Den Satz hört jedes Kind in der Märchenstunde. «Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.» Zu Aschenputtels Zeiten pickten emsige Vögel wertvolle Körner aus dem Aschehaufen. Heute gehen gestandene Geschäftsherren ans Werk. Und die Körner der Moderne sind bares Geld wert: eine Kundenkartei, ein Internetauftritt und eine Telefon-Hotline.

Als «Neutrale Versicherungsbörse NVB» war die Firma 1998 in Pratteln BL furios gestartet. Die Gründer Michael Hug und Stephan Weineck hatten als Provisionsjäger jene Belohnung im Visier, die Krankenkassen und Versicherungen für die Vermittlung neuer Kunden ausschütten. Für einen neuen Vertrag mit Zusatzversicherung bezahlen Krankenkassen zwischen 300 und 500 Franken. Ein gutes Jahr nach dem Start liess sich die NVB in einer Werbereportage bereits als «grösster unabhängiger Versicherungsberater der Schweiz» feiern. Und der «Blick» lobte sie als «Job-Macher», der 34 neue Stellen geschaffen hat. Für das Jahr 2000 deklarierte die junge Firma satte 5400 Krankenkassenberatungen. Eine Filiale in Bern dokumentierte die Expansion.

Rascher Aufstieg, rasanter Fall. Die Finanzen hatte die NVB nie im Griff – Angestellte, Lieferanten, Kunden und Vermieter warteten monatelang auf ihr Geld. Mahnungen und Betreibungen nützten nichts – oft beglich die Firma ihre Schulden erst am Tag vor dem angedrohten Konkurs. «Die NVB wartete mit der Bezahlung einer Forderung bis zur letzten Minute», sagt ein Betroffener. «Damit hielt sie natürlich viele Gläubiger davon ab, ihre Forderungen geltend zu machen.»

Forderungen in Millionenhöhe
Dennoch wurde es immer enger. Auch ein Umzug in den Kanton Zug nützte nichts mehr – im Januar war die Firma bankrott. Inzwischen liegen Forderungen von rund einer Million Franken auf dem Tisch. Das Konkursamt Zug entschied: «Der Schuldnerin wie auch Dritten ist es untersagt, über zur Konkursmasse gehörende Vermögenswerte zu verfügen.»

Michael Hug und Stephan Weineck hatten vorgesorgt. Im letzten September aktivierten sie in Pratteln die 1995 gegründete «Versicherungsbörse VB». Fortan lief die Vermittlung von Versicherungspolicen über diese Firma. Das N im Titel und die Schulden waren weg, aber das Geschäft läuft mit einem Miniteam in Pratteln weiter. «Die alte Firma wurde systematisch ausgehöhlt», sagt ein ehemaliger Angestellter. In der Tat:

  • Beim Vermitteln von Versicherungen ist eine Adresskartei Gold wert. Die VB geschäftete offensichtlich bereits im letzten Herbst mit den alten Daten. Jedenfalls erhielten Personen, die sich früher von der NVB hatten vermitteln lassen, Ende Oktober einen Brief der Krankenkasse Swica. «Exklusiv für Kunden der Versicherungsbörse und deren Angehörige», so der Titel. Die Abwerbeaktion war laut Insidern ein Erfolg – und die neue Firma kassierte mit den alten Kunden neue Provisionen.
  • Noch einfacher hatten es Michael Hug und Stephan Weineck im Internet. Die neue Firma musste in den Titeln und Texten nur die Bezeichnung «neutral» streichen – fertig war der neue Auftritt. Noch immer verweisen Gesundheitsportale auf die Versicherungsbörse. Von der Internetadresse erfuhr das Konkursamt Zug erst vom Beobachter. In der Konkursbefragung hatte die NVB die Frage nach einer Homepage mit «Nein» beantwortet.
  • Keinen Aufwand hatte die neue Firma mit dem Swisscom-Anschluss. Zu NVB-Zeiten waren die Berater über eine Telefon-Hotline zu erreichen. Wer die 0900er- Nummer wählte, musste horrende Fr. 4.23 pro Minute bezahlen. Die VB betrieb die ertragsreiche Hotline weiter. Erst als die Liestaler Untersuchungsbeamten einschritten, wurde sie abgestellt.

Vehement verneint Geschäftsführer Michael Hug den Vorwurf, Geld mit den Vermögenswerten der NVB zu verdienen. «Bei einem Streuversand kann es durchaus sein, dass auch NVB-Kunden angeschrieben werden», sagt er. Vom Swica-Brief will er nichts wissen. Die Telefon-Hotline habe er «selber abgestellt», und nach einem Internetauftritt habe ihn das Konkursamt nie gefragt. Dieser sei sowieso ohne Bedeutung. «Über das Internet gibt es kaum neue Kundenkontakte», sagt Michael Hug. Wirklich? Als ihn der Beobachter darauf aufmerksam macht, dass in einem Titel das Wort «neutral» stehen geblieben ist, bedankt sich der VB-Chef. Und ändert augenblicklich den Titel.

Bisher liessen die Behörden den Provisionsjägern weitgehend freie Hand. «Wir kümmern uns nur um den Konkurs der NVB», sagt Karl Iten vom Konkursamt Zug. Alles andere sei Sache der Untersuchungsrichter in Liestal. «Wir klären die Vorwürfe ab», sagt dort der zuständige Untersuchungsbeamte Marc Rohr.

Ob NVB oder VB – die Inhaber sind gewiefte Geschäftsherren. Bereits zu Zeiten der Neutralen Versicherungsbörse standen Michael Hug und Stephan Weineck in der Kritik. Die teure Telefon-Hotline und der oft nur mit der Lupe lesbare Hinweis auf die Fr. 4.23 pro Minute verärgerten viele Leute. Auch «unabhängig» und «neutral» war die NVB nie. Vermittelt wurde fast nur die Krankenkasse Groupe Mutuel. «In der Nordwestschweiz war die Bevölkerung der Meinung, dass die NVB eine Agentur der Groupe Mutuel war», sagt ein ehemaliger Angestellter.

Auch die Nachfolgefirma VB hat sich bisher nicht mit Seriosität bekleckert. Auf Visitenkarten, die VB-Mitarbeiter möglichen Kunden aushändigten, fehlte bei der Hotline-Nummer ein Hinweis auf den hohen Tarif. Auch die Swica wurde Opfer dieser unerlaubten Praxis: Auf dem Werbebrief vom Oktober prangt die teure Hotline-Nummer der VB – selbstredend ohne Tarifhinweis.

Warum überhaupt die Swica? Was ist an der Groupe Mutuel nicht mehr in Ordnung? Insider kennen die Antwort: Ein Basler Exmitarbeiter der Groupe Mutuel, der eng mit der NVB zusammenarbeitete, ist heute in führender Position für die Swica tätig. Die Westschweizer Kasse ihrerseits ist froh, dass sie nichts mehr mit NVB oder VB zu tun hat. «Die Methoden sind aggressiv und oft nicht fair», sagt Direktionsmitglied André Grandjean.

Zwielichtige Preisvergleiche
Um aber die nicht ganz billige Swica verkaufen zu können, braucht es etwas Anschubhilfe. Die VB gibt deshalb potentiellen Kunden einen kleinen «Preis-Leistungs-Test» der «wichtigsten Krankenkassen» ab. Und siehe da: Die Swica strahlt auf Platz eins – erstaunlicherweise «sehr günstig» und mit dem Qualitätssiegel «hervorragend» und «beste Wahl für Leute bis 60». Was genau womit verglichen wurde, bleibt das Geheimnis der VB.

Nicht viel transparenter ist der «Verband Schweizer Krankenversicherter VSK». Was tönt wie eine seriöse nationale Dachorganisation ist ein im VB-Dunstkreis entstandener Klub. Gegen eine Gebühr von 20 Franken im Jahr können sich Kunden einem günstigen Krankenkassen-Kollektivvertrag anschliessen. Die Strukturen des VSK bleiben indes im Nebel. VB-Chef Michael Hug kann spontan nichts über den Verband, seinen Zweck und Aufbau sagen. Er wisse da zu wenig Bescheid. Für die Swica allerdings ist Hug klar die Kontaktperson zum VSK.

In der Märchenstunde hören Kinder viele Weisheiten, die sie ein Leben lang nicht vergessen. Dazu gehört auch das Sprichwort: «Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.»

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