Ein dunkles, russgeschwärztes, fast haushohes Gewölbe. Es erschien mir wie eine jener riesigen Bahnhofshallen aus vergangenen Zeiten. Ein Heer von Köchen schwirrte darin umher, in Küchen, von denen jede einzelne so gross war wie eine heutige Hotelküche. Die hauseigene Bäckerei war mit weissem Staub bedeckt. Düster dagegen die Grillküche, in der sich Enten vor dem glühenden Feuer am Spiess drehten und riesige Rinderkoteletten auf schwarzen Grillplatten brieten.

Noch nie hatte ich etwas Vergleichbares gesehen. Wie angewurzelt blieb ich auf dem obersten Treppenabsatz stehen und beobachtete fasziniert das geschäftige Chaos unter mir.

Warten auf la Deneuve

Den Zugang zu dieser Küche hatte ich per Zufall entdeckt. Ich war für ein Interview mit Catherine Deneuve in eine Weltstadt gefahren, wo ich seit Tagen auf das vereinbarte Treffen mit dem Filmstar wartete. Doch weil die Diva fast immer nachts zu drehen hatte, war sie tagsüber meist unansprechbar. Ich musste also einen günstigen Moment abpassen.

Man hatte mich in einem Hotelpalast aus der Jahrhundertwende einquartiert. Das Nobelhaus war verschiedentlich renoviert und umgebaut worden; einzig die Küche im Kellergeschoss blieb dabei unverändert. Ein staunenswertes, wenngleich unpraktisches Relikt aus einer anderen Zeit.

Hier herrschte Koch X als Chef aller Küchenchefs. Er war vielleicht nicht der Beste seines Fachs. Aber er war fleissig und wusste sich um einiges besser zu verkaufen als seine begabteren Kollegen.

Einmal im Jahr besuchte er, zusammen mit dem Hoteldirektor, die wichtigsten Gourmetlokale der Alten Welt. Sie fuhren jeweils in einem alten Rolls-Royce vor und assen sich quer durch die Speisekarte. Was den beiden besonders schmeckte, war dann wenig später auf der Menükarte des Nobelhotels zu finden. «Tour dinspiration» nannte Koch X lächelnd diese Reisen.

Fast wie das Original

Dass dieser Küchenchef ein guter Koch war, konnte man an der Qualität seiner Gerichte erkennen. Denn obschon diese aus anderen Häusern abgekupfert worden waren, schmeckten sie zwar nicht so perfekt wie das Original, aber immer noch hervorragend.

So hatte Koch X auch das «Soufflé aux fruits de passion» von Fredy Girardet von einer Reise mitgebracht. Immer wieder hatte er den weltberühmten Schweizer nach dem Rezept gefragt. In einer schwachen Stunde hatte er ihm dieses schliesslich verraten.

Ein Jahr später veröffentlichte Koch X sein eigenes Kochbuch. Das Originalrezept von Girardets Soufflé war darin aufgeführt ohne die Nennung des Erfinders! Seitdem herrscht Funkstille zwischen den beiden Köchen.

Viel bedeutender als dieser Konflikt ist jedoch, dass durch Girardets Kreation die Passionsfrucht in der grossen Küche Karriere machte. Auch unsere Crème brûlée ist ohne Girardets Traumdessert nicht denkbar. Zudem ist sie einfach herzustellen, gelingt mit Sicherheit und schmeckt herrlich.

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