Aufgezeichnet von Conny Schmid:

Als ich «The Last of Us II» das erste Mal spielte, konnte ich mein Glück kaum fassen. Es ist das erste und bisher einzige Game, das ich alleine spielen kann. Und es ist gut, komplex. Ich habe zwei Wochen lang jeden Abend gezockt. Noch Monate später tat mir der Daumen weh.

Zum Glück habe ich eine sehr tolerante Partnerin. Normalerweise legen wir unsere Handys um 20 Uhr weg und unternehmen zusammen etwas. Aber da herrschte Ausnahmezustand.

Das Game kam schon im letzten Sommer auf den Markt und wurde als das zugänglichste Spiel aller Zeiten angepriesen, das auch Menschen mit Handicap spielen können. Doch ich habe lange gezögert. Ich habe schon etliche Spiele gekauft, die dann eben doch nicht so zugänglich waren. Das sind jedes Mal 80 Stutz. «The Last of Us» wurde von einem Blinden mitentwickelt, der noch eine Sehkraft von 3 bis 4 Prozent hat. Das gilt in den USA als offiziell blind. Ich hingegen sehe nur 1,5 Prozent. Ich war daher skeptisch.

Umso grösser war dann meine Begeisterung. Für mich ist es unbeschreiblich, endlich selber bestimmen zu können, wann und wie lange ich spiele, weil ich niemanden brauche, der mir dabei hilft und mich durchs Game oder durchs Menü führt. Im Spiel zeigen mir Audiosignale an, in welche Richtung ich gehen muss, wann ich mich ducken oder klettern soll oder wenn es Gegenstände gibt zum Interagieren. Gegner erledige ich dank der automatischen Zielerfassung.

So kann ich mich auf Augenhöhe mit Spielern austauschen, die kein Handicap haben, aber das Gleiche erleben. Ob ich sehe oder nicht, ist für einmal egal – ich kann mitreden.

«Alle haben Verständnis für unsere Anliegen. Aber dann gibt es ­tausend Gründe, ­warum es nicht geht.»

Daniele Corciulo, Accessibility-Berater

Ich bin sogar Teil einer kleinen Community geworden. Wir haben spasseshalber auch schon ein «Mario Kart»-Rennen ausgetragen. Da habe ich dann natürlich keine Chance. Doch es geht ums Dabeisein. Genau wie früher, als ich mit meinem Cousin in den Ferien in Italien durch die Spielhöllen gezogen bin, von Arcade-Kasten zu Arcade-Kasten. Er bediente den Stick, ich die Knöpfe. Auch flippern mag ich – da spüre ich die Vibrationen. Natürlich habe ich auch da keine Chance, gegen Sehende zu gewinnen. Es geht darum, dazuzugehören.

Online-Shopping? Unmöglich

Dieses Gefühl habe ich an der Konsole zum ersten Mal erlebt. Aber ich wundere mich ein wenig: Warum ist es möglich, ein Game zu entwickeln, das auch für Menschen mit Handicap spielbar ist, aber im Alltag stösst man ständig an Grenzen? Online ein Konzertticket kaufen etwa, ist für mich unmöglich. Oder nur schon einkaufen. Es gibt ein paar positive Ausnahmen von zugänglichen Websites. Doch als Mensch mit Beeinträchtigung hat man meistens keine Auswahl. Man muss dann halt das nehmen, was halbwegs funktioniert.

Ich arbeite an der Universität Zürich als Accessibility-Berater und war früher bei der Stiftung «Zugang für alle». Es haben stets alle viel Verständnis für unsere Anliegen. Aber wenn es um die Umsetzung geht, gibt es immer tausend Gründe, warum man es nicht machen kann.

Dabei ist es technisch keine grosse Sache mehr. Etwa 15 Prozent der Menschheit hat irgendeine Beeinträchtigung, und sei es nur eine Farbensehschwäche. Doch viele Website-Betreiber schaffen es nicht einmal, rote oder grüne Buttons auch noch mit Symbolen zu versehen, so dass alle sie unterscheiden können.

Punkto Gamen muss ich aufpassen, dass ich nicht zu euphorisch werde. Ich habe in meiner Begeisterung bereits zwei weitere Games gekauft, die als zugänglich verkauft werden, für mich aber leider nicht funktionieren. Begeistert bin ich vom neuen Controller für die Playstation 5. Durch Vibrationen spüre ich, auf welcher Art von Untergrund man im Game läuft oder ob man etwas aus Gummi oder Glas anfasst. Das ist der Hammer. Hoffentlich wird das in ein paar coolen Games vernünftig eingebaut.

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