prozent aller Bundesausgaben kassiert.
«Ich subventioniere, also bin ich»
Innert eines Jahrzehnts haben die Subventionen bei Bund, Kantonen und Gemeinden – inklusive Sozialversicherungen – um rund 50 Prozent zugenommen, deutlich stärker als die Gesamtausgaben und das Bruttoinlandprodukt. Seit 1970 haben sich die Subventionen des Bundes gar versiebenfacht.
Nichts scheint dabei schwieriger, als bestehende Subventionen abzuschaffen. Als der Bundesrat im Rahmen des «Neuen Finanzausgleichs» etwa die Wohnbauförderung streichen wollte, hagelte es Proteste aus allen politischen Lagern. Die Folge: Das Füllhorn des Bundes schüttet weiterhin viele Millionen aus – neu unter dem Titel Wohnraumförderung. «Von Vorteil für die Subventionsjäger im Parlament sind die mangelnde Transparenz und die politischen Kartelle», ärgert sich der Basler Wirtschaftsprofessor Silvio Borner. Ersteres begünstige das Wegsehen der Steuerzahler, und Letzteres führe dazu, dass «Päckli» für wechselseitige Begünstigungen geschnürt würden.
Viele Parlamentarier agieren dabei frei nach der Devise: «Ich subventioniere, also bin ich.» Zum Beispiel Schafhaltung: 450'000 Schafe blöken in der Schweiz – siebenmal mehr als Ziegen und beinahe doppelt so viel wie noch vor 20 Jahren. Die Schafhaltung gilt von jeher als wenig rentabel. Warum gibts denn trotzdem so viele Schafe?
Ganz einfach: Die Schafhaltung wurde in den vergangenen Jahren gleich aus mehreren Töpfen stark subventioniert. So gibt es Direktzahlungen für die Tierhaltung unter erschwerten Verhältnissen, für die kontrollierte Freilandhaltung, für Massnahmen zur Förderung der Schafzucht und Direktzahlungen für die Alpsömmerung von Schafen unter dem unverdächtigen Sammelbegriff «Raufutter verzehrende Tiere, ohne Bisons und Hirsche» – alles in allem 36 Millionen Franken pro Jahr. Oder umgerechnet 80 Franken pro Jahr und Schaf.
Doch damit nicht genug. Weil sich die teure Schafwolle in der Schweiz nicht verkaufen lässt, subventionierte man im Jahr 2003 auch deren Verwertung noch mit 600'000 Franken. Das Parlament wollte wenigstens diese Subvention streichen, doch die Alpenlobby im Ständerat, angeführt vom Bündner Schaffreund und CVP-Ständerat Theo Maissen, intervenierte erfolgreich. Der Futtertrog blieb, nur das politische Etikett wurde geändert. Seit Januar 2004 ist eine Verordnung über die Nutzung der inländischen Schafwolle in Kraft, die unter anderem Beiträge für «innovative Projekte zur ökologisch sinnvollen Verwertung» vorsieht. «Das Anliegen ist aus langfristiger Perspektive und aus grundsätzlicher Sicht gerechtfertigt», verteidigt Maissen unverdrossen sein Postulat.
Dabei stellen laut Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (Buwal) die blökenden Wolllieferanten ein ernsthaftes Problem für die Alpenökologie dar. Was sich da nämlich unter den Gipfeln tausendfach tummelt, frisst Gräser und Kräuter ratzeputz bis auf die Wurzeln. Zudem steigen Schafe in Heumatten hoch, die zum Beispiel für Alprinder unzugänglich sind. Artenreiche Alpweiden verarmen so in «wenigen Jahren zu eintönigen Grünlandflächen», kritisierte das Buwal schon vor Jahren. Die Erosion nimmt dadurch zu. Zusätzlich verdrängt das Schaf die Gämsen in die Wälder, was zu starkem Verbiss der Jungbäume führt. Laut Buwal ertragen Alpen über 2000 Meter lediglich eine einmalige kurze Beweidung im Spätsommer. Wie kam es aber, dass trotz allen ökologischen Bedenken seit letztem Jahr zusätzliche finanzielle Hilfe in die Schafhaltung auf Alpweiden fliesst? Um die Umwelt zu schonen!
Subventionen gegen Subventionen
Was für Aussenstehende unverständlich scheint, ist aus Subventions-«Logik» für die Parlamentarier leicht nachvollziehbar. Statt die mit Steuergeldern geförderte Zerstörung von Alpweiden zu bestrafen, setzt der Bund seit Anfang 2003 auf ein angenehmes Gegenmittel: Man subventioniert jetzt Hirten und Zäune extra.
Laut Bundesamt für Landwirtschaft soll der «Älpler so keinen Anreiz mehr haben, zu viele Tiere zu sömmern». Neu fliessen mehr Subventionen an Alpbetriebe, die ihre Schafe ständig «behirten» lassen, und für so genannte Umtriebsweiden – Alpen, wo die Tiere auf eingezäunten Weiden gehalten und von Koppel zu Koppel getrieben werden.
Behirtung und Umweidung rentieren nun dreimal respektive doppelt so stark wie der Normalbetrieb. Nur wer nach den Richtwerten des Bundes um mehr als 15 Prozent überweidet, soll keine Sömmerungsbeiträge mehr erhalten. Die Konsequenz: 2003 wurden 4,3 Millionen Franken für Schafalpen ausbezahlt, 1,3 Millionen mehr als im Jahr zuvor.
Der Bündner SP-Nationalrat Andrea Hämmerle, der seinen Biobauernhof seinem Sohn übertragen hat, unterstützt die neue Regelung. Allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: «Subventionen ohne entsprechende Leistungen sind fragwürdig. Wo Schafe ohne Behirtung und ohne nachhaltige Beweidung gesömmert werden, sollte es keine Direktzahlungen mehr geben.» Eine Streichung der Sömmerungsbeiträge – auch Hämmerles halten ihre Schafe im Sommer auf der Alp – lehnt er hingegen ab. Weil dann viele Alpen gar nicht mehr bestückt würden.
«Die Empfänger freuts, die Steuerzahler reuts», kommentiert Wirtschaftsprofessor Silvio Borner die verbreitete Subventionitis: «Wir beklagen in der Schweiz zu Recht die mangelnde Innovationskraft und Risikobereitschaft. Nur an Subventionsjägern mangelt es hierzulande nicht», sagt er. Borner ortet «viele verschenkte Millionen, die zuerst von jemandem erwirtschaftet werden müssen».
Die laufenden Transfers von Bund, Kantonen und Gemeinden – so bezeichnet das Bundesamt für Statistik die öffentlichen Beiträge – betrugen im Jahr 2002 rund 99 Milliarden Franken. Klammert man den Bereich Sozialversicherungen aus, sind es fast 55 Milliarden Franken oder rund 7500 Franken pro Kopf der Bevölkerung. Dabei sind Steuererleichterungen als spezielle Form von Subventionen gar nicht mal eingerechnet.
Wirtschaftsprofessor Borner ist mit seiner grundsätzlichen Subventionskritik nicht allein. Auch Frederic Methlow, leitender Ökonom in Diensten der Credit Suisse Group, spricht vom «süssen Gift» der staatlichen Hilfen. Er warnt vor ausufernden Subventionen: «Nationen, die zu oft auf Subventionen zurückgreifen, verlieren an Terrain.» Er sieht die Konsequenzen nüchtern: «Letztlich werden diese Nationen dann gezwungen, Abschied von ihrer Subventionskultur zu nehmen, weil mangelndes Wirtschaftswachstum ihnen die Mittel für die Subventionen entzieht.»
Ein weiteres Beispiel von Gift und Gegengift und von parteiübergreifenden politischen Allianzen sind die Subventionen in die Bahninfrastruktur einerseits und die gleichzeitige künstliche Verbilligung des Autoverlads. Bei der Überprüfung der Bundessubventionen im Jahr 1997 fiel das Urteil des Bundesrats negativ aus: Eine klare Zielsetzung fehle. Die Verbilligung – Fr. 7.50 pro Fahrzeug – verhindere zwar Umwegfahrten, konkurrenziere aber zugleich die Bahn.
Millionen für die Bahn – und die Autos
Trotzdem wurde der Autoverlad 2003 immer noch mit 3,5 Millionen Franken oder umgerechnet Fr. 6.20 pro Fahrzeug subventioniert. Gleichzeitig muss der Regionalverkehr der Privatbahnen und der SBB subventioniert werden, 2002 mit total 2,1 Milliarden Franken. Wir stopfen also mit enormem Aufwand die Löcher im Regionalverkehr und lotsen gleichzeitig auf den subventionierten Schienen die automobile Konkurrenz in die Alpentäler.
Im Parlament macht sich FDP-Nationalrat Duri Bezzola, zu Hause im Unterengadin, für den subventionierten Autoverlad stark: «Werden die Tarife erhöht, fahren die Leute über die Pässe. Schon heute liegen die Kosten für den Verlad am Vereina nahe der Schmerzgrenze.» Dass die Blechlawine in die Alpen zusätzlich vergrössert wird, bestreitet Bezzola.
Teure Verlagerungspolitik
Der Freisinnige sitzt im gleichen Boot wie seine grüne Ratskollegin Franziska Teuscher. Die eifrige Lobbyistin für den Schienenverkehr findet über Treibstoffzölle subventionierten Autoverlad «besser, als neue Strassentunnels zu bauen». Die Grüne bemüht sich immerhin, die Unterstützung für billigeres Autofahren im langfristigen Gesamtzusammenhang einzubetten: «Autoverlad kann als Teil einer Verlagerungspolitik Sinn machen.» Ihr Ziel sei aber, den Waren- und den Personenverkehr weg von der Strasse auf die Schienen zu bringen. Der Zweck heiligt allerlei teure Mittel.
Auch den Bahnoberen ists egal, dass einerseits die Autofahrten in die Ferienecke verbilligt werden und gleichzeitig die Defizite aus dem Zugverkehr gesponsert werden. Wenn das Geld fliesst, stellen sich keine Sinnfragen. Silvio Fasciati, Direktor der Rhätischen Bahn (RhB), beurteilt den subventionierten Autoverlad denn «keinesfalls als widersinnig».
Mit Bundesgeldern auf Wählerfang
Ständerat Maissen bezeichnet die Subventionen als den «Kreislauf im realen Körper unseres Bundesstaates». Ökonom Borner hingegen warnt vor dem Kollaps: Staatliche Gelder würden zwar kurzfristig Arbeitsplätze sichern, doch längerfristig mutierten viele Strukturanpassungen zur Strukturerhaltung. Etwa die über vier Milliarden, die die Bundespolitiker Jahr für Jahr in eine schrumpfende Branche wie die Landwirtschaft pumpen. Borner spricht von «Geiseln organisierter Sonderinteressen». «Anbieter sind die Politiker, die wiedergewählt werden wollen und deshalb ‹ihren› Verbänden, Regionen und Wählergruppen etwas aus dem Staatssäckel zukommen lassen möchten.»
Die Verwaltung überprüft im Auftrag des Bundesrats alle sechs Jahre die Subventionspraxis. Doch vor übertriebenen Erwartungen sei gewarnt. Bei der letzten Überprüfung zwischen 1997 und 1999 wurden 250 Massnahmen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit vorgeschlagen. Mit enttäuschendem Effekt: Nur 100 Millionen von rund 30 Milliarden sollen bis 2004 jedes Jahr eingespart werden, ab 2005 wird mit einem Minus von 210 Millionen gerechnet. Das ist weniger als ein Prozent. Gleichzeitig ist das Subventionsvolumen beim Bund weiter angewachsen – um rund fünf Milliarden Franken in den letzten fünf Jahren. – In der Bundesverwaltung kursiert ein Witz: Wie nennt man den Abbau von Subventionen in der Schweiz? Das Wunder von Bern.