Widnau: Eine etwas andere Gemeindepräsidentin
Für ein Lehrstück in Sachen Demokratie hat Widnau gesorgt: Nachdem die dominierende Partei verzichtet hatte, fand die St. Galler Gemeinde ihr neues Oberhaupt über ein Inserat.
Veröffentlicht am 5. Juli 2002 - 00:00 Uhr
Es war eine mittlere Sensation, als in Widnau eine promovierte Historikerin und Wirtschaftswissenschaftlerin mit einem Managerdiplom gewählt wurde. Auf Anhieb schaffte Christa Köppel 1999 als parteilose Auswärtige, Feministin und Single – zwar im Besitz des Widnauer Bürgerrechts, aber sonst ohne Kontakte zum Rheintal – die Wahl zur ersten Gemeindepräsidentin im Kanton St. Gallen. Ihre beiden Gegenkandidaten hatten keine Chance.
Ungewöhnlich bei dieser Wahl war der Verzicht der CVP: Nach fünfzehn Jahren Alleinherrschaft drängte sie nicht auf deren Weiterführung. Die stärkste Partei im Dorf sprang über ihren Schatten, und statt einen CVP-Kandidaten zu küren, kam sie mit der FDP und der Bürgervereinigung «Widnau plus» überein, per Inserat einen neuen Gemeindepräsidenten zu suchen.
«Die Qualifikation stand im Vordergrund», erinnert sich CVP-Präsident Rolf Cristuzzi. «Wir suchten eine führungsstarke Persönlichkeit mit Managementerfahrung und ohne politische Verflechtungen im Dorf.» Das politische Umfeld verhindere oft, dass sich fähige Personen verwirklichen können, meint er. Also sorgten die Widnauer Parteipräsidenten bereits vor Köppels Amtsantritt für eine Flurbereinigung. Ein eigentlicher Demokratieschub ging durchs Dorf, das Parteienspektrum wurde mit den neu gegründeten Lokalparteien SVP und SP breiter.
Heute ist die CVP immer noch die stärkste Kraft in Widnau, und das politische Klima ist gut. Die Parteichefs loben ihre Gemeindepräsidentin: Kommunikativ, kompetent und erfahren sei sie. Auch Gegner stimmen in den Lobgesang ein. «Ich habe nicht für Christa Köppel gestimmt, doch im Nachhinein muss ich sagen, dass die Richtige gewählt wurde», gibt Peter Weder, Präsident der SVP Widnau, heute zu.
Mutiger Generationenwechsel
Leise Kritik gibt es dennoch. «Sie ist mehr Managerin als Gemeindemutter», sagt der nicht mit ihr verwandte Armin Köppel von «Widnau plus». So brach Christa Köppel mit einer Tradition im Dorf: Sie absolviert bei den 70-Jährigen keine Geburtstagsbesuche mehr. «Ich habe diese Aufgabe an eine Gemeinderätin delegiert, die sich für alterspolitische Fragen engagiert», erklärt sie. Das Beispiel zeigt, dass Köppel einen Generationenwechsel im Amtshaus eingeläutet hat, verbunden mit einem modernen Jobverständnis.
Sie delegiert, managt und schafft Strukturen, die es ihr ermöglichen, sich ganz auf ihre «Chefaufgaben» – wie das die dynamische Mittvierzigerin nennt – zu konzentrieren. Gemeindegeschäfte werden nicht am Stammtisch ausgejasst, sondern die Gemeindepräsidentin pflegt Bürgernähe und Transparenz mit zeitgemässen Instrumenten. So hält «Fokus», das amtliche Informationsblatt, die 7700 Einwohnerinnen und Einwohner über die Gemeindegeschäfte auf dem Laufenden, auf der Homepage werden regelmässig News veröffentlicht, und zweimal jährlich können Widnauerinnen und Widnauer ihre Sorgen in der «Bürgersprechstunde» direkt bei Christa Köppel deponieren.
Zwar buhlen die Parteien um Köppels Gunst – noch so gern würden sie sie in ihren Reihen wissen. Aber die Gemeindemanagerin will unabhängig bleiben.